30.11.2011 – Sie spricht sanft und leise. Sie greift gerne zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, um ihre Standpunkte zu belegen. Sie hält den Blickkontakt zu ihren Gesprächspartnern und lächelt freundlich, wenn sie über Deutschenfeindlichkeit, Zwangsehen, die Demokratieklausel oder den Linksextremismus spricht.
Kristina Schröder, seit November 2009 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, gibt sich bürgernah, tritt gerne auch mal auf dem CSD auf und beteuert öffentlich ihren Einsatz für Minderheiten oder sozial Schwache.
Freunde charakterisieren Kristina Schröder als liberal-konservativ, Gegner bezeichnen sie als erzkonservativ und Feinde beschimpfen die Ministerin zuweilen sogar als rechtslastig.
Wahlkampfmotiv „Deutschenfeindlichkeit“
Bereits im Wahlkampf zur hessischen Landtagswahl 2008 befürchtet Roland Koch erhebliche Verluste. Ende Dezember 2007 entscheidet sich der damalige Ministerpräsident deshalb für ein neues Thema. In der „BILD“ verkündet er: „Wer sich als Ausländer nicht an unsere Regeln hält, ist hier fehl am Platz“. Kurze Zeit später legt er in der „WELT“ nach: „Wir haben zu viele kriminelle junge Ausländer„.
Seine Mitstreiter greifen diese Kampfansagen auf und übersetzen sie in hessischen Wein- und Bierstuben in den Lokaljargon: „Wer Deutsche beschimpft, fliegt raus!“ oder „Wer zu uns Scheiß-Deutsche sagt, der hat hier nichts mehr verloren!“ skandieren sie und ernten dafür Zustimmung und Applaus. Manch konservativer Hesse schwärmt nach den aufpeitschenden Wahlreden vom „kurzen Prozess mit Ausländern“. Andere träumen öffentlich von „Arbeitslagern“ und „Zwangsarbeit in deutschen Wäldern“.
Roland Koch wird von verschiedenen Seiten Nähe zur NPD vorgeworfen. Und als sich sogar die konservative Konrad-Adenauer-Stiftung kritisch mit seinen Positionen auseinandersetzt und der Wahlkampf droht aus dem Ruder zu laufen, da kommt Kristina Schröder ins Spiel.
Ihr kommt jetzt die Aufgabe zu, den Thesen vom gewaltbereiten Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln einen wissenschaftlichen Hintergrund zu verleihen. Als Diplom-Soziologin und promovierte Politikwissenschaftlerin scheint sie für diese Rolle prädestiniert zu sein.
In Interviews betont sie die angeblich zunehmenden Gewalt gegen Deutsche. Bei den Tätern handelt es sich um Jugendliche mit Migrationshintergrund. Die Opfer werden nicht zufällig ausgewählt. Die Gewalt trifft sie, weil sie Deutsche sind.
Schröder spricht in diesem Zusammenhang von einem Phänomen, das eine immer größere Rolle spielt. Als Zeugen führt sie Polizisten, Staatsanwälte und Richter an. Außerdem beruft sie sich auf die Erkenntnisse des bekannten Kriminologen Christian Pfeiffer.
Auf Kriegsfuß mit der Wissenschaft
Professor Pfeiffer zeigt sich wenig erfreut darüber, von Kristina Schröder öffentlich zitiert zu werden. Gegenüber dem ARD Magazin Panorama verwahrt er sich gegen ihre Schlussfolgerungen und Interpretationen. Er spricht von einem „Missbrauch seiner Thesen“ und betont, es gebe keine Untersuchung, die belege, dass eine durch Hass auf Deutsche motivierte Gewalt zunehme.
Die Redakteure befragen daher auch die Staatsanwälte und Richter, die mit der Aufklärung entsprechender Gewaltdelikte betraut sind. Auch diese widersprechen Schröders Behauptungen und sehen keine Anzeichen für einen Anstieg deutschenfeindlicher Kriminalität.
Auf diese Widersprüche angesprochen reagiert Kristina Schröder eigenwillig:
„So ist das in der Wissenschaft. Jeder zieht seine eigenen Schlussfolgerungen.“
Dieses Credo begleitet Schröder auch ins Familienministerium, dem sie, als Nachfolgerin von Ursula von der Leyen, seit November 2009 vorsteht. Als Ministerin gibt sie eine Studie zum Thema „Zwangsverheiratung in Deutschland“ in Auftrag. Einen Tag, bevor die Studie veröffentlicht wird, schreibt Schröder einen Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zum selben Thema.
