Die Plebejisierung des Terrors

Sieben willkürliche Orte des Grauens

Sieben willkürliche Orte des Grauens

Es mutet zynisch an, im Angesicht der brutalen Terrorangriffe auf Pariswieder einmal – über Ästhetik zu sprechen. Dennoch ist es keine Option, es nicht zu tun – denn seit es den Terror in seiner heutigen Form gibt (das heißt: seit der Terror in den Medien übertragen wird), geht es den Terroristen um Ästhetik – um die Maximierung der Schockwirkung.

Dass die Anschläge von Paris die verstörendsten Terrorattacken seit dem 11. September 2001 werden dürften, liegt nicht an ihrem tatsächlichen Ausmaß. Am 11. März 2004 starben in Madrid mehr Menschen als am 13. November 2015 in Paris. Die Zahl der Verletzten war damals sogar fast sechsmal so hoch. Dennoch dürften die Madrider Zugschläge im kollektiven Bewusstsein von den jetzigen Pariser Anschlägen in den Schatten gestellt werden – wegen ihrer Ästhetik.

Und die hat sich in den letzten Jahren signifikant verändert.

Die Schockwirkung gleichzeitiger, koordinierter Attacken ist bekanntlich eine Erfindung Bin Ladens. Die IS-Terroristen kopieren ihn. Und doch – welch ein Unterschied! Wie schon im Januar beim Angriff auf Charlie Hebdo (vgl. Link oben) erleben wir heute eine Plebejisierung, eine Pop-Variante des Al-Kaida-Terrors. Die mythischen Bilder Bin Ladens, die einstürzenden Türme, die abstürzenden Züge, sie werden durch die Ästhetik des Katastrophenfilms ersetzt.

Bin Laden war im Grunde – ähnlich wie Nero und Hitler – ein verhinderter Künstler, dessen gekränkter Narzissmus abertausende mit in den Tod riss. Nero besang vor der Kulisse des brennenden Roms den Untergang Trojas. Bin Laden murmelte Allahu Akbar, während die Türme des World Trade Centers zusammenbrachen. Die mythische Tiefe, der symbolische, welthistorische Gegensatz ist ihre Welt. Die nach Bin Ladens Tod gefundenen Videoaufnahmen, die ihn als alten Mann im Schlabberoutfit auf dem Sofa zeigen, wo er sich ein altes Video von sich selbst aus besseren Zeiten anschaut, könnten in ihrer symbolischen Vielschichtigkeit geradezu aus einem Film von Orson Welles stammen.

Diese – makabre – ästhetische Tiefendimension ist beim Terror der Counterstrike-Generation verschwunden. An sieben Orten gleichzeitig schlagen die Pariser Attentäter zu. Bin Laden hatte es auf maximal vier gebracht. Der IS übertrifft Al Kaida quantitativ – qualitativ bleibt er aber weit hinter ihr zurück. Anders als am 11. September, wo die Anschläge kalkuliert auf das wirtschaftliche, das militärische und das politische Zentrum der USA – und damit auf ihre Totalität – zielten, scheinen die Orte in Paris völlig willkürlich ausgewählt zu sein. Es gibt keine Symbolik mehr. Es geht nur noch ums Herumballern. Der Terror ist plebejisiert.

Selbstverständlich unterscheiden sich der plebejische Terror des IS und der aristokratische Terror Bin Ladens in ihrer moralischen Bewertung kein bisschen. Es ist auch schwer auszumachen, welche Variante erschreckender ist – die mythologisch-symbolische, weil sie uns alle meint, oder die plebejisch-willkürliche, weil sie uns alle treffen kann.

Erschreckend allemal ist aber die Begeisterung der IS-Terroristen für die quantitative Übertrumpfungsgeste. 500 Millionen Menschen wolle man töten, erzählte einst der deutsche Kämpfer, den Jürgen Todenhöfer interviewte. Die Gewalt wird beim IS nicht raffinierter, sondern einfach immer mehr. Und das ist tatsächlich beängstigend. Wenn der IS kein anderes Mittel der Selbsttranszendierung kennt, als einfach immer größere Gruppen von Menschen an immer mehr Orten gleichzeitig niederzumetzeln – dann Gnade uns Gott, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen.


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