Die seltsamen Geschichtsthesen der Erika Steinbach

Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach macht immer wieder von sich reden. 2010 behauptete sie, Polen habe schon im März 1939 gegen Deutschland mobil gemacht und löste damit eine diplomatische Krise zwischen Deutschland und seinem östlichen Nachbarn aus. Jetzt sorgen erneut Äußerungen über die NS-Zeit für Furore.

Aufmerksam verfolgt die Presse inzwischen die sozialen Netzwerke, und immer mehr Bundestagsabgeordnete haben ein Profil auf Facebook und Twitter, so auch, seit einigen Monaten erst, Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach. Sie nutzt diese Kommunikationsmittel sehr rege für politische Diskussionen. Vor einigen Tagen äußerte sie sich: “Die Konrad-Adenauer-Stiftung macht eine Campagne gegen Rechtsextremismus. Halbherzig.” Es gebe auch linke Verbrecher und sie sei gegen jede Form des Extremismus, fügte sie hinzu. Beide Strömungen seien demokratiefeindlich, erklärte sie. Daraus entspann sich eine Diskussion über die Notwendigkeit, nach den Enthüllungen über die zwickauer Terrorzelle den Rechtsextremismus schärfer ins Auge zu fassen. Während dieser Debatte stelltte Erika Steinbach die Behauptung auf, die NSDAP sei im Kern eine linke Partei gewesen, und sie habe Unterstützer bis in die Reihen der Sozialdemokratie gehabt. Damit provozierte die streitbare Unionsabgeordnete natürlich einen Stturm der Entrüstung. Doch Erika Steinbach vertritt ihre seltsamen Geschichtsthesen mit Vehemenz und einem äußerst dicken Fell. Nach ihren Äußerungen gegen Polen hatte man ihr den Rücktritt als Vertriebenenpräsidentin nahe gelegt, aber sie stand die Krise durch. Vor 9 Jahren noch war der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Homann aus der Unionsfraktion ausgeschlossen worden, weil er die Juden als Tätervolk bezeichnet hatte, jetzt rühren Fraktionsspitze und Bundeskanzlerin keinen Finger.

Das liegt zum Einen daran, dass die Union die scharfzüngige Abgeordnete nicht verlieren will, und zum Anderen erhält Steinbach für ihre Thesen durchaus Unterstützung. Sie kann nämlich einen Artikel des großen Joachim Fest anführen, den er vor 8 Jahren in der TAZ veröffentlichte. Darin beschreibt er, dass die NSDAP sozialistische Elemente hatte, und dass es ganze Kampfkompanien der Kommunisten gegeben hat, die geschlossen zu den Nazis übertraten, am Ende der Straßenkämpfe um die Weimarer Republik. Außen braun, innen Rot, spottete die berliner Bevölkerung. Sie wechselten Führer und Fahne, aber kaum die Parolen, behauptete Fest. Und auch Josef Goebbels bezeichnete die Nazis als eine sozialistische Partei. Der Grund dafür ist einfach: Nazis und Kommunisten rangelten um dasselbe Wähler- und Unterstützungspotential, die unzufriedenen, aggressiven Arbeiter. Während aber die Kommunisten den Internationalismus priesen, konnten die Nazis argumentieren, die Kommunisten wollten Deutschland an Russland anschließen. Das trieb viele im Kern sozialistisch gesinnte Arbeiter in die Fänge der Nationalsozialisten. Die Mehrheit der Historiker lehnt es jedoch ab, die NSDAP deswegen als eine linke Partei zu bezeichnen, zurecht, wie ich finde. Hass, Ausrottungs- und Vernichtungswille waren bereits im Programm der Nazi-Partei angelegt, ganz im Gegensatz zum kommunistischen Internationalismus, der zumindest theoretisch das friedliche Zusammenleben der Völker anstrebte. Das ändert nichts daran, dass beide Regime, Hitlers wie Stalins, verbrecherisch waren, aber man muss angesichts der systematischen Völkerausrottung, die die Nazis betrieben, schon einen durchaus gewaltigen Unterschied zwischen ihnen machen. Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach sieht das anders. Stalin sei im Grunde noch schlimmer gewesen als Hitler, ließ sie zwischen den Zeilen wissen, der habe ja nicht bei bestimmten Gruppen aufgehört, sondern sogar seine Freunde niedergemetzelt. Damit spielt sie auf die Säuberungen in den kommunistischen Parteien der Sowjetunion und Deutschlands in den späten dreißiger und vierziger Jahren an.

Wer ein solches Geschichtsbild allen ernstes vertritt, der muss sich über ein gerüttelt Maß an Empörung nicht wundern. In den Medien, sozial wie klassisch, gab es lautstarke und heftige Diskussionen. Doch die Wahlvertriebene, die eigentlich aus Hanau kommt und nur zufällig östlich von Oder und Neiße geboren ist, zieht sich die Kritik nicht an und fühlt sich nicht einmal missverstanden. Fast könnte man es als wohltuende Abwechselung vom Gewulffe der letzten Wochen empfinden, wäre das Thema nicht so brisant. Denn bei der ganzen Diskussion um die Nazi-Partei als rechts- oder linksextremer Organisation habe ich stark den Eindruck, dass es eigentlich um eine Relativierung und Rechtfertigung der Nazi-Verbrechen geht. Solche Ansichten jedenfalls sollte die Union in ihren Reihen nicht dulden.


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