Puzzleteile unseres Lebens
Ich habe sie lange vor mir her geschoben, die Suche nach mir selbst. Jetzt wo ich mich auf sie begebe, merke ich, wie wichtig sie ist. Doch wo kann ich sie finden? In mir selbst.
Also gehe ich in mich selbst hinein, in meine Seele und finde dort hinter Spinnweben eine Kiste mit meinem Namen drauf. Ich hole sie hervor, wische den Staub der Jahre weg und öffne zaghaft den Deckel. Er knirscht ein wenig. Ich werfe einen Blick in die Kiste und sehe Tausende von Puzzleteilen wild durcheinander geworfen.
Ich setze mich hin und kippe die Kiste aus. Da liegen sie nun, die Teile aus denen ich bestehe. Ich habe schon lange nicht mehr gepuzzelt. Als Kind habe ich fast immer zuerst den Rahmen zusammengesetzt, das war am einfachsten. Also suche ich die Teile mit einer geraden Seite und stelle fest, dass es keine gibt.
Klar, ein Rahmen bedeutet Abschluss, eine Grenze, er lässt keine Erweiterungen zu. Ich gebe meine Suche auf und versuche Teile nach Ähnlichkeit zu sortieren, was auch nicht so recht gelingen will, denn keines ist dem anderen gleich und zusammen fügen lassen sie sich auch nicht nach diesem Schema. Das wird schwerer als ich dachte. Ich muss langsam vorgehen, Stück für Stück probieren und begreifen.
Ich schließe meine Augen und greife nach einem Puzzleteil. Es war warm und weich zwischen meinen Fingern, es fühlt sich gut an. Es ist meine Fröhlichkeit, tausend ewig währende Augenblicke in einem winzigen Teil. Ich lächle und lege es ab. Das nächste Teil ist kratzig und hart, die Oberfläche gleicht einem rauen Stein. Es ist ein Stück der Mauer, die ich um mich herum aufgebaut habe. Schnell lege ich dieses Teil aus der Hand und nehme mir vor, die Mauer mit der Zeit ganz einzureißen. So greife ich Puzzleteil für Puzzleteil und wie von selbst fügen sie sich zusammen.
Das Teilchen Mut ist stark und unzerbrechlich, das Teilchen Angst besteht aus Zweifel, ist dunkel und mächtig. Gleich daneben passt das Teilchen Schmerz aus dem Salz der Tränen. Das Teil der Leidenschaft glüht noch in meinen Händen und ruft ein kribbeln hervor. Am vielfältigsten sind die Puzzleteile meiner Gedanken. Sie weisen vom tiefsten Schwarz bis zum strahlenden Weiß alle Farbmöglichkeiten und Variationen in der Beschaffenheit auf.
Ich begegne Teilen meine Fähigkeit und stelle fest, dass es nicht wenige sind. Es gibt auch Teile aus Wunden, manche mit einer Narbenschicht überzogen. Die Wunden schmerzen und die Narben sind hässlich und hart und doch gehören sie genauso zu mir, wie das klingende Teilchen meines Lachens. Das Teilchen Stolz ist hart und glatt, alles prellt an ihm ab, es ist unbiegsam und lässt sich schwer einfügen.
Dann halte ich das Teilchen Liebe in meinen Händen. Es ist von stetiger Veränderung und doch in sich gleich bleibend, es beinhaltet unzählige Bilder und - es ist wunderschön. Danach kommt, was kommen muss, der Hass. Gewaltig und laut nimmt er Besitz von mir. Und auch wenn ich ihn nicht mag, so muss ich doch zugeben, dass er mir Kraft verleiht.
Ich entdecke Puzzleteile mit Fingerabdrücken und sehe die Menschen vor mir, die sich hinterlassen haben, Erziehung und Freundschaft haben mich geprägt. Die Puzzleteile meiner Träume und Wünsche sind durchzogen von Freunden und Ängsten, sie verlangen Mut und versprechen gar nichts und doch alles. Ich halte sie lange in der Hand ehe ich sie dem Puzzle zufüge.
Übrig bleiben jetzt noch ein paar dunkle Teilchen, von denen ich nicht weiß, was sie bedeuten, wie sie entstanden. Ich nenne sie Verdrängung und fülle mit ihnen die Lücken im Puzzle aus. Eines Tages werde ich sie begreifen.
Da liegt es nun vor mir, dieses eigenartige Puzzle. Das also bin ich, hier und jetzt. Ich habe etwas mehr begriffen, wer ich bin, sehe Horizonte und keine Grenzen - immer noch erweiterungsfähig
Unbekannter Autor
Das Foto wurde von Karin Heringshausen zur Verfügung gestellt