Die Paralleluniversen von Bobostan

Raimundpassage im sechsten Wiener Gemeindebezirk

Raimundpassage im
sechsten Wiener Gemeindebezirk

Die alternativen Milieus der Mittelschicht haben sich eine eigene Konsuminfrastruktur geschaffen. Unter emotional aufgeladenen Schlagworten wie “Nachhaltigkeit” und “Natur” gedeihen vom Bioladen bis zur Alternativ“medizin” ganze Branchen. Im Windschatten breiten sich esoterische Angebote aus. Ein Lokalaugenschein aus Wien.

Sitarklänge dringen durch die Tür des kleinen Esoterikladens in der Wiener Raimundpassage im sechsten Gemeindebezirk. In dem engen Hof riecht es nach den Räucherstäbchen, die im Inneren abgebrannt werden.

“Om Namo Narayan” heißt das Geschäft. Eine unter indischen Yogis beliebte Grußformel. Die hinduistische Komponente darf nicht allzu eng gesehen werden. Der Laden, bestehend aus einem Verkaufsraum bietet das branchenübliche beliebige Sammelsurium an Versatzstücken verschiedenster Religionen, Kulturen und Traditionen.

Eine bunte Mischung

Hier stehen Engelsfiguren, Teemischungen, Elefanten, Fotos von Yogis und Lamas hängen an der Wand. Irgendwo ein Engelspray, dazwischen Tarot- und Heilkarten und Lebensratgeber verschiedenster Art. Diverse Halbedelsteine dürfen nicht fehlen. Ein Buch von Colin C. Tipping mit dem Titel “Ich vergebe” verspricht im Untertitel den “radikalen Abschied vom Opferdasein”.

Auf dem Verkaufstresen ein Titel von Paolo Coelho und die Autobiografie des Dalai Lama. Ein bisschen Feng Shui und die Kryons gibt’s zum Drüberstreuen. Nur die in diesen Kreisen durchaus nicht unübliche rechtsradikale Literatur scheint es hier nicht zu geben. Zumindest springt nichts einschlägiges ins Auge.

“Was mir in Esoterikläden immer sofort auffällt, ist diese multisensorische Überladung” betont der Esoterikexperte Johannes Fischler. “Engel, Elfen, Buddhas, Einhörner … alles duftet, alles glitzert, alles blinkt – man könnte fast meinem man stünde am Christkindlmarkt. Die Marketinfachleute nennen das Multisensual Enhancement.”

Ziel sei es, “den Kunden zu berauschen, das Instinkthafte zu wecken und so seine Konsumfreude anzuregen. Die gleiche Strategie verfolgt man in Spielcasinos. Nicht umsonst spricht man vom sogenannten Las-Vegas-Prinzip. Nur dort geht es um den Jackpot, hier um Erleuchtung. Dabei zählt immer meine Opferbereitschaft, mein Investment.”

Die dunkle Seite der Esoterik

“Diese kunterbunte und liebliche Ästhetik kann auch täuschen”, sagt der Autor des Buches New Cage – Esoterik 2.0. “Blättert man in einschlägigen esoterischen Fibeln, so stößt schnell auf Begriffe wie Atlantis, Lemurien, Aufgestiegene Meister oder auch die auf die sogenannte Große Weisse Bruderschaft – allesamt Termini aus der Wurzelrassenlehre von Helena Blavatsky.”

Blavatsky gilt als Begründerin der modernen Esoterik im Westen. So machte sie den Karma-Begriff außerhalb des buddhistischen Raumes populär. Auf Blavatsky gehen direkt und indirekt zahlreiche esoterische Strömungen zurück, wie die Theosophie, die Anthroposophie und teilweise auch die Ariosophie. Blavatsky hat bereits im 19. Jahrhundert die weiße “Arische” Wurzelrasse als rein und überlegen dargestellt. Juden seien ein “abnormes und widernatürliches” Bindeglied zwischen zwei “Wurzelrassen”.

Ein paar Schritte von der Raimundpassage entfernt findet sich eine Apotheke, die Engelssprays im Angebot hat. “Achtet man hier ein wenig auf die Etiketten, so sprüht sich der Bobo von heute oft unwissend eben genau wieder diese Weisse Bruderschaft in die Aura – Rassenideoligie im schicken Viloettglasflacon. Kuschelweich aber knallhart”, sagt Fischler. Bewusst verwendet der Psychologe hier den Begriff “Hard Core Esoterik”.

