“Die Schöne und das Biest” von Christophe Gans

Erstellt am 3. Mai 2014 von Denis Sasse @filmtogo

Léa Seydoux gäbe auch ein gutes Rotkäppchen ab, hier aber spielt sie Belle in Christophe Gans “Die Schöne und das Biest”

Ein Märchen auf die Leinwand zu bringen scheiterte bisher oftmals daran, dass Filmemacher wie Produktionsstudios immerzu an eine Neuinterpretation interessiert waren. Schon Steven Spielberg orientierte sich mit Hook an einer viele Jahre nach der eigentlichen Peter Pan Geschichte spielenden Eigenkreation einer Fortsetzung. Sowohl die Schneewittchen-Verfilmung Spieglein, Spieglein, als auch der aus demselben Jahr stammende Snow White and the Huntsman zeigen eher starke Stiefmütter (Julia Roberts gänzlich überdreht, Cameron Diaz herrlich böse), als dass sie sich der eigentlichen Märchengeschichte annehmen würden. Der aus Südfrankreich stammende Christophe Gans tickt da etwas anders. Er hat in der Vergangenheit bereits mit Filmen wie Der Pakt der Wölfe, aber auch der Horrorvideospieleverfilmung Silent Hill, eine stark visuell ausgeprägte Ader fürs Filmemachen bewiesen. Dementsprechend gestaltet sich auch sein La belle et la bête, das klassische Volksmärchen Die Schöne und das Biest, dessen älteste Überlieferung von Gabrielle-Suzanne Bardot de Villeneuve aus dem Jahre 1756 stammt, als atmosphärischer Wohlgenuss eines filmisch umgesetzten Märchens.

Gans setzt in dem Jahr 1810 ein, wo der Untergang dreier Handelsschiffe einen Kaufmann (André Dussollier) in den Ruin treibt. Er muss mit seinen drei Söhnen und drei Töchtern, darunter die wunderschöne Belle (Léa Seydoux), aufs Land ziehen und ein anspruchsloses Leben führen. Als er auf einer seiner Reisen das Gut eines furchterregenden Ungeheuers (Vincent Cassel) betritt, verurteilt dieses den vielfachen Vater zum Tode. Belle fühlt sich für das tragische Schicksal ihres Vaters verantwortlich, da dieser ihr eine Rose aus dem Garten des Biests stehlen wollte. Sie opfert sich und kauft sein Leben frei, indem sie dem Biest in seinem Schloss Gesellschaft leistet und so langsam sein Leben und seine Vergangenheit kennenlernt. So erfährt sie auch von dem Fluch, der aus dem einstigen Prinzen des Königreichs das martialisch anmutende Biest werden ließ.

Belle mit ihrem Vater (André Dussollier)

Natürlich ist es nicht nur einfach ein Märchen, sondern auch eine Adoleszenzgeschichte, wie ein Mädchen sich aus dem Elternhaus lossagt – hier: opfert – um ihr eigenes Leben an der Seite eines Mannes (eines Biestes) zu führen. Da wandelt Léa Seydoux durch dieses märchenhaft schöne Schloß, entdeckt dieses völlig andere, fremde Leben – gänzlich fern dem, was sie bis zu diesem Zeitpunkt in ihrer eigenen Welt erleben durfte. Das Biest, ein raffinierter Kniff des Regisseurs, wird derweil durch Traumsequenzen charakterisiert, die Belle in der Nacht erlebt, wenn sich kleine Glühwürmchen über ihrem Kopf schwirrend in ihrem Unterbewusstsein einnisten und ihr die tragische Liebesgeschichte des menschlichen Prinzen und seiner Prinzessin (Yvonne Catterfeld, in einer Szene ziemlich nackt erscheinend) erzählen, die aus einem gebrochenen Versprechen, einer magischen Enthüllung und dem Fluch eines Gottes besteht.

Vincent Cassel spielte bereits in Black Swan den absoluten Widerling, der dennoch als Liebhaber taugte. Er ist das personifizierte Biest von einem Mann, selbst ohne am Computer entstandenes Biest-Kostüm würde der bärtige Cassel als Gegenpart der Schönen funktionieren. Die Schöne, dass ist Léa Seydoux, derer Blicke sich weder das Biest noch der Zuschauer entziehen kann. Sie kombiniert die naive Neugier der Agathe-Sidonie, die sie in Leb wohl, meine Königin zur Freundin von Marie Antoinette werden ließ, mit dem Selbstbewusstsein, dass sie schon als Emma in Blau ist eine warme Farbe ausstrahlte und ihr gar eine Goldene Palme der Filmfestspiele von Cannes einbrachte. Immer in opulenten Kostümen gekleidet, die sich der Situation entsprechend nie einer gewissen Farbmetaphorik entziehen, entgegnet dieses Mädchen dem Biest mit emanzipierter Stärke, verleiht ihr hierdurch die Modernisierung, die andere Verfilmungen durch allzu verändernde Elemente hervorrufen wollen. Seydoux nimmt sich dieses kleine Detail, formt es, spielt es und setzt es ein. Hierdurch erhält Christophe Gans seine moderne Heldin im altertümlichen Gewand.

Das Biest in seiner menschlichen Prinzengestalt (Vincent Cassel)

Ebenso für die triste und zugleich bunte Märchenwelt verantwortlich, sind Pierre Adenot (Musik) und Christophe Beaucarne (Kamera). Gerade letztgenannter weiß durch seine Bildkompositionen viel zu dem Charme beizutragen, der aus Die Schöne und das Biest in seiner Optik ein Märchen werden lässt. Beaucarne lässt seine Kamera über düstere Wälder schweifen, fängt immer wieder das von Pflanzenranken umwucherte Schloss ein oder einen großen gefrorenen See, über dem immer ein leichter Nebel schwebt. Dabei sorgt Regisseur Gans dafür, dass sich die Story nicht zu schnell bewegt, nicht zum Hollywood-Blockbuster verkommt, der nur auf spektakuläre Effekte aus wäre. Hier geschehen die Effekte im Hintergrund – mit Ausnahme eines Steinkoloss Intermezzos – während der Fokus deutlich auf dem Miteinander von der schönen Belle mit dem erschreckenden Biest liegt.

Die Schöne und das Biest ist sicherlich Christophe Gans familienfreundlichstes Abenteuer. Dennoch hat er sich seiner düsteren Optik nicht berauben lassen, ihr nur punktuell einige verträumte Farben auferlegt. Man kann es als einen Mix aus Tim Burton und Wes Anderson verstehen: der Horror des Einen, die Bilderbuch-Atmosphäre des Anderen, vereint um durch Gans ein Märchen auf die Leinwände zu zaubern, bei dem die Magie endlich einmal wirklich zu spüren ist und sich eben nicht in Starrummel und unnötigen Bombast verliert.


”Die Schöne und das Biest„

Originaltitel: La belle et la bête
Altersfreigabe: ab 6 Jahren
Produktionsland, Jahr: F, 2013
Länge: ca. 114 Minuten
Regie: Christophe Gans
Darsteller: Vincent Cassel, Léa Seydoux, André Dussollier, Myriam Charleins, Audrey Lamy, Yvonne Catterfeld, Dejan Bucin, Mickey Hardt

Kinostart: 1. Mai 2014
Im Netz: schoeneundbiest-film.de

Bilder © Concorde Filmverleih GmbH