Die Rückkehr der Political Correctness

"In einer Gesellschaft, in der Anti-Islamismus und Abgrenzung von anderen wieder hoffähig wird, in der das Bürgertum Herrn Sarrazin applaudiert, da gibt es natürlich auch an den Rändern der Gesellschaft Verrückte, die sich letztlich legitimiert fühlen, härtere Maßnahmen anzuwenden."

Zeit.de

Das ist, gemessen an Sigmar Gabriels normalen Aussagen, erstaunlich konkret, eine tatsächliche Position. Und natürlich hat er sich mittlerweile schon wieder davon distanziert und eine klassische Sigmar-Gabriel-Position daraus gemacht – überall und deswegen nirgends.

In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa versuchte er dem Eindruck entgegenzutreten, er habe einen Zusammenhang zwischen den Attentaten von Oslo und den Äußerungen Sarrazins hergestellt. Diesen Zusammenhang gebe es "natürlich nicht", beteuerte Gabriel.

ebendort

Es ist erstaunlich, wie beliebt Politcal Correctness dieser Tage plötzlich wieder wird. Plötzlich wird wieder differenziert in Deutschland. Es wird nicht in einen Topf geworfen und in einen Sack gesteckt. Es gibt wieder Dinge, die man nicht sagen darf, auch wenn sie alle denken. Es gibt Denk- und Redeverbote.

"Sigmar Gabriel missbraucht auf beschämende Weise die norwegische Tragödie für platte Revanche an seinem Genossen Thilo Sarrazin."

ausgerechnet Erika Steinbach, ebendort

Wer unangenehme Wahrheiten ausspricht, ist seit Neuestem kein Klartext-Redner mehr, sondern schamlos. Wer Tabus bricht, ist nicht mehr mutig, sondern unangemessen. Wer Äpfel mit Birnen vergleicht, wer auf einen faulen Apfel zeigt und sagt: Alle Äpfel sind schlecht, der bekommt ab sofort wieder die rote Karte und keinen Preis für Meinungsfreiheit.

Zumindest vorübergehend.

In ein, zwei Monaten werden wir dann wieder Verbote einfordern dürfen – natürlich nicht der NPD, sondern von Kopftüchern. Wir werden wieder vereinfachen dürfen – natürlich nicht, dass Sarrazin und Broder Irren das Gefühl geben, im Sinne einer geheimen Mehrheit zu handeln, aber zum Beispiel, dass Muslime einen genetischen Hang zum Terrorismus haben. Ein Broder muss sich nicht von seinem Bewunderer distanzieren, aber ein aus dem Iran geflüchteter Muslim muss öffentlich erklären, dass er hier nicht die Scharia haben möchte, so wird das dann wieder aussehen.

Der einzige Trost, der einem bleibt, ist, dass in ein, zwei Monaten dann auch keiner mehr über Anders Breivik reden wird, den werden vor allem diejenigen, die es nötig haben, aus ihrem kollektiven Gedächtnis löschen. Und ich kann ihn förmlich vor mir sehen, wie er da in seiner Zelle sitzt, und sein Foto taucht nicht mehr in den Nachrichten auf, sein Manifest gerät in Vergessenheit, sein Name verschwindet aus den Schlagzeilen, und beim 10. Jahrestag schafft es selbst dieser Anlass nicht mehr auf die Titelseiten. Ich kann sehen, wie er – den sonst zurecht verdammten massenmedialen Mechanismen sei dank – komplett vergessen wird. Einige machen sich Gedanken, ob die Gefängnisstrafe ausreicht, sogar, ob man nicht die Todesstrafe einführen müsste: Der kriegt die Höchststrafe, und er wird unermesslich leiden.

Warum?

Nicht zuletzt, um nicht weiter politisch korrekt sein zu müssen – um sein Gedankengut weiterhin hegen und pflegen zu können, muss man ihn vergessen.

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