Den ganzen Tag setzten sich im Zentrum Moskaus die Proteste gegen Wladimir Putins Amtseinführung fort. Die OMON reagierte daruf mit Massenfestnahmen, dabei wurden unter anderem die Veranden von In-Cafes auf dem Nikitin-Boulevard auseinandergenommen. Den ganzen Tag über gab es auch Gerichtsverhandlungen gegen die am Vortag während des „Marsches der Millionen“ Festgenommenen. Dabei erhielten die Anführer der Opposition nur Geldstrafen, viele einfach Aktivisten aber Ordnungshaft.
Manege-Platz
Pussy Riot, Foto: Wikipedia
Am Tag der Amtseinführung Putins war die Innenstadt fast menschenleer. Metallgitter, Gefangenentransporter und Busse mit OMON patroulierten an den meisten Metrostationen in der Inenstadt. Die Stationen „Borovitzkaja“ „Kropotkinskaja“ und Leninbibliothek“ waren geschlossen.
Die am Vorabend angekündigte Aktion der Opposition auf dem Manege-Platz begann mit einiger Verspätung, die Idee auf den an den Krem angrenzenden Platz zu gehen entstand erst um 22:00 Uhr des Vorabends nach dem brutalen Auseinandertreibens der Kundgebung auf dem Bolotnaja-Platz
Es gab keine Plakate oder Slogans bei der Aktion: Die Teilnehmer wollten nur schweigend mit weißen Bändern gegenüber des Kremls stehen.
Die ersten tauchten um 10:00 morgens auf an der Ecke des Hotels „National“ direkt an der kreuzung Tverskaja und Mochovaja. Es gab fast keine Menschen älteren oder mittleren Alters, die Mehrzahl war jung. Sie waren sommerlich gekleidet – recht teuer und geschmackvoll, nur einige Teilnehmer kamen in nationalistischen T-Shirts „Ich bin Russe“, andere hatten Abzeichen von „Solidarnost‘“ angeheftet.
Die Leute versammelten sich weiter an der Maneschka (#manezhka wude am Vorabend auf Twitter kreiert) Ungafähr um 10:30 waren es einige hundert Teilnehmer. „Nach gestern muss man vorsichtig sein, es gibt viele Provokateure“ sagten einige 19-jährige Mädels, die auf dem Gitter der Unterführung saßen, die, wie sich herausstellte, zu Jugendbewegung von Jabloko gehörten.
Auf einmal entwickelten sich die Ereignisse schnell: nach einem Befehl über Funk zogen die Plizisten plötzlich die weißen Metallgitter mit der Aufschrift UVD ZAO um die Aktivisten zusammen und trennten sie von der Fahrbahn. Wer hinter der Absperrung stand wurde gezielt in den Metroabgang abgedrängt. Die OMON schloss gleichzeitig die Absperrung von der Straße Ochotnyj Rjad her, eine andere Einheit lief nach vorne. So wurden die Aktivisten von zwei Seiten zusammen gekeilt und parallel vom Manege-Platz weg zum Vordach des Hotels Ritz-Carlton gedrängt.
Dieses Mal schlug die OMON die Menschen nicht mit dem Kopf auf den Asphalt und wandte keine Schlagstöcke an. Die Leute wurden einzeln aus der Menge gegriffen und an Armen und Beinen zu den Gefangenentransportern getragen.
Am brutalsten wurde Vadim Korovin, Aktivist von Rosagit; festgenommen, als er in den Gefangenentransporter gedrängt wurde, schlug er einige Male mit dem Kopf gegen das Auto, lächelte aber weiter die Mitfühlenden an und rief „Russland ohne Putin“.
Letztlich drängte die Polizei die Menge auf die Gazetnyj-Gasse zu McDonalds. Einige versuchten sich vor der OMON in den umliegenden Cafes zu verstecken, ein Teil der Aktivisten ging in den McDonalds. Die OMON war bis dahin wild geworden und folgte der Opposition in das Fast-Food-Restaurant, drang ein und erschreckte die zahlreichen Besucher mit ihren Kindern.
„Warum sitzt ihr hier, wenn ihr nichts kauft?“ fragten die OMON-Angehörigen Besucher, die ihnen verdächtig erschienen.
Bald schnitten die Sicherheitsorgane den Zugang von der Gasse auf die Tverskaja ab und die Menschen mit den weißen Bändern entfernten sich Richtung Nikitskij-Boulevard.
