Es gab in meiner Kindheit drei Ereignisse, die so prägend waren, dass sie mir bis heute in Erinnerung geblieben sind. Natürlich erinnere ich mich an eine Menge Zeug. Aber diese Ereignisse stechen heraus und haben eine großen Anteil daran, dass ich bin, wer ich bin. Das erste geht niemanden außer meiner Familie und mich etwas an. Das zweite war meine religiöse Emanzipation, als ich mich weigerte, zur Erstkommunion zu gehen. Was ich heute erzählen möchte ist einerseits zu persönlich für ein Blog (wie gut, dass kaum einer die Miszellen liest
Ich habe die Geschichte der besseren Lesbarkeit halber in zwei Teile aufgeteilt, die ich heute und am Sonntag veröffentliche. In der Woche darauf würde ich dann gerne noch eine „Diskussion“ schreiben. Deswegen lasse ich das eigentliche Geschehen von vor 30 Jahren unkommentiert.
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Ich wuchs auf in einer kleinen Stadt am Rande des Ruhrgebiets. In einer Arbeitergegend. Mein Opa malochte in einer Zeche, meine Oma war Hausfrau. Der Stadtteil, in dem ich 16 Jahre lebte war ethnisch durchmischt. Das heißt auf deutsch: Es lebten viele „Gastarbeiter“ mit ihren Familien dort. Meine besten Freunde waren marokkanische Kinder. Ich spielte mit Türken und Deutschen. Wenn Frau Z. selbst Fladenbrot buk und uns eins abgab, war das immer ein Grund zur Freude. Und einmal lud sie uns zu Couscous mit Fisch ein, was selbst meiner Oma Tränen in die Augen trieb (es war sehr scharf), das sie aber in höchsten Tönen lobte. Wir waren auf völlig unspektakuläre Art tolerant. Wir lebten einfach mit unseren Nachbarn und Kollegen. Wir wussten nicht mal, dass wir tolerant waren.
Es war sicher nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Und später wurde der Konflikt der Nationalitäten sogar richtig schlimm. Aber zu meiner Kindheit gehört, dass Freunde Freunde und Idioten Idioten waren, ungeachtet ihrer Haar- oder Hautfarbe. Manchmal waren meine Freunde sogar Idioten.
Die Grundschule, die besuchte war ein Spiegel ihrer Umgebung. Viele Kinder hatten „Migrationshintergrund“. Ich weiß nicht mehr, wie genau die Klassen zusammengesetzt waren, aber es waren mehr deutsche Kinder als Ausländerkinder. Die Konflikte, die wir damals von unseren Lehrerinnen eingeimpft bekamen, vollzogen sich eher entlang der Klassenschranken. Fräulein B., meine Klassenlehrerin in der 3. und 4. Klasse, bestand peinlich auf korrektem Hochdeutsch, damit man uns nicht sofort die Arbeiterkinder anhörte und uns jede Chance auf ein besseres (mittelständisches) Leben verwehrt bliebe.
Auf dem Pausenhof prügelten wir uns. Was heute vielleicht einen Polizeieinsatz zur Folge hätte, war für uns die ganz normale Art, Klassenhierarchien aufzubauen. Ab der 3. Klasse entdeckten wir dann auch, dass Mädchen irgendwie anders sind. Die Mädchen selber hatten das natürlich schon lange gewusst.
Die ersten Schulhofbanden bildeten sich dann auch entlang der Geschlechtergrenzen. Wir hatten zuerst eine Jungen- und eine Mädchenbande in unserer Klasse. Die Banden verbrachten viel Zeit damit, Bande zu sein. Also standen wir in einer Ecke des Schulhofes zusammen, tuschelten und guckten immer wieder zu der anderen Bande rüber. Zungen wurden heraus gestreckt. Schmähungen flogen hin und her. Und war Silke nicht verdammt süß, wenn sie die Arme in die Hüfte stemmte? Nein! Natürlich nicht. Blöde Mädchen.
Mein größter Coup der 3. Klasse war, als ich einem Mädchen den Code zu ihrer „Geheimschrift“ aus dem Ranzen stahl (Ersetze Buchstaben durch Zahlen. Wieso sind WIR da nie drauf gekommen?) und so alle ihre geheimen Zettel lesen konnten. „Skeltem ist doof“ heißt das? Na wartet. Ich war für mindestens drei Wochen der Chef der Jungs und Ehren-James-Bond.