Die Retter aus dem Ruhestand

Die Retter aus dem  RuhestandZeichen, aber kein Wunder. Der 72-jährige Joachim Gauck wird neuer Bundespräsident. Der 73-jährige Otto Rehhagel zieht auch nach Berlin. Der eine soll die Hertha retten, der andere die Demokratie. Der eine spielte 1963 schon bei Hertha, als Heinrich Lübke in einer ersten Amtszeit seine Mitarbeit beim Aufbau der Heeresversuchsanstalt Peenemündezu im Präsidentenamt abbüßte. Der andere wurde Vater, als Walter Ulbricht gerade mit dem Mauerbau begann, und Missionar in Rostock, als Rehhagel seine Fußballschuhe auszog. Rehhagel, der Griechenland schon einmal gerettet hat, hat das Wembley-Tor dereinst nochlive gesehen, in Schwarz und Weiß auf auf 50 Zentimeter Röhre. Gauck, als Behördenchef nicht viel verbindlicher als "König Otto" auf dem Platz, erlebte die Einführung des "Trabant 601" als junger Kerl mit. Entschied sich aber aus moralischen Gründen, lieber einen VW-Bus aus dem Westen zu fahren.
Zwei Männer, eine Generation. Deutschlands Zukunft, die Kommentatoren sind sich einig, liegt in der Vergangenheitm, wie auch die tagesaktuell zur Amtseinführung platzierte Studie „Fortschrittsreport Altersgerechte Arbeitswelt“ beweist, die Sozialministerin Ursula von der Leyen in der "Bild"-Zeitung vorstellt hat. Danach steigt die "Produktivität eines Betriebes signifikant an, wenn der Anteil der älteren Beschäftigten wächst". Logisch denn, "Ältere haben mehr Erfahrung, machen deshalb weniger Fehler".
Gauck bedeute deshalb Neuanfang, sagt Cem Özdemir. Hertha brauche einen Neuanfang, schreibt die „Morgenpost“. Aus alt mach neu, empfiehlt die auf Recyclingbasteln spezialisierte Bastelfrau. Der 70-jährige Peter Ulrich Heuer aus Bad Salzuflungen lernt Keyboard, die 73-jährige Gesine Wessels gehört beim SV Strücklingen zu den eifrigsten Ablegern des Sportabzeichens, das schon DDR-Staatschef Ulbricht jung gehalten hatte. Die 87-jährige Brunhild Stuerckow arbeitet als Freelancerin im Internet. Und der 40-jährige Vitali Klitschko muss immer noch als Box-Weltmeister amtieren, weil kein Nachwuchs in Sicht ist.
Der demografische Wandel, vielbeschworen und nie verstanden, er ist an der Spitze der politischen Alterspyramide angekommen. War der Mauerfall noch Zeichen der Rebellion einer Jugend, der die nichtweichenwollenden Alten an der Staatsspitze die Karrieren verbauten, so orientiert sich Deutschland 22 Jahre später um: Aufbruch heißt Bewahren, Entwicklung heißt, auch mal einhalten können. Umkehr ist in, Alter erste Bürgerpflicht.
Es waren doch nicht alle schlecht! Ohne Greise geht es nicht. Wolfgang Schäuble wird demnächst 70, muss aber weitermachen. Wer sonst soll Griechenland retten? Den Euro? Europa? Peer Steinbrück könnte Kanzler - er würde mit 70 seine erste Amtszeeit beenden. Sollen die Ermittlungen gegen die Terrorbande NSU nicht scheitern, muss der Vertrag des im Sommer zur Verrentung anstehenden BKA-Chefs Jörg Ziercke natürlich bis zum Abschluss des Verfahrens verlängert werden. Ziercke wird mit 65 aus dem regulären Beamtenalter heraus sein, wenn Zschäpe vor Gericht steht. Aber 65 ist doch kein Alter! Konrad Adenauer war 73, als er zum ersten Mal Bundeskanzler wurde. Er war 87, als er aus dem Amt schied.
Das eröffnet der Republik, die stolz wie Bolle ist, wenn ihre höchsten Repräsentanten in kleinen Hinterzimmerklüngelrunden würdevoll ausgeschachert werden, weil das die Demokratie stärkt völlig neue Perspektiven. Hell aus dem dunklen Vergangnen, leuchtet die Zukunft hervor! Nach dem Platzen der schwarz-gelben Koalition übernimmt SPD-Urgestein Hans-Jochen Vogel eine geriatrische Rettungsregierung. Der Mann ist erst 86, ein Jahr älter als sein 85-jähriger Vizekanzler Hans-Dietrich Genscher.

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