Die Piratenpartei: Nur das Vakuum ist vergleichbar

Von Robertodelapuente @adsinistram

Vor einigen Wochen verglich ein namhafter Pirat seine Partei mit der NSDAP. Wie diese zwischen 1928 und 1933 würden die Piraten ähnlich schnell aufsteigen. Der Vergleich ist dumm und liegt irgendwo zwischen Größenwahn und Realitätsblindheit. Dieser Vergleich mit der NSDAP, was den politischen Erfolg betrifft, ist grobe Albernheit - ein anderer bietet sich jedoch an. Gerade auch auf Basis dieses irrwitzigen Vergleichs.
Antisemiten, Nationalisten, Verbitterte, Kriegsversehrte, Soziale, Reformer, Esoteriker...
Die NSDAP war in den Jahren, bevor sie zur staatlichen Institution erhoben wurde, ein Sammelbecken für allerlei politisch Heimatlose, für Desillusionierte und Verbitterte, für vermeintliche Visionäre und politisch oder deutsch Engagierte. Natürlich gab es da die antisemitischen Mitglieder und Sympathisanten - welche, die wirklichen Hass auf Juden auslebten genauso, wie solche, die mit Juden etwas zimperlicher umsprangen. Der Holocaust war in den Zwanzigerjahren nicht absehbar, auch wenn manche Geschichtsschreibung heute so tut, als habe man es erahnen können, weil Hitler in einschlägigen Passagen in "Mein Kampf" angeblich ungeniert darüber räsonierte. Ohne ihn in Schutz nehmen zu wollen: Die Metaphorik des politischen Diskurses jener Tage war archaisch genug, um von der Ausmerzung sprechen zu können, ohne dass man gleich an einen wirklichen Vernichtungswillen denken musste.

Natürlich trafen sich in der NSDAP auch verbitterte Nationalisten, Kriegsveteranen, Männer, die nur das Soldatenhandwerk gelernt hatten und nun ohne Perspektiven waren. Zudem gab es Leute, die glaubten, die NSDAP lasse sich als Partei nutzen, die soziale Reformen umsetzen könnte. Es gab Esoteriker und einer verquasten Führermythologie verhaftete Personen, wie zu jener Zeit nach dem Kriege üblich, die in die NSDAP drängten. Fest, Kershaw und Toland beschreiben das eindrücklich. Die NSDAP sollte die notwendigen Veränderungen bewirken. Wie die aber aussehen sollten, was genau zu tun sei, ob sie als Reformpartei, als sozialistisch angehauchte Partei der Veränderung oder als liberal handelnde Partei des Laissez-faire agieren sollte, darüber war man sich an der Basis so uneinig, wie teilweise an der Spitze. Man denke nur an die Strassisten. Es ließ sich alles und nichts in die NSDAP interpretieren - man konnte der auf einen Bierdeckel passenden Programmatik wegen für sie sein oder sie als Sprungbrett sehen, man konnte national miteifern oder sie inhaltlich etwas neu aufstellen wollen.
Neoliberale, Nerds, Sozialdemokraten, Linke, Rechte, Umweltschützer, Protestler, Esoteriker...
Die NSDAP war für jedes einzelne Mitglied oder für jeden Sympathisanten wahrscheinlich etwas ganz anderes. Sie ließ sich nur auf eine Handvoll Punkte, festgehalten in einer Münchner Spelunke zu Anfang des Jahrzehnts, festmachen. Das bekannte 25-Punkte-Programm, das so breit gefächert und vage formuliert war, dass es alle möglichen Schichten und Denkrichtungen ansprechen konnte. Alles andere war deutbar, konnte nach Ansicht vieler Mitglieder noch eingeschoben, nachgereicht oder verabschiedet werden. Etwas übertrieben läßt sich sagen: Der Nationalsozialismus war zuerst als Begriff geboren, bevor er inhaltlich aufgefüllt wurde. Lediglich einige vage Impulse in eine Stoßrichtung gab es. Denkbar wäre beispielsweise, dass durch ein verfrühtes Ableben Hitlers auch der Antisemitismus für die spätere NSDAP gestorben wäre. Der Wille zur Macht schien festgeschrieben, die Mittel und Wege, die Inhalte jedoch nicht.
So weit muß man nicht gehen. Die Piraten sind nicht die NSDAP. Aber es war ein Pirat, der seine Partei mit der NSDAP verglich, daher bietet sich ein Vergleich, der handfester ist, durchaus an. Denn das inhaltliche Vakuum ist es, das sich dort ausbreitet, es erinnert tatsächlich an die NSDAP vor der Machtergreifung. In jenen Jahren tummelten sich so wie heute bei den Piraten, Menschen aller politischen Richtungen im Umfeld und im Innenleben der Partei. Markt- und Neoliberale, die das FDP-Programm als vorbildliche Richtschnur nehmen; Computerleute, die rein am Ursprung der Piraten kleben; sozial Gesonnene, die in den Piraten eine linke Partei sehen oder die sie wenigstens zu einer sozialdemokratischen Alternative machen möchten; rechte Idioten, die zwar auf sozial tun, das aber nur im Rahmen einer Art Volksgemeinschaft; Umweltschützer, denen die Grünen zu sehr Establishment geworden ist; Esoteriker, Spinner und Kommunarden, die die Piraten als anarchistischen Flügel bereichern wollen; Verbitterte, die einfach den Charme der Neuheit der Partei genießen und erleben möchten.
Kurz gesagt, keine inhaltlichen Prämissen zu haben, das wäre ein Vergleich gewesen, der halbwegs ins Schwarze getroffen hätte. Der Erfolg nicht, denn den werden die Piraten nicht in dieser Weise erleben - und dass man sich brüstet mit einer solchen Partei vergleichbar zu sein, stellt schon ein Armutszeugnis für manchen Piraten aus. Aber da inhaltlich noch Vakuum herrscht, treibt es eben auch solche Menschen zu den Piraten, die auf solcherlei stolz sein wollen...