Große Dimitrovka
Gleich nach dem Ende der ersten Aktion der Opposition in der Gezetnyj-Gasse sowie auf der Tverskaja und der Großen Dmitrovka erschienen Leute, die Plakate um den Hals hängen hatten „Putin liebt alle“. In den Händen hielten sie Georgsbänder und Trikolorenbänder und versuchten sie Passanten zuzustecken, „Wir sind aus Tula gekommen, wir sind von der ‚Jungen Garde‘. Wir sind für einen Tag gekommen. Wer uns gerufen hat? Es gab einen Anruf aus Moskau.“ Teilte eine etwa 24-jährige freudig dem Korresponeten von gazeta.ru mit. „Wie kommen wir zum Arbat? Dort haben sich die Feinde Russlands versammelt.“ Fragte den Korrespondenten ein anderes Mädchen, die mit ihrer Gruppe aus Saratow gekommen war. Bei den Polizisten, die in der Kamergerskij-Gasse standen, ging das Funkgerät. „Es geht eine Gruppe mit weißen Bändern über die <="" drängte="" p="" „ja="" wir="" kommen.="" das="" dorthin!“="" verstärkung“,="" brauchen="" dmitrovka.="">
„Schneller, die müssen festgenommen werden! Aber verwechselt nicht wie beim letzten Mal die weißen Bänder mit der Trikolore“, befahl das Funkgerät streng. An der Kreuzung Kamergerskij und Bolshaja Dmitrovka beobachteten Passanten, die im Cafe saßen erstaunt, wie die Gasse von der OMON gesperrt wurde.
Verwüstungen auf dem Nikitskij und Tverskoj-Boulevard
Demonstranten, die nicht auf den Manegeplatz gekommen waren, gruppierten sich auf dem Tverskij und Nikitskij-Boulevard. Es waren einige hundert Menschen mit weißen Bändern. Bald kamen OMON-Einheiten und begannen Festnahmen nach bewährtem Muster, wobei sie alle von den Boulevards abdrängten.
Ein Teil der Oppositionellen sammelte sich auf dem Nikitskij-Boulevard – das war der Ort der am nächsten zu Wladimir Putins Route in den Kreml lag. Dort gab es die aufsehenerregendsten Ereignisse, die danach intensiv von den Oppositionellen diskutiert wurden: Die Verwüstungdes Cafes „Jean-Jaques“, das bei der Moskauer Presse und der Opposition beliebt ist und die Säuberungdes angrenzenden Pubs „John Donn“.
Am Tag konnte man bereits die geschlossenen Cafes „Jean-Jaques“, „John Donn“ und „Capussino“ bewundern. „Aus technischen Gründen arbeitet das Cafe z.Zt. nicht“, verkündeten die Aushänge an den Türen. Gegenüber taten Gefangenentransporter Dienst, auf dem Vorlpatz der Cafes patroulierte OMON. Tische auf der Veranda des „Jean-Jaques“ waren nicht zu sehen, obwohl sie noch am Vorabend da waren.
Was dort morgens passiert ist: „Wir saßen im Cafe, tranken Kaffee; ich, der Journalist Aleksandr Korsunskij, der Politiker Boris Nemtsow, der Chefredakteur von grani.ru Wladimir Korsunskij“, erzählte Lew Rubinshtein, ein Augenzeuge, dem Korrespondenten von gazeta.ru. „Auf einmal sahen wir, dass einige Menschen mit weißen Bändern den Boulevard entlang kamen. Sie standen an der Straße, die Polizei bat sie von der Fahrbahn wegzugehen, dieser Forderung kamen sie nach. Plötzlich tauchte eine OMON-Einheit auf dem Nikitskij-Boulevard auf, die auf die Aktivisten losrannten und mit Verhaftungen begann und gleich dazu noch die Cafe-Besucher; sie zogen Leuten von den Tischen weg, stürzten die Tische um, zerschlugen Geschirr, Gläser, Tassen.
„Das Jean-Jaques wurde gesäubert, Mich warfen sie aus dem Cafe hinaus, zerschlugen mir die Nase, steckten mich in einen Gefangenentransporter. Sie packen alle. Gewöhnliche Cafe-Besucher. Höllische Stickigkeit. Sie weigern sich, die Ventilation einzuschalten. Entgegnen ‚Atmet weniger‘“ schrieb Nikolaj Beljaev, Aktivist der Bewegung „Liga der Wähler“ in seinem Blog.
Später stellte sich heraus, dass er bei der Festnahme an einem Wirbel verletzt wurde, dessen ungeachtet erhielt er einen Einberufungsbefehl.
Auf der Puschkinskaja setzte OMON die Massenfestnahmen fort, kreisten die Aktivisten ein und griffen die heraus, die sie wollten. Im Eifer des Gefechtes gerieten auch normale Passanten darunter.
