Die selbst verschuldete Konformität der Medienbranche

Im Berliner Kongresscenter nahe dem Alexanderplatz trifft sich derzeit alles, was in der deutschen Zeitungsbranche Rang und Namen hat, auf dem Publishers Summit.

Den Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland geht es nicht gut, die Auflagen befinden sich seit Jahren im Sinkflug – erst vor wenigen Tagen zeigten die neuen Zahlen der IVW, dass sowohl regionale als auch überregionalen Zeitungen weiterhin Auflage und damit Reichweite verlieren – von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen, wobei die schwarzen Zahlen in den IVW-Tabellen in erster Linie durch Übernahmen zustande kommen.

Gern wird das Internet und die Gratismentalität der Internetnutzer dafür verantwortlich gemacht, dass die Menschen keine gedruckten Zeitungen mehr kaufen – aber so einfach ist es natürlich nicht. Vor Jahrzehnten hat man erst das Radio und dann das Fernsehen ebenfalls beschuldigt, im Blätterwald der Printmedien zu wildern. Ja, einerseits schon – aber andererseits… das alte Geschäftsmodell der Printmedien, die sich früher zu großen Teilen über Werbeanzeigen und zum anderen über Abos finanziert haben, geht halt nicht mehr auf. Das hat dieses Geschäftsmodell mit vielen anderen gemeinsam, die nun einmal vom Fortschreiten der technischen Entwicklung überholt werden: Die Kohle- und Stahlindustrie, die Landwirtschaft, die komplette Industrieproduktion, der Handel, das Finanzwesen, die Nachrichtenübermittlung und so weiter funktionieren nicht mehr wie ehedem – warum sollten also ausgerechnet die Medien, die immer alles Neue so fantastisch und sensationell finden, eine Ausnahme sein?!

Der Anzeigenmarkt ist ins Internet gewandert – auf zahlreichen Börsen tauschen sich die Nutzer völlig kostenlos aus – da braucht es die Anzeigenblätter nicht mehr. In der Folge musste in den Redaktionen gespart werden – dort wo früher gutgezahlte Redakteure interessante Stories recherchiert und geschrieben haben, sitzen nun schlecht bezahlte Praktikanten und basteln aus dpa-Meldungen und User-generiertem Content irgendwas zusammen, das aussieht, wie eine Zeitung – damit man noch die verliebenen Anzeigen von Aldi und Lidl und dem örtlichen Beerdigungsinstitut unter bringen kann. Das ist dann halt kein Qualitätsprodukt, wofür die Kunden ein monatliches Abo zu bezahlen bereit wären.

Und natürlich gab es auch in Prä-Internet-Zeiten immer Konflikte, wenn bestimmten Werbekunden bestimmte Artikel nicht gefallen haben. Es war schon immer ein Eiertanz: Ist nun die Wahrheit wichtiger, das heilige Ethos des Journalisten, Missstände aufzudecken und die Öffentlichkeit darüber zu informieren, oder die Finanzierung und damit der gesicherte Fortbestand des Mediums und letztlich auch des eigenen Jobs? Und je prekärer die Finanzlage, desto schwieriger wird es, “die Wahrheit” zu sagen oder eine eigene Haltung konsequent zu vertreten. Ob Spiegel, Süddeutsche oder FAZ – überall dasselbe.

Das haben auch die Teilnehmer des Publishers Summit gemerkt: Zuviel Konformität unter Medienmachern könne den Blick auf die Wahrheit verstellen, heißt es nun in einer Pressemitteilung eben jener Leute. Deshalb meinen die Chefredakteure der großen deutschen Blätter, dass es auch mal wichtig sei, einer geballten Meinung zu widersprechen. Bei bestimmten Themen gebe es einen zu hohen Konformitätsdruck in der Branche, beklagte beispielsweiss der Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Und der Stern-Chefredakteur Dominik Wichmann findet, dass es Mut erfordere, einer geballten Medienmeinung zu widersprechen.

Wobei mir nicht klar ist ob das jetzt ein Argument dafür oder dagegen ist…?

Der Spiegel-Chefredakteur Wolfgang Büchner appellierte an die Medienbranche, die klare Trennung von Werbung und Journalismus strikt einzuhalten, denn die Werbeindustrie drohe sich der Inhalte zu bemächtigen: “Es gibt dort viele Grenzüberschreitungen.”

Wobei gerade das ja ein immer populärer werdendes Geschäftsmodell ist: Sponsored News oder Sponsored Stories sind ja eben Inhalte, die eigentlich Werbeanzeigen sind, aber so tun, als seien sie redaktionell produzierter Content. Denn die Unternehmen haben durchaus geschnallt, dass ein scheinbar unabhängig produzierter Artikel sehr viel glaubwürdiger ist, als eine Werbe-Anzeige. Und die Redaktion bekommt einerseits Geld dafür und muss andererseits den Artikel nicht selbst prozudieren. Aus Verlegersicht eine echte Win-Win-Situation. Aber halt zulasten der Glaubwürdigkeit.

Wikipedia hat genau deshalb gerade bezahlte PR-Schreiber identifiziert und ausgesperrt. Leider nur auf den englisch-sprachigen Seiten. Als gemeinnütziges Projekt kann und muss sich Wikipedia das leisten. Aber ein Zeitungsverlag, der seinen Eigentümern Profit bescheren muss?! Da können die Chefredakteure lange über zuviel Konformität in der Medienbranche weinen: Es ist lächerlich.

Sie sind es doch, die dazu beitragen! Sie bestimmen doch, was in ihren Blättern gedruckt wird und was nicht! Vielleicht sollten sie eben nicht nur daran denken, wofür ihre Marke und ihr Profil steht, wie Spiegel-Chef-Redakteur Büchner sich selbst und den Kollegen empfiehlt, sondern daran, was eigentlich über die Verhältnisse in diesem Land und in der ganzen Welt zu sagen wäre. Da gäbe es sehr viel Wichtigeres als die Kommunikation von Marken und Profilen.

Die Zeitungsbranche verbricht genau die Inhalte, die sie verdient, weil sie mit ihnen so konform geht, dass es nur noch zur Definition von Markenkernen und Zielgruppen reicht. Genau das ist das Problem und nicht die Lösung.

Es ist kein Zufall, dass es derzeit nur eine einzige Zeitung in Deutschland gibt, die konsequent gegen den Mainstream anschreibt, mutig eigene Positionen vertritt und damit gegen den Trend wächst: Die junge Welt. Und die finanziert sich eben nicht über Werbeeinnahmen, sondern über ihre Leser, über Genossenschaftsanteile, Spenden und Abos. Das ist natürlich kein interessantes Modell für renditegeile Anleger. Aber eins für journalistische Qualität und Unabhängigkeit.



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