Ich weiß nicht woran es liegt, aber ich komme immer in Situationen, in die ich weder kommen will, noch bilde ich mir ein, dass es normal ist. Da bin ich am 30. Dezember im Bahnhof unterwegs nach Hause, da kommt mir völlig unerwartet ein Mann entgegen, der mir eine Rose hinhält und meint, er würde sie mir schenken wollen und er wünsche mir ein frohes neues Jahr. Erinnert ihr euch noch an den Gag mit der Rose und dem Inder? Sowas war es nicht. Trotzdem war es mehr als seltsam. Ich habe ja letztes Jahr den Schreibkurs besucht und das Erste was man uns versucht hat beizubringen, war unsere Umgebung bewusster wahrzunehmen, Fragen zu stellen und nicht zu vergessen, dass hinter jedem Moment eine Geschichte steckt.
Wie kommt es also zu der Rose? Warum habe ich sie geschenkt bekommen? Ich glaube das ist die Frage, die am einfachsten zu beantworten ist. Ich sehe wahrscheinlich am würdigsten aus. Weniger im positiven Sinne, als aus Mitleid heraus. Jemanden wie mir mal einen Gefallen tun. Die gute Tat des Tages. Ich weiß, jetzt mache ich mich wahrscheinlich kleiner als ich bin, aber es ist wahrscheinlich auch nicht zu weit hergeholt, zu denken, dass jede andere Frau denken würde, dass sie ganz, ganz blöd angemacht wird. Vielleicht ist es auch das gewesen.
Nun ist die Frage nach dem „Wieso ich?“ geklärt, viel spannender sind jedoch alle anderen Umstände, die dazu geführt haben, dass diese Rose überhaupt an eine wildfremde Person verschenkt wurde. Zwar sagt man, dass man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schaut, aber der Blick hätte sich gelohnt. Man hätte ihn gar nicht meiden müssen. Das ist eine der schönsten Rosen, die ich je gesehen habe. So eine dicke Blüte habe ich noch nicht gesehen. Höchstens auf Bildern, aber sonst nicht.
Warum er sie wohl gekauft hat? Oder hat er sie selbst geschenkt bekommen und wusste einfach nicht, was er mit ihr machen sollte? Wie gesagt: um sie zu zerrupfen ist sie nicht nur zu schön, sondern auch zu vielschichtig. Ich glaube schon, dass er sie selbst gekauft hat. Wie sollte denn ein Mann sonst an eine Rose kommen? Und mit ihrer roten Farbe hat sie eine eindeutige Botschaft. Ist er abgewiesen worden? Er war ja im Bahnhof. Kam sie nicht? Wenn ja, wieso? Gut, jeder hat mal das Recht seine Meinung zu ändern, aber er muss sich doch dabei etwas gedacht haben. Ich für meinen Teil war so platt, dass ich mir die Frage zwar stellte, aber ich gar nicht daran gedacht habe, sie auszusprechen. Schade eigentlich, aber ich glaube nicht, dass ich eine ehrliche Antwort bekommen hätte. Wenn ich mit meiner Vermutung Recht haben würde, glaube ich nicht, dass man das gerne zugeben würde.
Vielleicht interpretiere ich auch zu viel hinein, aber was für ein Sinn steckt dahinter? Man müsste sich doch als Autor für eine Geschichte entscheiden. Aber mit Entscheidungen tue ich mich schwer und dennoch ergibt sich für mich kein anderes Bild, als das was ich versuche zu schildern. Es muss einfach etwas für ihn schief gelaufen sein, womit er nicht gerechnet hat. Ich denke schon, dass er, aus welchen Gründen auch immer, sitzen gelassen wurde. Das ist nur so ein Gefühl. Und Gefühle sind doch in solchen Zusammenhängen entscheidend. Auch wenn ich das unheimlich gerne beherrschen würde, mit der Pupillenweitung die Gedanken anderer Menschen lesen zu können, Tatsache ist jedoch: ich kann es nicht. Aber er wirkte sehr verkrampft auf mich. Was auch immer ich mit verkrampft ausdrücken will. Verkrampft trifft es am besten. Seine Hautfarbe war anders. Und wieder einmal kann ich nur sagen: verkrampft. So ein rosa-rot, so grau-weiß. Alles in Einem. Irgendwie tat er mir leid, auch im Nachhinein. Irgendwie verletzt. Das passte gar nicht zu ihm. Er war so groß, so muskulös und trotzdem war da noch etwas anderes.
Nun ja. Ich habe eine Rose und das ist das einzige war ich mit Bestimmtheit sagen kann.