Als eine wesentliche Ursache dieser aktuellen Entwicklung wird die letztjährige Debatte um die gesetzliche Legalisierung von Knabenbeschneidungen zu sehen sein, bei der das Verhalten führender Grüner zugunsten der Weiterführung der Beschneidungspraxis für erheblichen Unmut in der Partei gesorgt hatte. Die grüne Bundestagsfraktion hatte sich dann – nach lebhaften innerparteilichen Debatten – im Dezember 2012 bei der Abstimmung über das Beschneidungslegalisierungsgesetz bekanntlich sehr unterschiedlich positioniert.
Eine Reduzierung auf diese – wenngleich außergewöhnlich wichtige, weil grundlegende Menschenrechte von Kindern betreffende – Angelegenheit würde allerdings zu kurz greifen, sind die Grünen doch insgesamt eine Partei, die bereits in der Vergangenheit in etlichen Bereichen säkulare Positionen vertreten hat. Sowohl Beschlüsse von Bundesdelegiertenkonferenzen als auch der Bundestagsfraktion hierzu liegen vor: so wurden beispielsweise sowohl Änderungen beim kirchlichen Arbeitsrecht, das in der derzeitigen Ausgestaltung erhebliche Einschränkungen allgemein üblicher Arbeitnehmerrechte enthält, als auch die Streichung des als “Blasphemieparagraph” bezeichneten § 166 StGB gefordert.
Die Grüne Jugend hat auf ihrem Bundeskongress im Mai 2011 umfangreiche Forderungen für eine weitergehende Säkularisierung erhoben.
In der Verfassungsdebatte des Deutschen Bundestages 1991 bereits hat „Bündnis 90 / Die Grünen“ Anträge eingebracht, um den Gottesbegriff aus der Präambel des Grundgesetzes zu streichen und das Religionsverfassungsrecht neu zu strukturieren, wobei etwa der Körperschaftsstatus für Religionsgemeinschaften entfallen sollte.
Auch die bei den Grünen seit Jahren existierende BAG ChristInnen ist mit kritischen Positionen zum kirchlichen Arbeitsrecht hervorgetreten, die an manchen Punkten über das hinausgehen, was in anderen Parteien zu diesem Thema Usus ist.
Aktueller Handlungsbedarf zu säkularen Positionen
Als notwendig wird aber in den säkularen Kreisen innerhalb der Grünen angesehen, die säkularen Positionen insgesamt stärker voranzutreiben und dafür einzutreten, dass eine umfassende “Trennung von Kirche und Staat” verwirklicht und die gesellschaftlich nicht begründbaren Privilegien von Religionsgemeinschaften abgebaut werden. Die Veränderung der religiösen und weltanschaulichen Landschaft in Deutschland, der Rückgang der Mitgliederzahlen der traditionellen christlichen Großkirchen bei erheblichem Anwachsen der Anzahl religionsungebundener Gesellschaftsmitglieder, die Verbreitung humanistischer Auffassungen, aber auch das Auftreten nichtchristlicher Religionen erfordern nach ihrer Auffassung, sich auf politischer Ebene dieser Thematik konzentriert anzunehmen. Die aktuellen Ereignisse in Köln, wo in katholischer Trägerschaft stehende und aus Steuermitteln sowie Sozialbeiträgen finanzierte Krankenhäuser aus Gründen der katholischen Ideologie Hilfe für eine vergewaltigte Frau verweigert haben, zeigen zudem drastisch, dass dringender und zwar sofortiger Handlungsbedarf auf diesem Gebiet besteht. Auch die Debatten um die Garantie von umfassenden Arbeitnehmerrechten in kirchlichen Einrichtung zeigen: hier darf nichts mehr auf die lange Bank geschoben werden. Die grüne Initiative kommt gerade zur rechten Zeit.
Breites Spektrum bei den Säkularen Grünen
Die Säkularen Grünen auf Bundesebene haben ihre Basis in Arbeitsgemeinschaften und Initiativen in mittlerweile neun Bundesländern. Auf dem Bundestreffen in Mannheim waren knapp 40 Grüne aus verschiedenen Teilen der Bundesrepublik anwesend, die über mehrere Stunden über die Zielsetzungen und Programmatik Säkularer Grüner diskutiert haben. Das Spektrum der Teilnehmer reichte dabei von religiös gesinnten bis zu atheistischen Grünen, wobei diese Zusammensetzung als ebenso bedeutsam für die weitere Diskussion angesehen wird wie die Mitarbeit von etlichen Grünen mit Migrationshintergrund im bundesweiten Arbeitskreis.