Der Inhalt des Artikels löst unter den an der Studie beteiligten Wissenschaftlern Empörung aus. Schröder gebe ihnen „das Gefühl, hinters Licht geführt worden zu sein“ beklagen sich die Beiratsmitglieder und beschuldigen die Ministerin, islamophobe Töne anzuschlagen.
Der konkrete Vorwurf: Kristina Schröder schreibt in der „FAZ“, dass die Beratungsstellen in Deutschland für das Jahr 2008 insgesamt 3.443 Fälle von Zwangsverheiratungen registriert hätten. Tatsächlich weist die Studie 3.443 Personen aus, die sich grundsätzlich haben beraten lassen. Davon hatten allerdings 60 Prozent die Beratungsstellen aufgesucht, weil sie eine Zwangsverheiratung befürchteten. Lediglich bei 40 Prozent der Ratsuchenden (also 1.377 von 3.443) handelte es sich um Fälle bereits vollzogener Zwangsverheiratungen. Hinzu kommt, dass die Zahlen der Studie Mehrfachnennungen beinhalten. Ein Umstand, auf den Frau Schröder durch den Beirat übrigens immer wieder hingewiesen wurde.
Ein weiterer Vorwurf gegen die Ministerin betrifft ihren Umgang mit der angeblichen Religionszugehörigkeit der Beratungsklienten. In ihrem Artikel behauptet sie, dass es sich nach Angabe der Betroffenen bei 83,4 Prozent der Eltern der Ratsuchenden um Muslime gehandelt hätte. Solche Daten wurden von der Studie allerdings gar nicht erhoben. Die Mitarbeiter der Beratungsstellen waren lediglich um eine subjektive Einschätzung ihrer Klienten gebeten worden, was die Wissenschaftler in der Studie auch deutlich betont haben.
Kristina Schröder folgt ihrem Motto „So ist das in der Wissenschaft. Jeder zieht seine eigenen Schlussfolgerungen“, macht aus 1.377 kurzerhand 3.443 dokumentierte Fälle und erklärt die Problematik zum traditionell muslimischen Thema. Dementsprechend fällt auch ihre markige Schlussfolgerung in der „FAZ“ aus:
„Manche traditionelle Wurzeln müssen endgültig durchtrennt werden, wenn man es ernst meint mit dem Angekommensein in Deutschland und der Anerkennung der Grundwerte und Rechtsnormen hier.“
Extremismusklausel
Auch Schröders umstrittene „Extremismusklausel“ bietet reichlich Zündstoff für Auseinandersetzungen mit der Wissenschaft.
Auf Initiative der Ministerin müssen Organisationen und Träger, die für ihren Einsatz gegen Extremismus staatliche Fördergelder bekommen wollen, eine Erklärung abgeben, in der sie sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennen. Damit nicht genug: Gleichzeitig müssen sich die Träger verpflichten, auch ihre Projektpartner auf Treue gegenüber dem Grundgesetz zu überprüfen.
Kritiker, hierunter sowohl die aktiven antifaschistischen Initiativen und Verbände in Deutschland, als auch die Zentralräte der Juden und der Muslime, beklagen, dass Schröders Klausel die Engagierten unter Generalverdacht stelle, statt sie zu unterstützen. Aus Protest verzichten bereits viele Organisationen auf staatliche Gelder und müssen ihre Arbeit demzufolge oft mittellos leisten
Im Rahmen eines Erläuterungsblattes des Familienministeriums wies Kristina Schröder ausdrücklich darauf hin, dass es Zuwendungsempfängern untersagt ist, mit bestimmten Teilen der Linkspartei zusammenzuarbeiten. Hierzu zählen unter anderem die Kommunistische Plattform, die sozialistische Linke oder die Linksjugend ['solid].
Im Februar diesen Jahres legte der wissenschaftliche Dienst des Bundestags ein Gutachten zur Extremismusklausel vor. Den Auftrag hierzu hatte Wolfgang Thierse (SPD) erteilt.
Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass es „verfassungsrechtlich fragwürdig“ sei, Trägern von Projekten gegen Rechtsextremismus überhaupt eine solche Bekenntnispflicht aufzuerlegen. Auch die Verpflichtung zur Überprüfung von Projektpartnern wird von den Gutachtern kritisch betrachtet. Schließlich ließe sich die Gesinnung von Dritten „kaum hinreichend bestimmen“.
