Die republikanischen Zauberlehrerlinge, Teil 1: Blick in die Geschichte

Walle! walle
Manche Strecke,
dass, zum Zwecke,
der Hass fließe
und mit reichem, vollem Schwalle
zu Obama sich ergieße.
Und nun komm, du Basis-Besen!
Nimm die schlechten Phrasenhüllen;
bist schon lange Knecht gewesen:
nun erfülle meinen Willen!
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!
Ach, das Wort, worauf am Ende
er das wird, was er gewesen.
Ach! nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!
O du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.
Man muss sich die republikanischen Spitzenpolitiker und Funktionäre derzeit vorstellen wie einen ganzen Haufen Zauberlehrlinge, die den einmal belebten Besen, der ihnen die Democrats aus dem Weißen Haus kehren sollte, nicht mehr unter Kontrolle bekommen. Ihre eigene Basis, um im Bilde zu bleiben, ist der Geist, den sie nicht mehr loswerden. Das Wort, das am Ende den Besen wieder entmystifizieren könnte, haben die Republicans allerdings noch nicht entdeckt. Möglicherweise gibt es auch keins. Geister kommen leicht aus Flaschen heraus, sie wieder hineinzubekommen, das ist die wahre Kunst.
Die republikanische Partei steht aktuell in einem ungeheuer hart geführten Kampf um ihre eigene Seele. Auf der einen Seite steht Donald Trump, der zwischen 30% und 50% der Basis für sich und seine autoritäre Botschaft mobilisieren kann, zusammen mit einigen Opportunisten oder Außenseitern wie Chris Christie und Jeff Sessions¹. Auf der anderen Seite stehen alle anderen, aus den verschiedensten, sich oft gegenseitig ausschließenden Motiven. Ted Cruz, Marco Rubio, Rupert Murdoch, die Koch-Brüder, Mitt Romney. Es sind seltsame Bettgefährten.
Für sie ist die Sache klar: Trump, ein vollendeter Entertainer und Populist, hat die Parteiplattform gekapert und drückt ihr nun seinen Willen auf. Unter dem Hashtag #NeverTrump formierten sie sich als Gegenbewegung, um nun, eine Minute vor zwölf, seine Nominierung doch noch zu verhindern. Was sie dabei nicht sehen, oder nicht sehen wollen, ist, dass die Wurzeln des Trump-Phänomens wesentlich tiefer greifen.
Kurz gesagt: dass die republikanische Partei einem Menschen wie Trump überhaupt verfallen kann, ist die Schuld der Parteieliten selbst, die glaubten, den modrigen Bodensatz für sich und ihre Zwecke vereinnahmen zu können. Sie entfachten die Flammen, die sie 2010 und 2014 zu beeindruckenden Siegen in den Midterm-Elections trugen, selbst. Nun ist das Feuer außer Kontrolle geraten. Um zu verstehen, was dabei genau passiert ist, müssen wir eine ganze Weile zurückgehen.
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sah eine lange, fast ungebrochene Dominanz der Democrats im Kongress. Zwischen dem New Deal und dem Zusammenbruch des Ostblocks hielten sie fast durchgehend eine Mehrheit. Nicht einmal Ronald Reagan oder Richard Nixon konnten, trotz erdrutschartiger Siege in den Präsidentschaftswahlen, ernsthafte Dellen in diese Dominanz schlagen. Sie beruhte auf zwei Säulen: der New-Deal-Koalition, die Franklin Roosevelt aufgebaut hatte - und die vor allem aus den Minderheiten und Entrechteten der Nation bestand - und der wesentlich älteren Basis der Democrats in den Südstaaten. Die beiden Teile dieser Partei hatten nur wenig miteinander gemeinsam, und in einer Ära geringer Polarisierung ergaben sich oft genug Überschneidungen mit den Republicans, um eine große Kontinuität zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und den 1960er Jahren zu gewährleisten.
Hier jedoch kam es zum Bruch. John F. Kennedy und besonders sein Nachfolger Lyndon B. Johnson brachten die Democrats auf einen Kurs der Bürgerrechtspolitik und versuchten, vor allem Frauen und Schwarzen mehr Rechte einzuräumen. Besonders im Süden stieß dies auf erbitterten Widerstand. In den primaries von 1964 verdrängte der radikale rechte Populist Barry Goldwater seine moderaten Konkurrenten (und verlor erdrutschartig gegen Johnson). Die Republicans aber wurden durch Goldwater deutlich nach rechts gezerrt und feierten mit dieser Strategie in den Midterms 1966 erste Erfolge.
Gleichzeitig schoben die Proteste und die Annäherung der Democrats an die Demonstranten immer mehr südliche Democrats in das Lager der Republicans, die sich massiv um ihre Stimmen bemühten und damit das unter Roosevelt begonnene realignment² abschlossen. Gleichzeitig brachen die Befürworter einer aggressiven, interventionistischen Außenpolitik mit den Democrats, die sich immer mehr der Friedensbewegung abwandten, und gingen als so genannte Neoconservatives, oder kurz Neocons, zu den Republicans. Es war diese Gruppe, die unter Reagan und George W. Bush so viel Einfluss gewinnen sollte.
Diese Prozesse dauerten lange Zeit, und Gewohnheiten hielten. Zudem war die republikanische Führung zögerlich, vollständig auf diese südstaatenzentrische Strategie zu setzen, um nicht die Stimmen moderater Republicans im Nordosten und Westen zu verlieren (bis in die 1990er Jahre war etwa Kalifornien solide republikanisches Territorium). Diese Zögerlichkeit kann man Newt Gringrich nicht gerade vorwerfen, der von 1989 bis 1994 als Minority Whip für die Linientreue der republikanischen Abgeordneten im House of Representatives zuständig war. Er gilt als der Architekt des republikanischen Wahlsiegs bei den Midterms 1994, als die Republicans zum ersten Mal seit 40 Jahren eine Mehrheit errangen. Diese Mehrheit errang er durch eine konsequente Mobilisierung der radikalen Basis gegen das Washington Establishment vornehmlich im Süden und Mittleren Westen.
Der schärfere und radikalere Tonfall, der dadurch Einzug hielt, zeigte schon bald Früchte. Die Republicans arbeiteten massiv daran, die Legitimation von Präsident Clinton zu untergraben und fuhren eine Reihe von persönlichen Attacken. Ihren Höhepunkt fand diese Kampagne in der Ausschlachtung des Sex-Skandals mit Monica Lewinsky und dem folgenden impeachment.
Unter George W. Bush brodelte die so angerührte Suppe leise weiter. Noch war das Parteiestablishment in der Lage, die Basis unter Kontrolle zu halten und für chirurgische Schläge zu mobilisieren. So konnte Bush 2000 und 2004 darauf zählen, dass unverhohlen schwulenfeindliche Kampagnen die republikanische Wahlbeteiligung treiben würden. Auch die persönliche Diffamierung erreichte im Wahlkampf 2004 neue Höhen, als John Kerrys fleckenfreie Vita als Kriegsheld in den Dreck gezogen und er als verweiblichter Schwächling dargestellt wurde, weil er französisch sprechen konnte.
Das alles ging jedoch völlig in den Schnellgang, als Obama gewählt wurde. Die Republicans verlegten sich auf Totalopposition. Egal was Obama vorschlug, egal wie sinnvoll es war, sie waren dagegen. War es etwas, das Republicans vorher selbst vertreten hatten - wie etwa ein das Obamacare Mandate oder Cap+Trade) gaben sie die Forderung auf und positionierten sich rechts davon. Da Obama selbst ein ziemlich zentristischer Politiker ist, verschob sich die GOP - ohnehin bereits unter Gingrich und Rove stark nach rechts gerückt - noch weiter in die Außenbereiche. Diese Strategie trug weiterhin Früchte: 2010 eroberten die Republicans das 2006 verlorene Repräsentantenhaus zurück, 2014 übernahmen sie sogar die Kontrolle im Senat. Gleichzeitig wurde Obama an jeder Ecke in seiner grundlegenden Legitimität in Frage gestellt:
  • Nicht einmal die Hälfte seiner Nominierungen wurden bestätigt (die Norm sind zwischen 70% und 90%)
  • der Kongress gestattete ihm nicht zum gewünschten Termin eine Rede zu halten
  • während der State of the Union brüllte ein republikanischer Abgeordneter "Lügner!" durch den Saal
  • die republikanischen Abgeordneten sabotierten seine Verhandlungen mit Iran
  • sie luden hinter seinem Rücken Benjamin Netanjahu zu einer Rede ein
  • sie weigerten sich, eine Anhörung zum Budget-Vorschlag zu machen
  • sie stimmten dagegen das debt ceiling zu erhöhen
  • sie weigern sich, Obamas Supreme Court Nominierung auch nur zu diskutieren
  • ein Abgeordneter warf einen Vorschlag Obamas, Guantanomo zu schließen, ungelesen in den Papierkorb, filmte sich dabei und lud das Video hoch
  • der Kandidat der Republicans 2012, Mitt Romney, verbündete sich mit den Leuten die behaupteten, der Präsident sei in Wirklichkeit Kenianer und Muslim