Kritische Journalisten unerwünscht

Der Besitzer des Eso-Ladens in der Passage, ein untersetzter Mann um die 50, fädelt Plastikperlen auf einen Armreif. Kundschaft scheint heute rar zu sein. Nein, Zeit für ein Gespräch mit einem Journalisten habe er gerade nicht, sagt er.

Er nennt sich heute Sagarpuri und hat eine vielversprechende Juristenkarriere aufgegeben. Seit zehn Jahren ist der gebürtige Oberösterreich hauptberuflicher Esoteriker und führt mit seiner Frau den kleinen Laden. Sein Dasein im esoterischen Paralleluniversum hat ihn offenkundig wenig zugänglich für einen neutralen Blick gemacht. Als er erfährt, dass die Reportage auf dem hpd erscheinen soll, macht er zu und komplimentiert mich mehr oder weniger deutlich hinaus.

Für ein Interview mit einem kritischen Medium “steckt zu viel Herzblut drin”. Sagarpuri erwartet sich Jubelberichterstattung, macht er im Gespräch klar. “Wir geben gern unser Wissen und Know How weiter. Aber Berichte aus kritischer Distanz, da hab ich kein Interesse.”

Eine Nebenbemerkung legt den Schluss nahe, dass er in irgendeiner Form schon Bekanntschaft mit Sektenbeauftragten der katholischen und der evangelischen Kirche geschlossen hat. Ich verlasse den Laden wie gewünscht.

“Viel Feind, viel Ehr”

Szeneübliches Verhalten, das Johannes Fischler nicht verwundert. “Schließlich gilt im Esoterischen ein jeder, der hier nicht Part of the Game ist, als jemand in der sogenannten ‘alten Energie’, jemand der eben noch nicht ‘weit genug’ sei. Diskussionen mit Therapiersistenten werden deshalb gemieden, schließlich zögen diese den eigenen spirituellen Energielevel herunter. In vielen esoterischen Lehrbüchern werden Kritiker auch gerne zu sogenannten energetischen Blutsaugern oder Energievampiren stilisiert. In der Fachsprache nennt man das auch Disconnect Policy, eine Taktik, wie wir sie normalerweise nur von Scientology oder ähnlichen Kulten kennen.” Die dahinterstehende Logik folgt laut Fischler einem einfachen Prinzip: “Viel Feind, viel Ehr”.

Hochburg des esoterikaffinen Milieus

“Sagarpuri” hätte sich einen schlechteren Ort aussuchen können. Nicht nur liegt das Geschäft direkt neben der Mariahilferstraße, der Shoppingmeile schlechthin in Österreich. Der sechste und der siebte Bezirk, durch die Straße verläuft, sind auch die Hochburgen des alternativen bürgerlichen Milieus, das seit Jahren den Esoterik-Boom speist.

In kaum einer anderen Gegend Österreichs finden sich so viele Akademiker wie hier. Die Einkommensdichte ist entsprechend hoch. Zahlreiche Foto- und Werbeagenturen sind hier angesiedelt, ebenso Architekten. Auch die Grünen haben unweit von hier ihre Bundeszentrale. Nirgendwo finden sie viele Wähler wie hier.

Nur wenige Häuser von der grünen Zentrale entfernt der Esoterikshop “Energethiker Wien”, nach Eigendefinition ein “spirituelles Kaufhaus”. Das Glück, das es hier zu kaufen gibt, wird auch online angeboten. Man schöpft aus ähnlichen Reservoirs.

Hier gedeihen Privatschulen. Von den elf Volksschulen des sechsten und siebten Bezirks gehören nicht weniger als fünf privaten Betreibern. Vom Montessori-Schulverein bis zur Erzdiözese Wien. Private Kindergärten gibt es sonder Zahl. Die Mittelschicht kapselt sich ab.

“Gebildete können Irrationales besser rationalisieren”

Dass gebildete Schichten besonders empfänglich für Esoterisierung sind, ist für Autor Johannes Fischler nur auf den ersten Blick ein Widerspruch. “Gerade intelligente, sich skeptisch einschätzende Menschen sind oftmals die besseren Gläubigen. Haben sie sich erstmal ein Stück weit auf eine eine glitzernde Scheinwelt eingelassen, so verfügen sie oftmals über ein enormes intellektuelles Repertoire, ihr eigenes Handeln vor anderen und vor allem vor sich selbst zu rechtfertigen. Sie können also ihren eigenen Irrationalismus besser rationalisieren. Außerdem sind sie selbst wohl die letzten, welche sich selbst ihren Irrglauben eingestehen würden. Zudem triggern esoterische Lehren vor allem auch unseren Narzissmus. Und gerade in dieser Hinsicht wird auch die Mittelschicht immer anfälliger.”