Die Studie kommt zu dem Fazit:
„In einem Klima des Misstrauens und der gegenseitigen Gesinnungsüberprüfung dürfte sich das Erleben von demokratischer Teilhabe kaum organisieren lassen.“
Und wieder reagiert die Ministerin getreu ihrem Credo „So ist das in der Wissenschaft. Jeder zieht seine eigenen Schlussfolgerungen“. Von der Extremismusklausel rückt Kristina Schröder persönlich nicht ab, während selbst ihre Parteifreunde dem Konstrukt mittlerweile kritisch gegenüberstehen.
Linksextremismus: Eine Definitionsfrage
Kristina Schröder ist dem Vorwurf ausgesetzt, den Rechtsextremismus zu verharmlosen und den Linksextremismus gleichzeitig übermäßig zu betonen. Um beurteilen zu können, ob dies zutrifft, muss man zunächst den Extremismusbegriff der Ministerin untersuchen.
In Bezug auf Schröders Definition von Linksextremismus finden sich interessante Hinweise. So äußert sie im Mai 2008 auf die Frage nach der Berechtigung einer Überwachung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz gegenüber der „taz“: „Ich halte die Überwachung für absolut richtig„. Schließlich stelle die Partei in Teilen ihrer Programmatik die freiheitliche Grundordnung in Frage. „Die bürgerliche Gesellschaftsordnung gilt dort bei vielen schon als präfaschistisch“ ergänzt Schröder ihre Ausführungen.
Mit der Einschätzung, es handle sich bei der Linkspartei um eine linksextremistische Organisation, steht Schröder in Unionskreisen nicht alleine. Zumindest aus Bayern dringen entsprechende Standpunkte immer wieder an die Öffentlichkeit. So setzen sich Alexander Dobrindt oder Joachim Herrmann regelmäßig für ein Verbotsverfahren gegen DIE LINKE ein. Innenminister Herrmann betreibt zusätzlich das Portal „Bayern gegen Linksextremismus“, in dem die Linkspartei als extremistische Organisation und ihr Logo als Symbol der Linksextremisten bezeichnet werden.
Bei den LINKEN handelt es sich um eine demokratisch zugelassene Partei mit mehr als 70.000 Mitgliedern, einem Wähleranteil von 11,9 Prozent im Bundestag und einer Beteiligung an insgesamt 13 Landtagen. Zudem ist die Linkspartei stärkste Fraktion in Sachsen (20,6 Prozent) und Brandenburg (27,2 Prozent. Dies scheint Kristina Schröder ebenso wenig zu beeindrucken, wie das eindeutige Bekenntnis der Partei zu Verfassung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
„Linksextremismus verhindern“
Das Familienministerium unterstützt eine ganze Reihe von Initiativen, die Linksextremismus bekämpfen wollen. Hierzu zählt unter anderem auch die Zeitbild Verlag und Agentur für Kommunikation GmbH in Berlin. Das Unternehmen produziert und vertreibt eine Reihe von Publikationen, die an deutschen Schulen eingesetzt werden sollen, noch bevor die jeweiligen Inhalte ihren Weg in die Schulbücher gefunden haben.
Das Familienministerium fördert beispielsweise die September 2011 Ausgabe des Magazins „zeitbild WISSEN“, das den Titel „Demokratie stärken – Linksextremismus verhindern“ trägt.
Auf insgesamt 35 Seiten wendet sich die Publikation an „25.000 Schulen und Multiplikatoren“ und empfiehlt Lehrern die ausgiebige Behandlung des Themas Linksextremismus im Rahmen des Politik-, Gemeinschaftskunde-, Sozialkunde-, Deutsch-, Ethik-, Religions- oder Kunstunterrichtes.
In einem Vorwort begründet die Ministerin ihr Anliegen gegenüber den Schulen so:
„Extremisten bieten scheinbar einfache Antworten und schnelle Lösungen – auf Kosten unserer demokratischen Werte und unserer rechtsstaatlichen Grundprinzipien“. Linksextreme Positionen wurden in diesem Zusammenhang bisher zu wenig beachtet.“
Das Magazin beschäftigt sich mit verschiedenen Formen des Linksextremismus und leitet die Schüler an, Strategien zu entwickeln, um diese frühzeitig zu erkennen und argumentativ zu bekämpfen.
