Die Roben der Macht

Die Roben der Macht

TNS, Mary Stuart (c) Frederic Iovino

Elisabeth und Maria, die sich in ihrem wirklichen Leben im London des 16. Jahrhunderts nie persönlich begegnet sind, treffen auf der Bühne des TNS (Théâtre national de Strasbourg) effektvoll aufeinander. Auf der Erde liegend, sich selbst mit Staub bewerfend, versucht Maria Stuart, Königin von Schottland, ihre Gegenspielerin Elisabeth, Königin von England, für sich zu gewinnen, um so dem drohenden Todesurteil zu entkommen. Als sie jedoch erkennen muss, dass all ihr Bitten und Flehen umsonst ist, kehrt ihr königlicher Stolz zurück und furiengleich wirft sie Elisabeth vor, nichts als ein Bastard zu sein, der die Krone Englands eigentlich unrechtmäßig trägt. Wohl wissend, dass ihre Anschuldigungen ihr nun das Leben kosten werden, zieht sie aus diesem ungleichen Kampf zumindest die Genugtuung, als rhetorische und moralische Siegerin das Feld verlassen zu haben.

Friedrich Schillers Trauerspiel „Maria Stuart“, feierte in Straßburg im Januar Premiere in einer Neuübersetzung von Eberhard Spreng und Stuart Seide. In ihr gerät Schillers Königinnendrama zur dramatischen und psychologisch nachvollziehbaren Paraphrase vom spannungsgeladenen Leben zwischen Macht und Privatheit. Mit großem Gespür für die deutsche Sprachexaktheit gelang es Spreng und Seide einen zeitgemäßen Ausdruck für den Schiller´schen Duktus zu finden, der sich zwar inhaltlich so nah wie möglich am Original befindet, jedoch in keinem Satz mit Schwulst behängt ist.

Die Roben der Macht

TNS, Mary Stuart (c) Frederic Iovino

In einem außerordentlich klug konzipierten Bühnenbild von Philippe Marioge mit beeindruckendem Lichteinsatz von Jean-Pascal Pracht präsentiert sich das Drama um das Leben der Königin von England und jener von Schottland in Straßburg in modernem Gewande. Die quer über die Bühne verlaufende, dreigeteilte dunkelgraue Paneelwand ermöglicht eine variable Raumbestimmung. Nur durch die Ausleuchtung selbst wird alternierend der linke Teil der Bühne zum Königspalast und der rechte zum Kerker. Das Geniale an diesem Bühnenbild ist die ständige Präsenz sowohl Marias als auch Elisabeths oder ihrer Entourage während der Auftritte der jeweiligen Rivalin. In etwas zurückgenommenem Licht bleiben sie ständig präsent und  verstärken auf diese Weise ihre permanente gegenseitige Bedrohung. Gekonnt gelang es Stuart Seide, der auch als Regisseur agierte, mit den Kostümen den großen Bogen zwischen der historischen Geschichte, der Entstehungszeit des Dramas genau an der Wende zum 19. Jahrhundert selbst und unserer Zeit zu spannen. Seine Königinnen, aber auch seine Lords wurden bewusst in jenen Passagen mit ihren, die Macht repräsentierenden Roben aus dem 16. Jahrhundert ausgestattet, in welchen ihr privates Interesse hinter jener der Staatsräson zurückstehen muss. Schwere, bodenlange Umhänge ermöglichen einen raschen Wechsel zwischen privater und öffentlicher Funktion. Einzig Elisabeth, die am Ende des Stückes ob ihres Tötungsbefehles für Maria von Zweifeln zernagt wird, agiert auch in dieser überaus emotional aufgeladenen Stimmung, in welcher sie tief in ihr Innerstes blicken lässt, in ihrer purpurnen Prachtrobe mit aufwendig gefaltetem elisabethanischem Kragen. Zwar verkörpert sie auch in diesem Zustand die oberste Herrscherin Englands, ihre Contenance hat sie jedoch verloren, pure Angst und aufblitzender Wahnsinn haben von ihr Besitz ergriffen. Anders als in den Aufzügen zuvor schauen in diesem Bild jedoch ihre zarten, nacktem Arme unter der schweren Robe hervor. Eine schöne Metapher für den Menschen, der unter jenem Gewand steckt, das von allen als Insignium der Macht wohl verstanden wird. Bewusst greift Fabienne Varoutsikos für die meisten Rollen auf Geschäftskleidung der 50er Jahre zurück, einzig der französische Gesandte Graf Aubespine tritt im spätbarocken Kleid mit von Rouge geröteten Wangen und Schnallenschuhen auf. Das Publikum versteht mit diesen Hinweisen sofort, wo die Jetztbezüge gut funktionieren und erwünscht sind. Aber auch, das Seide mit diesem Kostümverweis den Unterschied und die Spannung zwischen dem französischen und englischen Königshaus scharf herausstreicht.