Säkulares Grundstatement: eine erste Orientierung
In Mannheim ist ein Grundstatement verabschiedet worden, das eine erste Orientierung über die Zielsetzungen der Säkularen Grünen gibt. Darin wird deutlich gemacht, dass sie auf eine Gesellschaft orientieren, “in der Menschen verschiedener Glaubensrichtungen und Weltanschauungen sowie Nichtreligiöse gleichberechtigt zusammen leben” sollen. Eine Privilegierung oder eine Diskriminierung aufgrund einer Weltanschauung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion soll ausgeschlossen sein. “Privilegien von Kirchen und Religionsgemeinschaften” sollen perspektivisch abzuschaffen sein. Im Vordergrund steht für die Säkularen Grünen die freie Entfaltung der Persönlichkeit jedes Gesellschaftsmitglieds “in sozialer und ökologischer Verantwortung”.
Strikte Ablehnung der Relativierung von Menschenrechten
Die individuelle Selbstbestimmung jedes Einzelnen und nicht etwa eine Zugehörigkeit zu bestimmten Ethnien oder Religionen wird als von maßgeblicher Bedeutung angesehen. Deutlich geworden ist in den Beratungen in Mannheim, dass die Säkularen Grünen ohne Abstriche sich an den allgemeinen und unveräußerlichen Menschenrechten orientieren und deren Relativierung strikt ablehnen.
Derzeit laufen die Arbeiten an einem Grundkonsens, der auf einem nächsten Bundestreffen im März dieses Jahres beschlossen werden soll. In dem bereits beschlossenen Teil des Grundkonsenses betonen die Säkularen Grünen, dass die Veränderungen der letzten Jahrzehnte (die starke Zunahme der konfessionslosen Gesellschaftsmitglieder bei gleichzeitigem Rückgang der Mitgliederzahlen der großen christlichen Kirchen, das Vordringen humanistischer Weltanschauung sowie die Etablierung nichtchristlicher Religionen in Deutschland) eine kritische Bestandsaufnahme des Verhältnisses von “Staat und Kirche” (Gesellschaft und Religion sowie Weltanschauung) erforderlich machen und Veränderungen unabweisbar sind. “Der Abbau von Privilegien einerseits und von Diskriminierungen andererseits ist für das friedliche und gleichberechtigte gesellschaftliche Miteinander von grundlegender Bedeutung” wird betont.
In einer auf der Website des “Bundesweiten Arbeitskreises Säkularer Grüner” jüngst veröffentlichten Stellungnahme des SprecherInnenkreises wird die Bedeutung der allgemeinen Menschenrechte betont und mit Blick auf die Beschneidungsdebatte betont, dass auch Kindern in vollem Umfang die allgemeinen Menschenrechte zustehen und dass das Elternrecht stets nur ein treuhänderisches Recht ist, welches die Menschenrechte des Kindes beachten muss.
Bedeutung säkular verfassten Staatswesens wird betont
Die Bedeutung eines säkularen Staates wird in dieser Stellungnahme besonders hervorgehoben: “Nur ein säkular verfasstes Staatswesen garantiert jedem Gesellschaftsmitglied eine Selbstbestimmung in Freiheit und verweist Totalitätsanmaßungen in ihre Schranken, schützt Aufklärung und kritische Reflexion, lässt ‘jeden nach seiner eigenen Fasson selig werden’, setzt die Rahmenbedingungen dafür, dass unterschiedliche Lebensentwürfe und Lebensstile realisiert werden können und engt die Freiheit der Wissenschaft nicht durch dogmatische Vorgaben ein; ‘Gottesstaaten’ hingegen kennen kein Recht auf individuelle Selbstbestimmung und eigene Lebensentwürfe, keine Meinungs- und Redefreiheit, keine Religions- und Weltanschauungsfreiheit – und auch keine Freiheit der Wissenschaft” schreiben die SprecherInnen in ihrer Erklärung.
Reger Zuspruch für Säkulare Grüne
Sie lassen zudem verlauten, dass sich täglich Grüne aus der gesamten Bundesrepublik bei ihnen melden, um die Initiative zu unterstützen. Offenbar besteht innerhalb der Grünen großer Bedarf an einer innerparteilichen säkularen Formierung.
Man wird wohl in Zukunft in den gesellschaftlichen Debatten einiges von den Säkularen Grünen hören.
Walter Otte
[Erstveröffentlichung: hpd]
Ähnliche Artikel:
- Ja wer hätte das gedacht?
- EU will Wasserversorgung privatisieren
- „Eine Frage der Menschlichkeit“
- Kölner Kliniken in katholischer Trägerschaft weisen Vergewaltigte ab
- Das katholische Krankenhaus zeigt sein wahres Gesicht