Als ich am Abend des 23. Juni 2016 gebannt vor meinem Laptop den Ausgang des Brexit-Referendums verfolgte, war ich mir ziemlich sicher, dass sich die Briten für einen Verbleib in der EU entscheiden. Dennoch blieb ich dran, obwohl ich saumüde war und mich eigentlich lieber in meine Kissen gekuschelt hätte. Spät in der Nacht trudelten dann die ersten Wahlergebnisse ein und ich war wieder hellwach. Ich konnte einfach nicht glauben, dass da nacheinander sämtliche Landesteile den Austritt befürworteten. Jetzt erst begriff ich, wie sehr wir alle diese Wahl unterschätzt hatten. Mir wurde angst und bange. Als dann am frühen Morgen das Ergebnis feststand, liefen mir ununterbrochen Tränen über die Wangen. Ich war erst vor zwei Jahren in dieses Land ausgewandert, von dem ich glaubte, dass es eines der offenherzigsten Nationen überhaupt beherbergte und dessen enge Verbindungen zum Kontinent und speziell zu meiner Heimat Deutschland eine große Erleichterung darstellten. Familie und Freunde konnten mich unbeschwert besuchen, meine Rechte als EU-Bürgerin waren geschützt. Und nun war plötzlich alles infrage gestellt. Musste ich mich jetzt womöglich auf meine Rückkehr nach Berlin gefasst machen?
In den Medien kursierten plötzlich Berichte über ausländerfeindliche Briten, verstörende Parolen nach dem Motto „Make Britain great again“. Die ersten Tage nach dem Referendum fühlten sich an wie ein zermürbendes Vakuum. Ich vermied es, aus dem Haus zu gehen oder zumindest Englisch zu sprechen, aus Angst mein Akzent würde mich verraten und ich würde misstrauischen Blicken oder gar Kommentaren ausgesetzt sein. Für mich und viele meiner deutschen Landsleute, die in Großbritannien leben und arbeiten, rückte plötzlich neben existenziellen Sorgen auch der Kummer um unser eventuell gefährdetes Willkommensein in den Mittelpunkt. Irgendwann habe ich wieder Zuversicht gefasst, hauptsächlich weil meine englischen Freunde und Nachbarn mich noch immer liebevoll in ihrer Mitte willkommen hießen. Bisher bin ich niemandem begegnet, der mir aufgrund meiner EU-Herkunft feindlich gesinnt wäre. Also habe ich diese Paranoia zum Glück schnell überwunden, aber ein wenig sticht es natürlich immer noch.
Auch für viele Briten ist der Brexit Grund zur Sorge. Hier zeigt ein Brexitometer in Leeds die dortige Stimmungslage.
Was aber inzwischen viel schwerer wiegt, ist die Tatsache, dass bereits im März des nächsten Jahres der Austritt Großbritanniens aus der EU erfolgt und niemand von Seiten unseres Gastlandes uns auch nur ansatzweise erklärt, wie es um unsere Zukunft als EU-Bürger in Großbritannien bestellt ist. Das Home Office, das britische Innenministerium, hüllt sich bisher in Schweigen. Und so hat die deutsche Botschaft nun beschlossen, selbst eine Aufklärungskampagne durchzuführen und landesweit Informationsabende zum Brexit ins Leben gerufen. In der letzten Woche konnte ich glücklicherweise an einer solchen Veranstaltung in der Universität von Leeds teilnehmen und möchte an dieser Stelle gern teilen, was uns dort mitgeteilt wurde. Anwesend waren der Honorarkonsul Mark Green, der Anwalt für Immigrationsrecht Christopher Desira sowie der Leiter der Abteilung für Rechts- und Konsularwesen der deutschen Botschaft in Großbritannien Hans-Günter Löffler, der hauptsächlich das Wort ergriff.
Der Anwalt für Immigrationsrecht Christopher Desira sowie der Leiter der Abteilung für Rechts- und Konsularwesen der deutschen Botschaft in Großbritannien Hans-Günter Löffler stellen sich am 9. Oktober 2018 den besorgten Fragen deutscher EU-Bürger in der Uni Leeds.