In der Nähe der Ansammlung von Leuten mit weißen Bändern ohne Plakate und Losungen gab es eine Aktion der Kremljugend, die vom Arbat hierher gekommen war. Auf einmal verließ die Kremljugend organisiert den Boulevard. Die Teilnehmer dieser Aktion sagten dem Korrespondenten von gazeta.ru, dass OMON sie darum gebeten hatte, damit die Putin-Anhänger nicht zufällig während der Festnahmen der Oppositionellen auch in die Gefangenentransporter gerieten.
Die Menge der Protestierenden mit weißen Bändern löste sich bald auf. Gleichzeitig verkündete die Hauptstelle des Innenministeriums, dass es während Putins Amtseinführung in Moskau etwa 120 Festnahmen gegeben habe, die Situation in der Stadt aber „insgesamt ruhig“ sei.
An der Metrostation Puschkinskaja gab es einen Stau aus Gefangenentransportern, alle waren gefüllt. Die Oppositionellen vereinbarten in der Zeit über soziale Netzwerke, dass man sich an die Tchistye Prudy verlagert.
Tchistye Prudy und Kitaj-Gorod
An den Tchistye Prudi gab es etwa 200 Putin-Gegner, viele hatten nicht einmal weiße Bänder angeheftet und standen einfach an dem Brunnen und redeten miteinander. Die Kämpfer der OMON kreisten die fröhlichen jungen Menschen ein, die ohne Plakate, ohne Losungen und nicht einmal in einer Menge, sondern in kleinen Gruppen standen.
Die sich Erholenden auf den Bänken beobachteten, wie Menschen, die an der Fontäne spazieren gingen, fixiert und in Gefangenentransporter getragen wurden, die OMON zog die Absperrung enger, um die nicht genehmen Spaziergänger aus dem öffentlichen Raum abzudrängen.
Unter dem Druck von OMON wichen die Aktivisten, rutschten auf dem regenfeuchten Grass aus. „Wir brauchen Verstärkung. Hier ist die baschkirische OMON im Einsatz, wir brauchen noch eine Einheit“, befahl in der Zeit ein Polizist über Funk.
Der Eifer des Gefechtes traf auch Aleksander Tchernych, den Korrespondenten von Kommersant, und Konstantin Janukasukas, einen Stadtratsabgeordneten, der die Polizisten darauf aufmerksam machte, dass ihre Namensschilder von den Taschenklappen verdeckt waren. Als Antwort auf die Forderung, die Abzeichen kenntlich zu machen nahm OMON die auf die Einhaltung des Gesetzes Drängenden fest. Nach einiger Zeit wurde Tchernych jedoch wieder freigelassen.
Zum Abend entschieden die Aktivisten, sich nach Kitaj-Gorod zur Verwaltung des Präsidenten aufzumachen. Hier versammelten sich um 19:00 Uhr etwa 300 Menschen am Denkmal für die Helden von Plevna. Im weiteren erinnerte das Geschehen an die Ereignisse auf den Boulevards: punktuelle Verhaftungen, ein Kreis aus OMON und die Aufforderung der Polizei auseinanderzugehen. Zum Redaktionsschluss war das Aufeinandertreffen in Kitaj-Gorod noch nicht beendet. Die Zahl der dort Festegnommenen betrug 30 – 40 Menschen, ein Teil der Protestierenden wurde zur Marosejka abgedrängt.
Gerichte
Die Gesamtzahl der in zwei Tagen verhafteten Aktionsteilnehmer betrug laut Hauptstelle des Innenministeriums etwa 1000 Menschen, damit kamen offensichtlich weder Gerichte noch Polizei zurecht. Die OMON klagte über Funk über einen Mangel an Gefangenentransportern und die meisten Fälle, die den Gerichten übergeben wurden, konnten nicht verhandelt werden.
Ein Teil der Festgenommenen konnte nach prophylaktischen Gesprächen gehen. 100 Menschen im wehrfähigen Alter erhielten eine Vorladung ins Armeekommissariat („Kreiswehrersatzamt“). Einige Urteile am frühen Morgen waren hart. So wurde der Aktivist Nikolaj Ljazkin zu fünf Tagen Arrest wegen „Widerstandes gegen Polizeibeamte“ verurteilt. Dabei erhielten die Anführer der Opposition, die am Vorabend festgenommen worden waren, leichtere Strafen. Der Politiker Aleksej Navalnyj und der Anführer der „Linken Front“ Sergej Udaltsov erhielten eine Geldstrafe in Höhe von 1000 Rubeln (ca26 Euro) für denselben Paragraphen wie Ljazkin. Navalnyj vermutete nach seiner Freilassung, dass die bekannten Oppositionsführer gezielt nur eine Geldstrafe erhalten haben, damit der Protest nicht weiter eskaliert.