Die politische Ökonomie des Selbstmitleids

Der amtierende Konservatismus suhlt sich im Selbstmitleid. Er werde nicht mehr richtig verstanden, er habe sich nun an Erscheinungen abzustrampeln, die nicht er, die sein Gegenspieler, der Liberalismus - nicht der Neo-, sondern der Linksliberalismus -, hervorgerufen habe. Gemeint ist damit speziell ein Menschen- und Gesellschaftsbild, das nur bedingt negativ ist, das den Menschen etwas Positives zutraut, das glaubt, der Einzelne agiere gesünder und vernünftiger, wenn er möglichst wenig Autorität erlebt. Der Konservatismus regt sich darüber auf, dieser Entwurf habe den Staat an den Rande einer Katastrophe gezerrt, habe Schulen zu Kriegsschauplätzen, das Sozialwesen zur Hängematte und den Arbeitsmarkt zu einer Mangelwirtschaft an motivierten Arbeitskräften transformiert.

Der Mensch handle heute so unmoralisch und so wenig demütig - und schuldig sind jene Linken von 1968, die umwerteten, die Traditionelles verdrehten und Bewährtes verkehrten. Sie haben die Menschheit verrückt gemacht und das Familienidyll, die Keimzelle von Anstand und Moral, von Demut und Einsicht, endgültig zermalmt. Sie haben Kinder trotzig und aufsässig werden, zu viel Milde gegen Unproduktive walten lassen und Arbeitnehmern zu viel Mitsprache erteilt. Die Tolerierung der Homosexualität, die die Linke einführte, bekämpft der Konservatismus nicht mehr. Sie hat sich als bequem erwiesen, hat auch Konservativen ein einfacheres Leben geschenkt - außerdem hat sich herausgestellt, dass tolerierte Homosexualität ja nicht der herrschenden Ökonomie im Wege steht, es gibt sogar Schwule, die in ihrem Namen sprechen. Aber zu offene Arme für Ausländer, zu viel Verständnis für Arbeitslose, lernfaule Kinder und Jugendliche: alles linkes Teufelswerk, alles Resultat einer naiven Weltsicht.
Teetrinkendes Selbstmitleid
Thomas Frank nennt das in seinem Buch Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt etwas zynisch Die politische Ökonomie des Selbstmitleids. Die bezieht er vorallem auf die amerikanische Rechte, auf die Republikaner und ihr zur Schau getragenes Selbstmitleid darüber, wie der Liberalismus der letzten Jahrzehnte dazu führte, die Vereinigten Staaten in eine Krise zu weisen, wie sie sie seit der großen Depression der Dreißigerjahre nicht mehr kannten. Die amerikanischen Konservativen schieben den Liberalen die Schuld in die Schuhe und wissen darauf nur eine Antwort: Mehr Deregulierung, mehr Privatisierung, mehr Freihandel - denn die Krise entstand nur, weil es zu wenig davon gab. Das kranke Weltbild der Liberalen und Progressiven, so behaupten sie, habe erst den Niedergang bewirkt.
Frank ist ein sachkundiger Chronist der Tea Party und der erstarkten Republikaner. Nach der Lektüre seines Buches muss man annehmen, dass ein Wahlerfolg Romneys gegenüber der sozialistischen Regierung in Washington, keine Überraschung wäre. Die Republikaner, so sagt auch der deutsche Buchtitel, haben Kapital aus der Krise geschlagen. Sie haben sie angefacht und ins Leben der Menschen gerufen und nun sind sie nicht nur Unschuldslämmer, sie zeigen mit nackten Finger auf jene, die schon vorher den Einhalt der Deregulierungsorgien forderten. Dass das nicht die Demokraten waren, die das forderten, stellt Frank jedoch auch ernüchtert fest. Weil es diese Regelungswut gibt, entstehen Krisen, behaupten die Konservativen - wenn der freie Markt, der reine Kapitalismus endlich zum Zuge kommen dürfte, dann wird sich alles zum Besten regeln.
Im Land der Verdichter und Henker
Was in den USA vorallem eine Frage der Ökonomie ist, nämlich die Selbstbemitleidung auf wesentliche Fragen ökonomischer Gestaltung zu lenken, ist in Deutschland etwas anders. Man hat den Deutschen schon vor Jahrhunderten nachgesagt, sie seien das Volk von Polyhistoren, von Universalgelehrten. In Zeiten konservativen Selbstmitleids ist das nicht anders. Während der amerikanische Konservative den gehemmten und in Schranken gewiesenen Kapitalismus betrauert, sich wirtschaftlich selbstbemitleidet, ist das deutsche Exemplar universeller, ist es allgemeiner, verdichtet es seine Denke, macht sich nicht nur zum Anklänger einer falsch betriebenen Ökonomie, sondern zum Henker eines Weltbildes, das ihm zu freundlich, zu nett, zu mitmenschlich dünkt. Warum nur die Ökonomie betrauern? Warum nicht gleich sich selbst bemitleiden, weil man in einer Welt steht, die nicht nur ökonomisch von den Linken verhunzt wurde, sondern in allen Facetten?
Was Thomas Frank umschreibt, dürfte überall ähnlich verlaufen sein. Mit Mentalitätsabstufungen versehen. Die einen eher krämerbeseelt, daher eher auf die Reinerhaltung des Systems fixiert; die anderen mit Hang zur Perfektion, zur Vollumfänglichkeit, daher an allen Ecken und Enden rudernd. Aber das Selbstmitleid ist die Konstante, die den globalen Konservatismus vereint. Eine Lebenseinstellung von Heulsusen und Jammerlappen, von angeblich unterdrückten und ständig verlachten, dennoch standhaften Recken, die gegen die Dummheit linken Zeitgeistes aufstehen und dafür nicht Anerkennung, nur Beleidigung ernten. Palin jammerte darüber in den USA, Sarrazin in Deutschland. Immer werden sie missverstanden, immer falsch interpretiert, der Zeitgeist ist gegen sie, die wirkliche wahre Wahrheit hat eben keine Konjunktur unter linker Vereinnahmung der Öffentlichkeit.
Die Geschichte des Konservatismus, der dem Neoliberalismus in die Knobelbecher half, damit dem Sozialabbau, der Privatisierung, der Entteilhabung der Menschen und der Unterwanderung von Bürgerrechten, ist nicht nur eine Geschichte der autosuggestiven Schuldverlagerung, sondern auch eine tränenreiche Geschichte des Selbstmitleids, mit der sich der Konservatismus nicht nur als Alternative, sondern sogar als einzige Alternative in der Alternativlosigkeit am Leben hält. Und Thomas Frank ist der eloquente Chronist dieses Phänomens.
Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt von Thomas Frank erschien im Verlag Antje Kunstmann.

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