Die Richter zweifeln, weil eine Analyse der Krise fehlt

Das Bundesverfassungsgericht hält das Anleihekaufprogramm der EZB für rechtswidrig, will darüber aber selbst nicht entscheiden, sondern dem EuGH den Vortritt lassen. Die Entscheidung der Karlsruher Richter wird hierzulande allgemein begrüßt. Die Mehrheitsmeinung in Deutschland ist der Auffassung, dass die EZB ihre Kompetenzen mit dem 2012 beschlossenen OMT Programm überschritten habe. Überschritten vielleicht, nur falsch war das nicht.

Es sind jene Politiker und Experten, die sich selbst lobend auf die Schulter klopfen, weil sie glauben, dass ihre Krisenpolitik seit einiger Zeit zu wirken beginne. Diese angenommene wie falsche Wirklichkeit würde es aber nicht geben, hätte Mario Draghi auf seine Ankündigung verzichtet, im Notfall Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe aufkaufen zu wollen. Ohne OMT hätten die Spekulanten, die auf die Pleite ganzer Staaten wetteten, gewonnen und damit den Zerfall der Eurozone erreicht.

Allein die Ankündigung Draghis beendete das Chaos an den Finanzmärkten. Wohlgemerkt, nur die Ankündigung. Denn das Programm ist bis heute nicht zum Einsatz gekommen. Die Richter in Karlsruhe wie auch Bundesbanker, Politiker und Mainstream-Ökonomen geißeln also etwas, dass bisher nur in der Theorie existiert. Die Justiz, die zur Ökonomie selten etwas Vernünftiges zu sagen hat, lässt aber immerhin die in den Medien unterschlagene Möglichkeit offen, das bestehende Vertragswerk der EU entsprechend zu ändern.

Eigentlich geht es um die Frage, ob ein regelkonformes Nichtstun dem vorzuziehen ist, was vernünftig war, als die Politik jämmerlich versagte. Die Regierungen wollten den Euro retten, taten aber nichts und trieben die Währungszone mit unbedarften Äußerungen an den Rand eines Kollapses. Draghi musste reagieren und die Politik akzeptierte das auch, weil sie ganz genau um die brisante Lage wusste, dies aber öffentlich nicht zugeben wollte.

Doch die Luft, die der EZB-Chef den Regierungen verschaffte, nutzten diese nicht für eine ehrliche Analyse der Krise, sondern für ein absurdes Diktat. Kredite nur gegen Auflagen oder anders ausgedrückt, Hilfen nur gegen die Bereitschaft zum wirtschaftlichen Selbstmord. Inzwischen steht der Euro nicht mehr für Wohlstand, sondern für wachsende Armut. Im Süden Europas übersteigt die Arbeitslosigkeit jedes nur erträgliche Maß. Die Wirtschaft schrumpft und die Deflation ist längst Realität. Im Norden hält die Selbsttäuschung weiter an. Haushaltskonsolidierung und Sparpolitik, das ist das Modell, dem sich alle anschließen sollen.

Deflationsgefahr wird systematisch unterschätzt

Das OMT-Programm der EZB kritisierten die Wahrnehmungsgestörten aus Deutschland vor allem mit der Furcht vor einer galoppierenden Inflation. Das Gegenteil ist seit 2012 der Fall. Die Preisstabilität ist nicht durch Inflation, sondern durch Deflation in Gefahr. Diese wird hierzulande aber weiterhin unterschätzt, da sich Verbraucher über fallende Preise doch freuen müssen. Aus Sicht der meisten Deutschen sei es eben viel gefährlicher, wenn die EZB direkte Staatenfinanzierung betreiben und die Schulden der einzelnen auf alle in der Eurozone übertragen würde.

Die Wirtschaftsredaktionen bagatellisieren deshalb die Deflationsgefahr und begrüßen das Stillhalten der EZB, die auf eine weitere Zinssenkung in der vergangenen Woche verzichtet hat. Dass die Zentralbank angesichts der desolaten Wirtschaftspolitik in der Eurozone ihr Pulver längst verschossen haben könnte, kommt den Redakteuren indes nicht in den Sinn. Sie sehen sicherlich noch etwas anderes. Eine niedrige Inflationsrate hilft nämlich dabei, die relative Wettbewerbsposition der Eurozone gegenüber dem Rest der Welt zu verbessern. Und nichts anderes hat die Mutti als Ziel ihrer Kanzlerschaft bekanntlich ausgegeben.

Um das zu erreichen, muss der Anstieg der Lohnstückkosten dramatisch gebremst werden. Eine Forderung, die auch der Zentralbankchef Mario Draghi offen unterstützt und damit belegt, dass er eben nicht wie allenthalben kolportiert, eine eigene und damit verbotene Wirtschaftspolitik betreibt, sondern sich vielmehr den irrsinnigen Ansichten der Finanzminister beugt, die das kollektive Sparen als Klassenziel ausgegeben haben. So wirken die vielen Arbeitslosen in der Eurozone, deren Hoffnungslosigkeit und der dramatische Zustand ganzer Volkswirtschaften hierzulande als notwendiges Übel auf dem Weg zurück ins Paradies.

Wenn man sich also die Diskussion seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts anschaut, verfestigt sich der Eindruck, dass der ungeordnete Zerfall des Euro für einige weit weniger dramatisch wäre, als ein möglicher Verstoß der EZB gegen EU-Vertragsrecht. Die Lösung muss daher lauten, der Zentralbank auch politisch eine aktivere Rolle zuzugestehen, damit diese unser aller Währung auch beschützen kann. An den grundsätzlichen Problemen ändert das freilich nichts. Denn eine vernünftige Wirtschaftspolitik zu betreiben, bleibt Aufgabe der gewählten Regierungen, die aber bisher, wie oben schon erwähnt, jämmerlich versagt haben.


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