Von Stefan Sasse
Es ist ein häufiger Vorwurf gegen die Piraten, dass sie kein Programm hätten. Gerade diese Woche hat die aktuelle Piraten-Doku der ARD wieder den Protest vieler Piraten hervorgerufen, die den Vorwurf nicht auf sich sitzen lassen wollten; Marina Weisband etwa verwies auf Twitter auf die ironisch gebrochene Seite http://www.kein-programm.de/, wo die Parteiprogramme der einzelnen Piratenverbände angeschaut werden können. Seit Wochen wiederholen Piraten gebetsmühlenartig, dass es Programme gibt, größtenteils ausgearbeitet, und wo noch Lücken sind arbeite man daran, diese zu füllen. Bald. Ganz bestimmt. Die Parallele zu der Debatte um die damals frisch gegründete Linkspartei, der man ebenfalls das Fehlen eines Programms vorwarf, ist offenkundig. Und die LINKE hatte sogar ein Papier, eines, aus dem die SPD nachweislich abgeschrieben hatte. Aber genau darum geht es ja gar nicht. Der Vorwurf, die Partei habe "kein Programm" bezieht sich nicht auf ein tatsächliches Programm, mit vielen Seiten die ohnehin niemand liest, am allerwenigsten die, die eines fordern. Was steht schon im aktuellen SPD- oder CDU-Programm? Und, vor allem, interessiert es irgendwen? Nein, der Vorwurf ist nur vorgeschoben. Es geht, wie so oft, ums Narrativ
Was gerade in den Medien verlangt wird, wenn vordergründig nach einem Programm geschrieen wird, ist ein Narrativ, mit dem man die Partei packen kann. 2007 fehlte das entsprechende Schlagwort, mit dem man die LINKE hätte belegen können, irgendeine Forderung oder Haltung, die sofort verständlich ist und die Erwartungen bedient. Steuersätze von 100%, wie sie Katja Kipping gerade fordert, erfüllen dieses elementare Bedürfnis. Die LINKE hat seither ein Programm. Sie will den Gehältern und Vermögen des oberen Mittelstands ans Leder. Versteht jeder, kann man gut finden oder schlecht, aber eine Meinung hat man. Transparenz dagegen, das Leib- und Magenthema der Piraten? Wer ist schon ernsthaft öffentlich gegen Transparenz? Und was ist, wenn man dafür ist? Alles in einem programmatischen Nebel. Die Piraten können diese Frage ja selbst noch nicht beantworten; das Schicksal von Liquid Feedback etwa unterliegt einer Dauerdiskussion. Genau das aber ist es, was von den Piraten gefordert wird, wenn öffentlich von der Programmlosigkeit gesprochen wird: Themen, über die man berichten kann, mit einem emotionalen Anker, der die Leserschaft packt.
Der aber fehlt der Partei bislang. Sie hat eine Menge Fragen aufgeworfen, aber bisher noch keine Antworten gegeben. Schlimmer noch ist, dass sie überhaupt keine Antworten auf die aktuell wichtigsten Fragen gibt: wer fliegt aus dem Euro, und wer fliegt aus der EM? Das Programm hat damit nichts zu tun. Selbst wenn irgendein Absatz zur Wirtschafts- und Währungspolitik darin aufgeführt wäre, würden die Vorwürfe nicht verstummen. Was gebraucht wird ist etwas, das man erzählen kann. Weitere Beispiele: Angela Merkel, eiserne Sparmeisterin Europas. Das ist ein "Programm" in dem Sinne, wie es als Vorwurf gegen die Piraten gebraucht wird. Die Grünen wollen Atomkraftwerke abschalten und Solarstrom fördern. Kann ich gut oder doof finden, aber ich habe schnell eine Meinung. Die FDP will Steuern senken. Ist das ein Programm? Nö, aber eine Schlagzeile. Die Piraten müssen, wenn sie den Vorwurf auflösen wollen, solche Anker bieten, die Leuten, die nicht regelmäßig Informationen einholen, eine Orientierung bieten. Ob sie das wollen müssen, ist natürlich eine andere Frage. Aber solange sie das nicht tun, bleibt der Vorwurf bestehen, egal wie oft man auf das offizielle Programm verlinkt.