Hier heißt es unter anderem:
„Durch die Auseinandersetzung mit Ideologien wie dem Kommunismus oder Sozialismus, mit dem Trugbild einer klassenlosen Gesellschaft oder eines vermeintlichen Sozialabbaus können viele Gefahren für Demokratie und Freiheit thematisiert werden.“
Die Linkspartei wird innerhalb der Publikation namentlich nicht erwähnt. Allerdings ist stattdessen immer wieder die Rede von einem harten und einem weichen Extremismus:
„Es gibt einen harten Extremismus, der unsere politische Ordnung durch Umsturz abschaffen will. Der weiche Extremismus dagegen will die politische Ordnung von innen heraus verändern. Im Kern lehnen aber beide Formen unsere Demokratie ab.“
Fragt man sich, welche Organisationen mit den „weichen Extremisten“, die sich um eine Veränderung der politischen Ordnung von innen heraus bemühen, gemeint sein könnten, dann bleibt eigentlich nur DIE LINKE. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass im Magazin eine Liste linksextremistischer Zeitschriften abgedruckt ist, unter denen auch die Tageszeitung „neues deutschland“ auftaucht.
Hierbei handelt es sich um eine sozialistische Zeitung, die der Linkspartei nahe steht. Da sie aber selbst nicht einmal durch den deutschen Verfassungsschutz beobachtet wird, ist die Erkenntnis in Kristina Schröders „zeitbild WISSEN“ ebenso neu wie eigenartig:
„Beiträge in diesen Medien unterstützen kommunistische bzw. anarchistische Weltdeutungen und diskreditieren zugleich gegenläufige Nachrichten als „bürgerlichen Manipulationszusammenhang“. Zudem haben sie meist die Aufgabe, die Leser zu einseitigem politischem Aktivismus zu ermuntern.“
Eine gewisse soziale Intelligenz
Die Ministerin ist nicht leicht zu durchschauen. Sie wirkt moderat, offen und verständnisvoll. Wenn sie ihr ministerielles Engagement gegen Extremismus zur Sprache bringt, dann wirkt sie auf den ersten Blick redlich, lauter und demokratisch. Die tatsächliche Stoßrichtung ihrer Politik erkennt man erst dann, wenn man den Extremismusbegriff von Kristina Schröder analysiert.
Wenn sie von Linksextremismus spricht, den es zu bekämpfen und zu verhindern gilt, dann meint Schröder hiermit keineswegs nur linksmotivierte Straftäter. Für sie ist die gesamte Linkspartei ein fester Bestandteil der linksextremen Szene, der sie entschieden den Kampf angesagt hat.
Angesichts der Schwere der Straftaten aus dem linken und dem rechten Spektrum ist es bereits höchst unangemessen, in Bezug auf jeweilige Straftaten von einer vergleichbaren Bedrohung zu sprechen und gleichartige Gegenmaßnahmen zu fordern. Schließlich geht es in dem einen Bereich vorrangig um Sachbeschädigung oder Prügeleien mit Nazis und Polizisten und in dem anderen Bereich um hundertfache Morde.
Indem sie aber einen wichtigen Bestandteil des demokratischen Spektrums in Deutschland als linksextrem diskreditiert und diese krude Ansicht sogar mithilfe staatlicher Gelder an Schulen verbreiten lässt, versucht sie sich einen politischen Gegner auf Kosten des Steuerzahlers vom Hals zu halten und lässt hiermit erhebliche Zweifel an ihrem eigenen Demokratieverständnis aufkommen.
Kristina Schröder hat wiederholt wissenschaftliche Studien gegen den ausdrücklichen Widerspruch der ausführenden Wissenschaftler genutzt, um damit angebliche Phänomene wie „Deutschenfeindlichkeit“ oder „Zwangsehen in muslimischen Familien“ zu ihren Gunsten in die Öffentlichkeit zu bringen. Und sie beharrt trotz des eindeutigen Urteils des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags auf ihrer umstrittenen „Extremismusklausel„. Solche Vorgehensweisen nähren den Eindruck, es hier mit einer Politikerin zu tun zu haben, die es mit Tatsachen und belegbaren Fakten nicht allzu genau nimmt, wenn es ihrer Karriere und ihren politischen Zielen dienlich ist.
Die treffendste Beschreibung ihres politischen Stils liefert die Ministerin dabei selber. In einem Interview für Thomas Leifs Buch „Angepasst und ausgebrannt“ verrät Kristina Schröder das Rezept für ihren Erfolg:
„Wann geht man offensiv ran, wann telefoniert man rum, wann hält man besser die Klappe, wann geht man nach vorn, wann bleibt man stehen, wie sucht man sich Verbündete, wie stellt man sich dar. Das passt nicht in Algorithmen, dafür entwickelt man ein Feeling. Man muss natürlich eine gewisse soziale Intelligenz haben.“