Die Szene im Garten, in der sich die beiden Königinnen, von ihren Beratern arrangiert, schließlich widerwillig treffen, gerät zum absolut emotionalen Showdown, der keine große Ausstattung benötigt. Die raumbegrenzenden Paneele sind hoch- oder zur Seite gezogen, der Parkettboden ist lautlos einem tennisplatzgroßen Stück brauner Erde gewichen und im Bühnenhintergrund wird hellblauer Himmel projiziert. Das reicht, um Maria Stuart ein letztes Mal kurz in wonnige Naturgefühle eintauchen zu lassen. Sowohl die bis dahin milde und ruhig agierende Maria als auch die immer mit gedämpfter Stimme sprechende Elisabeth zeigen in dieser reduzierten Landschaft, welche Kraft, welche Emotionalität und welcher Hass in ihnen steckt – und verschrecken damit sichtbar die umstehenden Männer. Versteckt winkt hier durch Schillers Stück Jean Jacques Rousseau, der gerade der Natur und nicht dem Menschen selbst die mächtigsten Kräfte dieser Erde zuschrieb. Als ob von ihr selbst eine Ansteckungsgefahr ausginge, brechen unter diesem freien Himmel in den Gegenspielerinnen jene Emotionen hervor, die sie innerhalb ihrer vier Wände glaubten unter Kontrolle zu haben.  Cécile Garcia Fogel als willensstarke, dennoch aber zerbrechlich wirkende Elisabeth und die heiligengleich ständig hoch erhobenen Hauptes agierende Marie Vialle als Maria Stuart bilden zwei ebenbürtige Widerparts, die an den Männern nicht zerbrechen, sondern sie über weite Strecken in ihre Schranken weisen. Dennoch sind es die männlich inspirierten Machtspiele, die wie in einem Schachspiel aufgesetzt sind und Zug um Zug abgearbeitet werden, welche die beiden Frauen schließlich dennoch scheitern lassen.

Die feine Herausarbeitung der Ambivalenzen, die in jeder Figur dieses Schiller´schen Dramas steckt, macht einen großen Teil der gelungenen Inszenierung aus.  Vincent Winterhalter als Graf von Leicester schwankt als psychisches Leichtgewicht zwischen Macht und Liebe hin und her wie ein unsicheres Blatt am Baume und erkennt dabei sehr wohl seinen eigenen Opportunismus.  Julien Roy als kantig-markanter Baron von Burleigh, dem nichts über die Staatsraison geht, der aber dennoch im Kerkergespräch mit Maria das ihr zugefügte Unrecht erkennen muss, versucht zumindest seine Haltung nicht zu verlieren. Pierre Barrat agiert als abgeklärter, humanistischer Graf von Shrewsbury auf einen Stock gestützt, dessen Ratschläge zu spät von Elisabeth als richtig erkannt werden. Sie alle verkörpern ihre Rollen mit jener Zweigesichtigkeit, die ihnen von Schiller eingeschrieben ist und eine hohe schauspielerische Leistung verlangen.

Der Zeitbezug, in dieser Inszenierung vor allem durch das Bühnenbild und die Kostüme hergestellt, wirkt unauffällig und gerade deswegen so berauschend. Subtil schleichen sich die psychischen Nöte der Protagonisten in unsere Gedanken, lösen Erinnerungen an Charakterzüge uns bekannter Personen aus und regen zum Weiterdenken an. Seides Inszenierung schafft somit etwas, was nur ganz großes Schauspiel kann. Das TNS hat mit dieser Aufführung unter der Direktion von Julie Brochen wieder einmal bewiesen, dass es zu den führenden Bühnen Frankreichs gehört – und das gerade einmal einen Steinwurf von Deutschland entfernt.

Ein Tipp für künftige Vorstellungen: Ein Besuch des Theaters lohnt sich auch für jene, die kein Französisch können. Das TNS bietet seine Aufführungen im Stagionesystem an. Dabei wird mindestens eine Aufführung mit deutscher Laufschrift übertitelt. Informationen finden Sie auf der Webseite des TNS.


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