Die rosarote Brille

Die rosarote Brille

Foto copyright by Rike / pixelio.de

Dreju malte unsere Zukunft in bunten Farben. Natürlich, es würde nicht leicht werden für uns als zukünftige  Patchwork-Familie: er, der Mann aus Zaire mit seiner dreijährigen Tochter und ich, die alleinerziehende Mutter mit einer 13-jährigen Tochter und einem 10-jährigen Sohn. So wie er sprach, war für ihn klar, dass er früher oder später das Sorgerecht für seine Tochter zugesprochen bekommen würde. Laut seinen Ausführungen kam seine Frau mit der Kleinen nicht zurecht. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie in die Trennung einwilligte. Dann würde sie ihm auch die Tochter überlassen, da war er sich sicher.
Wir würden eine große Wohnung benötigen, in der wir alle Platz hatten. Das würde sicher nicht leicht werden, denn den Vorstellungen der Vermieter, die eine solide Familie als Mieter suchten, würden wir mit Sicherheit nicht gerecht werden. Doch mit Geduld und Spucke würden auch wir ein schönes Zuhause finden, Dreju war da ganz optimistisch.
Noch sei es für die Wohnungssuche zu früh, erst müsse er alles geregelt haben, meinte er. Er bat mich um Geduld. "Bitte dränge mich nicht! Ich darf keinen Fehler machen, sonst habe ich meine Tochter verloren. Ich werde mich auch räumlich von meiner Frau trennen. Wann es soweit ist und wie ich das mache, das überlasse bitte mir. Warte auf mich, Du wirst es nicht bereuen!" sagte Dreju und schaute mir tief in die Augen.
Wie gerne wollte ich ihm das alles glauben. Die Zukunft, die er beschrieb, entsprach genau meinen Wünschen: endlich wieder eine komplette Familie zu haben mit dem Mann, den ich liebte.
Doch konnte das funktionieren? Wäre es nicht besser, wir würden unsere Beziehung auf Eis legen, bis alles geregelt war? Wie würde ich mit dem Wissen, dass er jedesmal, wenn er sich von mir verabschiedete, zu ihr zurück kehrte, zurecht kommen? Durfte ich ihm so sehr vertrauen? Schließlich hatte er mir die letzten Wochen das Wichtigste verheimlicht und mich angelogen. Ich wusste es einfach nicht. Ich hatte die Wahl: entweder vertraute ich ihm und hatte einen Partner an meiner Seite, den ich zwar in der nächsten Zeit nie ganz für mich hatte, der mir aber eine gemeinsame Zukunft in Aussicht stellte... oder ich würde wieder alleine sein, wie ich es die letzten 9 Jahre davor bereits war.
Mit keinem Gedanken dachte ich daran, dass ich mir irgendwann auch wieder einen neuen Partner suchen könnte. Zu sehr liebte ich Dreju. Das war für mich einfach unvorstellbar, fast schon absurd.
Ich entschied mich, ihm zu vertrauen. Ich wollte an eine gemeinsame Zukunft glauben, wollte all seinen Worten glauben, wollte glauben, dass seine Ehe am Ende war und ihn nur noch die gemeinsame Tochter bei seiner Frau hielt.
Ich verstehe jeden, der jetzt denkt: wie konnte sie nur so naiv, so blauäugig sein? Wo hatte sie ihren Stolz gelassen? Warum dachte sie nicht an die Verantwortung ihren Kindern gegenüber? Wie wollte sie den Kindern klar machen, dass ihr Partner mit einer anderen Frau verheiratet war und mit ihr auch zusammen wohnte? Wo war ihre Moral geblieben?
Heute, 17 Jahre später, stelle ich mir immer noch diese Fragen, habe sie mir schon unzählige Male gestellt.
Ich finde immer wieder nur eine Antwort darauf: ich liebte ihn sehr und wollte auf gar keinen Fall mehr alleine sein. Ich wollte ihm glauben, daher blendete ich die Realität aus, sah alles durch die rosarote Brille, obwohl ich eigentlich wusste, dass das auf Dauer nicht gut gehen konnte. Ich war nicht bereit, auf meine Liebe zu verzichten, war bereit, einen großen Preis dafür zu bezahlen, war sogar bereit, andere für meine Liebe leiden zu lassen, denn Dreju's Frau litt unter den Verhältnissen, das war klar. Auch meine Kinder fingen an zu leiden, doch ich wollte das nicht sehen, sondern redete mir ein, dass wir eine Chance hätten und bald als richtige Familie zusammen leben würden.
Ich verbannte alle warnenden Stimmen in meinem Kopf und konzentrierte mich auf unsere gemeinsame Zukunft, die nicht mehr allzu fern schien.
An diesem Abend nahm ich Dreju wieder mit zu mir nach Hause. Ich schloss ihm eigenhändig die Türe auf, von der ich ein paar Stunden zuvor noch behauptete, sie wäre nun für immer für ihn verschlossen.
Es folgte eine unvergessliche Versöhnungsnacht, in der Dreju mir zum ersten Mal ins Ohr flüsterte: "Ich wünsche mir so sehr ein Kind von Dir! Wenn die Zeit reif ist, werden wir auch gemeinsame Kinder der Liebe haben."

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