Ratten im Infektionsbereich - titelt OZ-lokal eine Recherche* von Martina Rathke (dpa). Dazu erschien heute ein Leserbrief, der hier ungekürzt gelesen werden kann. Das erscheint mir insofern von Interesse zu sein, da hier Aspekte anklingen, die Frau Rathke anscheinend verborgen geblieben sind, und somit auch ihrem Leserpublikum. Interessant aber finde ich auch, dass im Artikel über ein Tätigkeitsfeld des MfS berichtet wird, das weniger mit der landläufigen Vorstellung von „Stasi“ verbunden wird. Die Ratten nagen hier, und sie nagten schon damals, an einem – scheinbar auch heute noch – unverzichtbaren Mythos. Denn, musste es nicht das Ansehen des Systems selbst bei seinen treuesten Anhängern erschüttern, wenn nicht einmal die Stasi…?
Ein Pfiffikus hat unlängst gemeint, interessant sei nicht die Frage, warum der Staatssozialismus untergegangen sei, sondern, warum er sich so lange halten konnte. Diese Frage scheint aber erst seriös ins wissenschaftliche Blickfeld zu gelangen, wenn das politisch gehätschelte Delegitimationsbedürfnis medial hinlänglich befriedigt ist.
*Eine etwas längere Fassung in Ärzte Zeitung.de!
Hier nun der Leserbrief:
Frau Rathke, die Insel Riems und die Ratten
Der Artikel „Ratten im Infektionsbereich“ in der Ostseezeitung vom 21.09.2010 von Frau Martina Rathke veranlasst mich als ehemaligen langjährigen Mitarbeiter des Friedrich-Loeffler-Institutes zu folgenden Bemerkungen:
Will man anlässlich des 100-jährigen Bestehens dieser Forschungsstätte ihre Leistungen einigermaßen sachlich darstellen, so muss der gesamte Zeitraum einbezogen werden. Man sollte nicht verschweigen, dass die DDR das erste Land überhaupt war, das am 06. September 1950 mit dem Gesetz über die Schutzimpfung der Rinder gegen Maul- und Klauenseuche eine systematische Bekämpfung dieser Tierseuche einführte, dass in der DDR über viele Jahre dank seiner hocheffektiven Impfstoffe die Schweinepest beim Hausschwein kein Thema war und dass auf zahlreichen weiteren Gebieten der Forschung und Impfstoffproduktion von vielen erfahrenen Mitarbeitern Hervorragendes geleistet wurde. Selbstverständlich gab es auch Mängel und Unzulänglichkeiten, ja sogar ernsthafte Pannen, um deren Überwindung ständig gerungen wurde.
Gemeinsam mit anderen Mitarbeitern unseres Institutes hatte ich Mitte der 80er Jahre Gelegenheit, die Produktionsanlage für Maul- und Klauenseucheimpfstoffe in Großburgwedel bei Hannover zu besuchen. Grund des Besuches war die Tatsache, dass aus ebendieser Anlage kurz hintereinander die Maul- und Klauenseuche zweimal ausgebrochen und außer Kontrolle geraten war. Wir waren zu einem entsprechenden Erfahrungsaustausch eingeladen. Ich habe weder während dieser Zeit noch danach in der Presse einen einzigen Artikel mit so viel unverhohlener Häme über diesen bedauernswerten Zwischenfall gelesen wie im vorliegenden Falle das FLI betreffend.
Um besagte Mängel und Unzulänglichkeiten, die zum großen Teil, aber nicht ausschließlich, der überalterten Bausubstanz geschuldet waren, zu überwinden, wurde in den 80er Jahren mit großem finanziellem und technischem Aufwand der sogenannte Hochsicherheitsbau errichtet. Nach seiner Fertigstellung im Jahre 1990 galt er als das Sicherste, was es seinerzeit in Europa gab. Er wird bis auf den heutigen Tag als sicherstes Versuchtiergebäude des FLI genutzt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich heute Leute über die Antriebe von Rolleranlagen zu DDR-Zeiten lustig machen.
Nach der Wende schätzte eine von der Bundesregierung eingesetzte „Evaluierungskommission“ die Leistungsfähigkeit der Institute der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR, zu der das FLI gehörte, ein und kam zu der abschließenden Empfehlung, zukünftig die gesamte Tierseuchenforschung der BRD auf der Insel Riems zu konzentrieren, da dort trotz bestehender Unzulänglichkeiten die besten Bedingungen dafür gegeben waren. Die Evaluierungskommission muss sich ja nach Frau Rathke sehr geirrt haben. *
Prof. Dr. Peter Felfe Riemserort, 21.09.2010
*kursiv, was dem Platzmangel weichen musst – J. A.