Folgende Fragen wurden uns beantwortet:
Wie verhält es sich mit dem Aufenthaltsrecht als deutsche EU-Bürger/innen nach dem Brexit?
Bereits im Vorfeld erfuhren wir eine recht ernüchternde Tatsache, denn alle folgenden Punkte sind nur unter der Voraussetzung gültig, dass es ein geregeltes Austrittsverfahren, d.h. einen Deal zwischen der EU und Großbritannien gibt. Sollte Großbritannien im März 2019 die EU ohne Austrittsvereinbarung verlassen, ist nicht sicher, ob dieses Vorgehen gewahrt wird.
Laut britischer Regierung soll es in Zukunft ein vereinfachtes Verfahren geben, dass das bisherige bürokratisch äußerst aufwendige Verfahren der sogenannten „permanent residence“ ablöst. Dieses war bisher an verschiedenste Auflagen geknüpft und umfasste ein 80-Seiten langes Formular, wobei u.a. Dokumente wie Pässe im Original an das Home Office eingesandt werden mussten. In Zukunft sollen EU-Bürger einen sogenannten „settled status“, eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung, erwerben können. Allerdings ist dieser Status nicht zu verwechseln mit dem Erwerb der britischen Staatsbürgerschaft. Dieses Verfahren ist ein anderes und soll an dieser Stelle daher nicht weiter ausgeführt werden. Der „settled status“ schützt vorrangig die EU-Rechte der Antragssteller/innen, wie sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehen.
Welche Voraussetzungen muss ich erfüllen?
Der Erwerb des „settled status“ ist an drei Voraussetzungen geknüpft:
- Antragssteller/innen müssen EU-Bürger sein.
- Zum Zeitpunkt der Antragsstellung müssen Antragssteller/innen insgesamt 5 Jahre in Großbritannien gelebt haben, der Nachweis darüber soll in Zukunft über verschiedene Register, z.B. der Steuerbehörde oder des Arbeitsamtes, des National Police Computers o.ä. automatisch abrufbar sein, somit entfällt die Nachweispflicht für Antragssteller/innen.
- Es dürfen keine schwerwiegenden Straftaten verübt worden sein.
Wie lange habe ich Zeit, den Antrag zu stellen?
Das Registrierungsverfahren beginnt im März 2019. Wer den „settled status“ erwerben will, sollte sich bis spätestens Ende 2020 (Stichtag 31. Dezember) registrieren. Dies entspricht dem Ende der Übergangsperiode. Darüberhinaus soll es eine zusätzliche 6-monatige Fristverlängerung geben.
Falls die 5 Jahre bis zu diesem Stichtag noch nicht erreicht wurden, muss ein sogenannter „pre-settled status“ beantragt werden. Sobald dann die 5 Jahre voll sind, kann daraufhin der „settled status“ beantragt werden.
Wie erfolgt die Antragsstellung?
Da es in Großbritannien keine Bürgerämter gibt, mussten bisher Pässe und sonstige Dokumente im Original per Post an das Home Office geschickt werden, oft mit einer unfassbar langen Wartezeit und der Unsicherheit des Dokumentverlustes, denn auch eine Eingangsbestätigung verschickt diese Behörde in der Regel nicht. Dieses Risiko soll in Zukunft wegfallen, denn die Registrierung erfolgt auf elektronischem Weg, und zwar über das Smartphone. „Vergessen Sie Ihr I-Phone“, scherzte der Botschaftsrat, allerdings mit eher zynischem Unterton, denn die entsprechende App soll scheinbar nur über Android-Betriebssysteme funktionieren.
Der Vorgang wäre dann folgender:
- Man lade sich die Registrierungsapp auf das Telefon.
- Man mache sich zurecht und knipse ein Selfie.
- Man knipse ebenfalls den Pass. Dieser muss allerdings über einen Chip verfügen. Erkennbar ist dieser auf dem Umschlag des Reisepasses. Dort muss folgendes Symbol aufgedruckt sein:
Über diesen Chip werden dann sämtliche persönliche Daten in den Registrierungsantrag geladen.
Nun noch auf den Absende-Button gedrückt und die Daten landen hoffentlich nicht in den Händen von Cyberkriminellen, sondern sicher beim Home Office.