Das alles sind nie dagewesene Vorgänge, die weit über normale Oppositionspolitik hinausgehen. Sie waren letztlich erfolglos. Obama wurde mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt, Obamacare wurde vom Supreme Court bestätigt und Obamas Außenpolitik trägt Früchte. Nun wollten die Republicans ihre Chance nutzen und 2016 einen starken, wählbaren Kandidaten gegen eine vermeintlich schwache Hillary Clinton ins Rennen schicken. Doch dann kam Trump, und seither ist der Tanz der gerufenen republikanischen Geister der einer Bande wildgewordener Derwische. Die Gründe hierfür werden wir im zweiten Teil untersuchen.
--- ¹Jeff Sessions ist Senator aus Alabama. In der Reagan-Ära scheiterte er mit seiner Nominierung als Bundesrichter, damals ein unerhörter Vorgang (die Opposition gestattete dem Präsidenten damals noch, seinen Job zu machen), weil er zu rassistisch und mit zu radikalen Gruppen assoziiert war. Die Republicans in Alabama wählten ihn dennoch zum Senator. Sessions ist der erste Senator, der Trump ein endorsement gegeben hat.
²Unter realignment versteht man die Umorientierung von Wählerschichten. Die Democrats wurden die Partei der Bürgerrechte, die Republicans die der weißen, konservativen Mehrheit.

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