„In einer idyllischen Gegend in Niedersachsen wird im Sekundentakt geschlachtet, immer schneller, immer billiger, immer schmutziger. Erledigt wird das Gemetzel von einer Geisterarmee aus Osteuropa.
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Die Gegend zwischen Oldenburg in Niedersachsen und Rheda-Wiedenbrück in Nordrhein-Westfalen ist Deutschlands größte Schlachtanlage. Hier werden jedes Jahr 3,5 Millionen Tonnen Schweine-, 900.000 Tonnen Geflügel- und 400.000 Tonnen Rindfleisch produziert. Schlachten, das bedeutet: Hals aufschneiden, aufhängen, Rektum aufbohren, enthäuten, aufschneiden, zerteilen, verpacken.
Wir wollen immer mehr Fleisch essen, und wir wollen es immer billiger haben. In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen führt das zu einem System aus Hochtechnologie und Menschenhandel. Alle machen mit, Firmen wie: Wiesenhof, Tönnies, Heidemark. Die Gegend ist auch eine Brutstätte für multiresistente Keime (ZEIT Nr. 48/14), gegen die manchmal keine Antibiotika mehr wirken. Es ist ein System, das krank machen kann.
Wie die meisten Söldner der Geisterarmee wurde Emilian vom Subunternehmer eines Schlachthofs angeworben – in Rumänien. Er hatte beim rumänischen Militär gelernt, wie man in der Natur überlebt, und er musste für den Job in Deutschland ein paar Hundert Euro Vermittlungsgebühr bezahlen. Er wurde nach Ahlhorn, Niedersachsen, gefahren. Untergebracht wurde er in einer Massenunterkunft, vier Männer in einem Zimmer, Stockbetten. Er arbeitete bei Heidemark, einem der größten deutschen Produzenten von Hähnchen- und Putenfleisch. Das Unternehmen sagt, es wisse nichts von den Waldmenschen. Aber Emilian hatte Ärger mit seinem Vorarbeiter. Weil der Subunternehmer oft auch Wohnraum an die Söldner vermietet, kann Ärger mit dem Vorarbeiter heißen: kein Schlafplatz im Warmen mehr, sondern eine Unterkunft im Wald. In der Nähe der Autobahn 1, zwischen Cloppenburg und Wildeshausen, hat sich Emilian ein Zuhause aus Decken und Plastiksäcken gebaut.
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Hals aufschneiden, aufhängen, Rektum aufbohren, enthäuten, aufschneiden, zerlegen. Immer dieselben Handgriffe, Tag für Tag. Die Söldner der Geisterarmee erwachen erschöpft, unmöglich zu denken, unmöglich zu träumen, unmöglich, etwas anderes zu tun, als im Halbschlaf den Gewohnheiten zu gehorchen.
Das System funktioniert nur wegen einer Gesetzeslücke. Diese Lücke heißt Werkvertrag. Um den deutschen Arbeitsmarkt zu schützen, hat die Bundesregierung bei der Osterweiterung der Europäischen Union eine Klausel durchgesetzt: EU-Neubürger müssen bis zu sieben Jahre auf eine freie Arbeitsplatzwahl in den Mitgliedstaaten der EU verzichten. So, hoffte man, würde Deutschland nicht von Billigarbeitern überrannt werden.
Irgendwer hat das Kleingedruckte übersehen: Die Dienstleistungsfreiheit galt trotzdem für die neuen Beitrittsländer. Betriebe aus den neuen Mitgliedstaaten der EU durften deshalb deutschen Unternehmen ihre Dienstleistungen anbieten – und zwar zu den Arbeitsbedingungen ihrer Länder. So arbeiten rumänische Arbeiter in Deutschland zu rumänischen Bedingungen. Und kein Staatsanwalt kann etwas dagegen tun.
Binnen weniger Monate wurden Briefkastenfirmen in Polen, Ungarn und Rumänien gegründet, allein zu dem Zweck, Arbeiter für die großen Schlachthöfe in Deutschland anzuwerben. Eigentlich dürfen Arbeiter nicht zum Zwecke der Entsendung angeworben werden. Eigentlich ist die Entsendung gesetzlich auf zwei Jahre befristet. Der ZEIT liegen jedoch zahlreiche Dokumente von Arbeitern vor, die beweisen, dass viele, die offiziell entsendet sind, schon länger am Schlachtband stehen.
Die Schlachthöfe gliedern ganze Produktionsschritte an die Subunternehmer aus. “Dadurch ist ein Milliardenmarkt mit mafiösen Strukturen, Lohndumping und moderner Sklaverei entstanden”, sagt Matthias Brümmer, der Oldenburger Sekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.
“Wir leben hier im Fettfleck, das kann man wirklich sagen”, sagt Brümmer. “Hier gibt’s mehr Viecher als Menschen in der Dichte. Und auch mehr Scheiße. Das färbt wahrscheinlich im Kopf ab.” Brümmer sagt, es gebe mittlerweile mindestens 40.000 Werkvertragsarbeiter in der deutschen Fleischindustrie. Die Zahl steige immer weiter. Das Schlachten und Zerlegen besorgten die Werkvertragsarbeiter bereits zu 80 Prozent. Neuerdings wird auch das Weiterverarbeiten und das Verpacken von Fleisch ausgegliedert. Die Preiskalkulation ist so eng, die Gewinnspannen sind so niedrig, dass das System nur noch mit einer Geisterarmee von billigen Söldnern funktionieren kann…“
Quelle und gesamter Text: http://www.zeit.de/2014/51/schlachthof-niedersachsen-fleischwirtschaft-ausbeutung-arbeiter
…capitalism works… to be continued…