Nun ist dieser umweltfreundliche Übergang von der papiernen hin zur elektronischen Datenübermittlung zwar zeitgemäß, aber scheinbar hat das Home Office Menschen mit erschwertem Zugang zu hochmodernen technischen Geräten wie zum Beispiel ältere Generationen oder auch Menschen mit Behinderung dabei nicht berücksichtigt. Als die deutsche Seite daraufhin Einspruch erhob, teilte das Home Office mit, dass es sich dabei ja bitteschön um eine kleine Minderheit handelte und man versicherte hocherfreut: „We can bring the computers to the vulnerable German citizens“. Dass es sich dabei wohl nur um eine lapidare Abwehrhaltung handelt, beweist allein die Tatsache, dass der konstruktive Vorschlag seitens der deutschen Botschaft, die 3500 Bibliotheken, die über PCs verfügten, in das Registrierungsverfahren mit einzubeziehen, einfach ignoriert wurde. Es ist daher zu vermuten, so Herr Löffler, dass die britische Regierung v.a. daran interessiert ist, die jüngere und technisch begabte Einwanderergeneration möglichst schnell „durchzuschleusen“.
Dennoch soll die Antragsstellung in Zukunft auch dahingehend einfacher gestaltet werden, als dass fehlende oder fehlerhafte Angaben nicht wie bisher üblich zum sofortigen Ablehnungsbescheid führen, sondern das Home Office ist scheinbar an einem stärkeren Dialog interessiert und wird in Zukunft eine persönliche Klärung solcher Sachverhalte vorziehen.
Wie lange dauert die Bearbeitung?
Binnen zwei Wochen soll „sportlich gerechnet“ (O-Ton Herr Löffler) der Antrag bewilligt sein.
Was kostet mich der Spaß?
Die Gebühr für die Antragsstellung beträgt £65 für Erwachsene ab 16 Jahren und £32.50 für Kinder.
Welche Vorteile bringt mir der „settled status“?
- Eine dauerhaft gültige Aufenthaltsgenehmigung in Großbritannien, die jedoch nicht zu verwechseln ist mit dem Erwerb der britischen Staatsbürgerschaft. Dieses Verfahren ist ein anderes und soll an dieser Stelle daher nicht weiter ausgeführt werden.
- Der „settled status“ schützt vorrangig die EU-Rechte der Antragssteller/innen, wie sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehen.
- Es ist möglich, sich 5 Jahre im Ausland aufzuhalten, ohne den „settled status“ zu verlieren.
- Auch nach 2020 wird es möglich sein, enge Familienmitglieder nachzuholen, z. Bsp. wenn die eigenen Eltern pflegebedürftig werden.
Was passiert im Fall eines No-Deals?
Für den Fall eines No-Deals, den Herr Löffler blümerant als „kollektiven Sprung ins schwarze Loch“ bezeichnete, prophezeite Herr Desira, dass er sich durchaus vorstellen könne, dass die britische Regierung das EU-Recht mittels „copy and paste“ in das britische Recht übernimmt und dann im Laufe der Zeit den einen oder anderen Paragrafen nach eigenem Ermessen abwandelt. Trotz den zähen Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien - allein in der Frage der EU-Bürgerrechte sind noch ca. 150 Fragen offen -, ist der Ton zumindest seitens der anwesenden Botschaftsvertretung recht versöhnlich und konstruktiv in die Zukunft gerichtet. „Wir hoffen, dass zwischen dem Kontinent und den britischen Inseln der Kanal nicht breiter wird“, fasste Herr Löffler den Abend mit bewegenden Worten zusammen, in denen leider auch ein wenig Zweifel steckt. Eine Hoffnung, der ich mich nur anschließen kann, denn ich lebe, wie viele Deutsche, unwahrscheinlich gern in diesem Land.
An wen kann ich mich wenden, wenn ich weitere Fragen habe?
Übrigens ist die deutsche Botschaft in Großbritannien der Ansprechpartner Nummer 1 für alle Fragen rund um den Brexit. Emails werden zügig und detailliert beantwortet. Die Seite der deutschen Botschaft erreicht ihr unter folgendem Link:
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