Die schlafende Stadt

PARIS QUI DORT
Frankreich 1925
Mit Albert Préjean, Marcel Vallée, Charles Martinelli u.a.
Regie René Clair
Dauer: 35 min

Die schlafende Stadt

Faulheit lass nach: Diese Woche verliere ich nicht viele Worte über den zu präsentierenden Stummfilm. Ein Hexenschuss und ein Krankenhausaufenthalt meiner Gattin (inkl. Operation) haben meinen Filmkonsum und meine Schreibtätigkeit erheblich gebremst. So wähle ich diesen kleinen Film, weil die geneigte Leserschaft ihn sich selbst angucken kann, denn er ist vollständig auf youtube verfügbar und ich muss für einmal nicht allzuviel erklären und versprachlichen.

Im Gegensatz zum letzten hier besprochenen Film René Clairs, seinem Erstling Entr’acte, schaut sein Zweitlingswerk schon fast „normal“ aus: Keine kippenden Bilder, keine seltsamen Schnitte, keine zusammenhangslosen Szenen. Die Handlung ist durchgehend verständlich und folgt einem sinnvollen Ablauf. Trotzdem wird Paris qui dort dank seinem absurden Inhalt und seiner surrealen Grundstimmung dem Avantgardefilm zugeordnet.
Clair setzt hier eine absolut schräge Geschichte um, diesmal nach eigenem Drehbuch: Als der Wärter auf dem Eifelturm eines Morgens aufwacht und von seiner Plattform auf die Stadt hinunterblickt, kommt ihm etwas seltsam vor: Nichts rührt sich dort unten. Ein Augenschein bestätigt: Die Stadt ist ausgestorben. So leer, wie sie zunächst erscheint, ist sie denn doch nicht. Der Wärter trifft in den Strassen auf Menschen, doch die verharren reglos, als wären sie mitten in der Bewegung eingefroren.

Auf dem Flughafen landet indessen ein kleines Flugzeug, dem eine Schar bunt zusammengewürfelter Individuen entsteigt, die bald auf den Wärter treffen, sich mit ihm zusammentun und in der reglosen Stadt allerhand Allotria treiben. Nach einigen waghalsigen Kletterpartien auf dem Eifelturm, macht man sich aus lauter Langeweile auf, die Lösung für die „schlafenden Stadt“ zu finden.

Der Film zeigt bereits deutliche Ansätze von Clairs nonchalantem Humor, der den Charakteren der Figuren entspringt. Die Sprunghaftigkeit der vorliegenden Fassung (die Schnitte wirken oftmals abrupt und unharmonisch) könnte auf mangelndes Ausgangsmaterial (alte, oft gespielte Kopie mit vielen Klebestellen) zurückzuführen sein. Ich besitze den Film in einer Super8-Fassung, und die sieht genauso aus – obwohl sie mit der hier gezeigten youtube-Fassung ganz klar nicht identisch ist. Möglicherweise existiert von Paris qui dort keine vollständige Fassung mehr; dass die schlechten Schnitte auf den Regisseur zurückgehen (denn er selbst war für den Filmschnitt besorgt), wage ich zu bezweifeln, denn im selben Film sind durchaus harmonischere und sinvolle Schnittfolgen zu sehen.

Ein sehr amüsantes Frühwerk des grossen französischen Filmpoeten, das einen erstaunlichen Spagat zwischen seinem experimentellen Erstling hin zu seinen späteren Werken darstellt. Viel Spass beim Betrachten!
7,5/10


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