Da schlägt das Herz des Eisenbahnfans höher: Im Stellwerksim kann sich jeder als Fahrdienstleiter für Züge versuchen.
Ein jeder, der häufiger Zug fährt, hat vielleicht schon mal den „vorausfahrenden Zug“ verflucht, wegen dem der eigene mit einer Verspätung unterwegs ist. Tatsächlich ist es für den Laien schwer nachzuvollziehen, dass etwas so vermeintlich Überschaubares und Planbares wie das Eisenbahnsystem zu Unpünktlichkeit neigt. Nun ist das in anderen Ländern wie Japan oder Schweiz auch durchaus anders zu erleben. Die Gründe hierzulande darzulegen würden an dieser Stelle den Rahmen sprengen.
Ein Punkt, an dem Verspätungen entstehen, aber auch wieder abgebaut werden können, ist zweifellos das Stellwerk. Die Fahrdienstleiter „bauen“ für die Züge die so genannten Fahrstraßen. Sie stellen also die Signale und die Weichen für die Weiterfahrt. Das gesamte System ist in Abschnitte eingeteilt, damit möglichst kein Zug in den anderen fährt. Gab es früher noch imposante Stellpulte, wo per Hand Bahnübergänge und Signale gestellt werden konnten, wird diese Arbeit heute in elektronischen Stellwerken (ESTW) am Computerbildschirm erledigt.
Manchmal dröge, meist spannend
Wer möchte nicht gerne mal die Signale stellen?Das macht die Arbeit aber nicht minder spannend – oder dröge, je nachdem, was gerade so los ist und wie aufregend der Einzelne das Dirigieren von Zügen empfindet. Zumindest bekommt der Einzelne ein besseres Verständnis für die komplexen Zusammenhänge, die manchmal ursächlich dafür sind, dass Züge vor roten Signalen stehen, nicht in Bahnhöfe ein- oder ausfahren können und dementsprechend Verspätungen aufbauen.
Genauso wie es viele Eisenbahnspiele für den Computer gibt, existieren auch Stellwerksimulationen. Im Gegensatz zum Führerstand sind es allerdings nicht die kommerziellen Spieleschmieden, sondern meist private Initiativen von Enthusiasten, die den Privatmann zum Hobby-Fahrdienstleiter machen. Eine Simulation, die wir uns einmal näher angesehen haben, hat den Namen Stellwerksim.
In Stellwerksim übernimmt der Spieler ein Stellwerk seiner Wahl. Die Auswahl erstreckt sich mittlerweile über ganz Europa. Vor allem in Deutschland sind nahezu alle spannenden Stellwerke vertretenr. Die Stellwerke übernimmt der Spieler entweder online vernetzt. Dann können Züge an die angeschlossenen Stellwerke „weitergegeben“ werden und es entstehen ganz interessante Wechselwirkungen. Es gibt jeweils zwei Instanzen jedes Stellwerks mit unterschiedlichen Tageszeiten und Herausforderungen wie besonderen Störungen. Da jede Instanz nur einmal besetzt werden kann, sind manche Stellwerke zu Stoßzeiten am Abend „ausgebucht“. Oder aber man begibt sich – gerade als Anfänger – in den Übungsmodus, eine reine Computersimulation. Allen Stellwerken zugrunde liegt der gleiche Fahrplan, der auf echten Daten von vor einigen Jahren basiert.
Zahlen und Daten Im Jahr 2017 wurden rund 242.000 Spielstarts verzeichnet.Das längste Onlinespiel dauerte 950 Minuten (knapp 16 Stunden), im Schnitt wurde 58 Minuten gespielt.
Hamburg Hbf ist seit Jahren das beliebteste Stellwerk und zählt mit Schleswig-Holstein zu den beliebtesten Regionen im Spiel. Mit dabei sind außerdem Bremen-Niedersachsen und Baden-Württemberg.
In 92 Spieleabenden wurden in Gemeinschaft Weichen gestellt.
760 Stellwerke und etwas mehr als 98.000 Züge waren Ende 2017 in der Simulation vertreten.
Dass hier Enthusiasten am Werk sind, wird einem schon anhand der vielen Abkürzungen aus dem Bahn-Bereich klar. Der erste Stellwerksim ging vermutlich im Jahr 2004 online, verriet uns Andre Gerick, Vorsitzender des Stellwerksim Betriebs-Vereins, der im Jahr 2012 die Regie in Sachen Verwaltung und Finanzierung übernahm. Ursprünglich, so sagt er, ging Stellwerksim aus einem Editor für Schaltungen für den Simulator EEP hervor. Bis in dem Programm zum Gleisbilder zeichnen aber auch Züge fuhren, war noch viel zu tun.
Laut Gerick liegt die Programmierung bis heute bei einer Person. Acht weitere engagieren sich im Umfeld. Hinzu kommen 40 bis 50 Erbauer und Betreuer der einzelnen Anlagen. Der Betriebsverein bezahlt die Kosten nach eigenen Angaben aus einem Spendentopf, der laut Internetseite so gut gefüllt ist, dass derzeit gar nicht mehr aktiv um Spenden geworben wird. Technisch basiert Stellwerksim auf einem Java-Programm, das plattformunabhängig ist, also auf PC, Mac oder unter Linux gleichermaßen funktioniert. Die Grafik ist recht realitätsgetreu, aber eher zweckmäßig. Auch Installation und Betrieb setzen etwas Computerkenntnis sowie eine Registrierung auf der Internetseite voraus.
Kein 3D, sondern etwas fürs Köpfchen
Wer spektakuläre 3D-Züge erwartet, muss sich anderweitig umschauen. Wie im echten Stellwerk sind es die sich zum Teil langsam, zum Tell schnell bewegenden roten Linien auf dem Schalttisch, die für die Züge stehen. Signalstörungen, Stromausfälle und vor allem Vorverspätungen können den fahrplantreuen Fahrdienstleiter zur Weißglut bringen. Vor allem stellt sich bei viel Verkehr rasch der Effekt ein, dass der Ungeübte den Überblick verliert oder Lokführer auf Nebengleisen stehen sich vor roten Signalen die Beine in den Bauch. Spätestens nach ein paar Minuten werden diese auch etwas harsch im Ton und fragen im Stellwerk per Text-Chat nach, warum es denn nicht weitergeht. Das sind die Momente, in denen der Simulator am meisten Spaß macht.
Wer sich für Eisenbahnen begeistern kann und wen die Grafik und das Bahn-Vokabular nicht schrecken, der kann durchaus Suchtpotenzial in dieser Simulation entdecken. Vor allem: Gucken kostet nichts. Und sei es nur, dass bei der nächsten Zugfahrt die Toleranzschwelle für „die bei der Bahn“ etwas steigt. Wenn das nicht der Stellwerksim schafft, dann schafft das sonst keiner.