Die Rassisten vom Prenzlauer Berg

Angeblich sind die Berliner ja unheimlich tolerant und weltoffen, aber wenn es um die Schwaben geht, hört der Spaß endgültig auf. Im insbesondere bei gutverdienenden Kinderfreuden sehr beliebten Prenzlauer Berg (von Außenstehenden immer noch als “Szeneviertel” bezeichnet, obwohl es längst keine Szene mehr gibt, die findet jetzt in den bislang vernachlässigten Ecken von Wedding, Lichtenberg oder Neukölln statt, vermutlich kommt als nächstes Reinickendorf. Oder Rudow) kommt es zu offenen Pöbeleien gegen eine bestimmte Sorte Zugezogener – wobei mich nicht wundern würden, wenn es sich bei den Aktivisten gar nicht um eingeborene Berliner handeln würde. Das kennt man ja, die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.

Berlin war schon immer eine klassische Zuwandererstadt, nur kamen die echten Berliner vor einigen Generationen noch hauptsächlich aus Breslau oder Königsberg. Jetzt kommen sie halt aus Stuttgart oder Heilbronn. Sie kommen aber auch aus Großbritannien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Polen oder Vietnam. Man stelle sich vor, die Schmierer vom Prenzlauer Berg hätten statt “Kauf nicht bei Schwabn” “Kauf nicht beim Vietnamesn”, “Kauf nicht beim Türkn” oder ganz schlimm, “Kauf nicht bei Judn” an die Wand gesprüht. Dann wäre die Kacke aber am Dampfen! Ein bisschen ist sie das jetzt auch, immerhin hat die Polizei Ermittlungen aufgenommen, Fremdenfeindlichkeit ist schließlich kein Kavaliersdelikt, selbst wenn sie sich gegen ja irgendwie Deutsche richtet, die von anderen Deutschen diffamiert werden. Rassismus hat viele Gesichter und alle sind dumm.

Kinderfest am 1. Juni 2002, Kollwitzplatz, Berlin Prenzlauer Berg

Kinderfest am 1. Juni 2002, Kollwitzplatz, Berlin Prenzlauer Berg

Als Zugewanderte, die kurz nach der Grenzöffnung nach Berlin gekommen ist, werde ich selbst sentimental, wenn ich an die schönen wilden 90er denke, in denen das Leben in Prenzlauer Berg noch billig und bunt war. Ich kannte ja den Wohnungsmarkt in anderen Universitätsstätten, in Göttingen, Marburg oder Heidelberg (über Hamburg, Köln oder München gar nicht zu reden) musste man den halben Bafög-Satz für ein schäbiges Zimmer hinlegen, in West-Berlin übrigens auch, wenn man nicht das Glück hatte, irgendeinen Alt-Mietvertrag in Kreugberg oder Charlottenburg zu “erben”. Und dann war da plötzlich dieser herrlich vernachlässigte Osten, voll von verlassenen Altbauwohnungen, die man zu vergleichsweise günstigen Preisen bekommen konnte – auch wenn die Ossis bereits schimpften, dass sie jetzt für ihre 4-Raum-Altbau-Wohnung (unsarniert) statt 60 Mark Ost jetzt 600 Mark WEST (!!!) an Miete zahlen mussten.

Wir Zuwanderer nahmen die 600-Euro-Altbauwohnung mit Kusshand, warfen die Auslegware raus, rissen die Holzpaneelen von Decken und Wänden, zogen die Dielen ab, restaurierten den Stuck, sofern vorhanden und bauten Bäder ein. Bereiteten den Boden für die Besserverdiener, die uns dann verdrängten, weil sie bereit waren, für den Einbau einer Gasetagenheizung eine höhere Miete zu zahlen, die wir uns nicht mehr leisten konnten. Immerhin passten wir uns an, fingen an, beim Bäcker “Schrippen” zu verlangen und beteiligten uns an der Treppenhausreinigung, die im Osten oft noch vom Hauskollektiv organisiert wurde. So viel zur angeblich schwäbischen Erfindung der Kehrwoche. Ab und zu wurde ein Subotnik veranstaltet, bei dem der Hof von Freiwilligen entmüllt und aufgeräumt wurde, danach gabs Grillwurst und Bier. Und noch nicht ganz so alte Geschichten aus der DDR.

Dass dieses Idyll unter dem gnadenlosen Fortschritt des nun gesamtdeutschen Kapitalismus keinen Bestand hatte, ist zwar sehr bedauerlich, allerdings nicht die Schuld der Schwaben. Das Geschäftsmodell Menschen auszubeuten, nur weil sie irgendwie leben und irgendwo wohnen müssen, haben ja nicht die Schwaben erfunden. Und was wäre Berlin ohne die ganzen bereichernden Dinge, die die Zuwanderer vergangener Jahrhunderte mitgebracht haben, die Hugenotten beispielsweise. Sie brachten mit Bouletten, Spargel und feinem Backwerk endlich eine Art Esskultur ins hinterwäldlerische Berlin und erfanden beispielsweise die beliebten Gartenlokale. Außerdem waren sie ähnlich wie die Schwaben fleißig und handwerklich geschickt – unter ihnen waren Gärtner, Seidenweber, Uhrmacher, Emailleure, Buchbinder, Buchhändler, Pâtissiers und Cafetiers. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten, weil im Berliner Umland einfach nicht genug Kaufkraft für die Produkte der produktiven Réfugiés vorhanden war, so dass der preussische Staat mehrfach als Abnehmer einspringen musste, blühte die preussische Metropole auf und zog immer mehr Menschen an – ähnlich wie heute, wo so ziemlich jeder, der in Deutschland am Puls der Zeit leben will, nach Berlin muss.

Und wie das so ist, mit den Orten, wo jeder hin muss – das sieht man ja auch an London, Paris oder New York – wo viele Leute um Wohnungen, Jobs und kreative Freiräume konkurrieren, müssen sie sich im Wettbewerb bewähren: Man muss halt mehr zahlen, mehr arbeiten und einfach besser sein. Das ist freie Marktwirtschaft, das ist Kapitalismus. Den kann und muss man kritisieren. Aber doch nicht irgendwelche willkürlich ausgewählte Volksgruppen, die im Wettbewerb derzeit etwas besser dran zu sein scheinen. Wenn schon eine Neiddebatte, dann doch bitte eine weniger dumme.



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