Alternativ-Cluster Raimundpassage

Rund um den Laden “Om Namo Narayan” in der engen Raimundpassage hat sich beinahe ein Cluster für das alternative Bürgertum gebildet. Hier finden sich auch zwei alternative Kosmetikinstitute, die mit “natürlicher” Behandlung werben. Worunter ihrer Meinung auch die eine oder oder andere esoterische Variante zu verstehen ist.

Ein vegetarisches Restaurant rundet die Idylle für das Milieu ab. Als Draufgabe gibt’s seit kurzem ein Tee-Fachgeschäft. Das ist in Wien relativ selten.

Direkt neben dem Eso-Laden ein Woll- und Strickgeschäft im modernen Bioschick. Die Rückkehr der alternativen Bürgersfrau ins Biedermeier inszeniert sich als Avantgarde der Kreativität und des Umweltbewusstseins. Ostentative Konsumverweigerung gibt’s hier zu kaufen.

“Man erkauft sich das gute Gewissen”

“Verstanden sich derartige Bewegungen früher noch als Gegenmodell zu Kapitalismus und Moderne, so entpuppen sie sich heutzutage geradezu als Inbegriff von Ablasshandel und Konsumzwang”, erklärt Fischler. “Im Dienste der Nachhaltigkeit erwirbt man teure Bio- oder Fairtrade-Produkte und erkauft sich via Lifestyleshopping ein gutes Gewissen. Esoterische Konsumenten hingegen wollen mithilfe von spirituellen Ausbildungen und magischen Artikeln die Welt transformieren. Sie überfrachten ihr Dasein mit so etwas wie einen höheren Auftrag. In meinem Buch nenne ich das Mindstyle-Shopping.”

Die Involvierten würden sich mit der eigenen fortwährenden Konsumation der eigenen Gläubigkeit versichern. “So nach dem Motto, ‘mein eigenes wiederholtes Geldopfer beweist mir doch den Ruf meiner innersten Herzensebene’”, schildert der Psychologe. Konsumismus und Gläubigkeit würden hier Hand in Hand gehen. “Das ist eben Esoterik 2.0”.

Außergewöhnliche Dichte an Angeboten

Im Umkreis von vielleicht zweihundert Metern eine Ärztegesellschaft für Akupunktur und ein Arzt, der “Quantenmedizin” anbietet. Für Fischler die neueste Spielart esoterischer Weltverzauberung. Nur diesmal seinen es eher die techikaffineren Männer die hier angesprochen werden sollen: “Irrationalismus in rationalem Gewand”.

In dieser Dichte findet man das sogar in den bürgerlichen Bezirken Wiens innerhalb des Gürtels praktisch nicht. Wiewohl ein Blick ins Telefonbuch zeigt, dass Esoterikläden- und verlage hier wesentlich häufiger sind als sonstwo. In den proletarischeren Bezirken sind sie rare Ausnahmen. Lediglich im 21. und 22. Bezirk findet sich wieder eine Häufung einschlägiger Angebote, meist entlang der Ausfallstraßen. Hier wird offenbar der Speckgürtel mitbedient.

Ich werde fotografiert

Kritischen Nachfragen gegenüber zeigt sich das esoterische Milieu wenig offen. Als ich den Schaukasten des Esoterikladens am Eingang der Raimundpassage fotografiere, steht der Ladenbesitzer plötzlich neben mir und macht mit seinem Handy ein Foto von mir. Zu Recherchezwecken, wie er sagt. Ein schönes Bild sei es geworden.

Scientology und andere Sekten fotogafieren Menschen, die sie als Gegner ausmachen, gerne. Rechtsradikale ebenso. Sie verwenden das Fotografieren als bewusste Einschüchterung. Mag sein, dass “Sagarpuri” das so nicht gemeint hat. Andererseits hat sein Lächeln nicht wirklich freundlich gewirkt.

Christoph Baumgarten

[Erstveröffentlichung: hpd]


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