„Out“
(Glitterhouse Records)
So langsam ist es an der Zeit, auch an dieser Stelle mal eine Lanze für ein Land und eine Stadt zu brechen, die in der öffentlichen Wahrnehmung ein bisschen unterrepräsentiert sind, vielleicht sogar mit etwas Missgunst betrachtet werden. Warum Baden-Württemberg immer noch mit der Verniedlichung „Ländle“ gestraft wird, erschließt sich wohl nur dem, der auch Bayern auf Lederhosn und Sachsen auf Jammerossis verkürzt. Zu verstehen ist es nicht, denn schließlich hat es dieses Bundesland bislang als erstes und einziges zu einem grünen Ministerpräsidenten geschafft (die Landeshauptstadt legt noch einen grünen Bürgermeister obendrauf) und einem Teil seiner Einwohner, Schwaben genannt, gebührt uneingeschränkte Anerkennung für die Großtat, dem bisweilen verwöhnten und arroganten Berliner Hippsterbiotop mal so richtig und ordentlich auf die Nerven zu gehen. Zudem ist die Mähr vom gemütlich-verspießten Hinterwäldler endgültig auserzählt – wer wenn nicht die Straßenkämpfer von Stuttgart 21 haben uns gezeigt, wie Revolte im neuen Jahrtausend funktioniert!? Zur Revolte passt der Punk und dazu wiederum die Musik von Julian Knoth, Max Rieger und Kevin Kuhn, die als Die Nerven seit nunmehr fünf Jahren ebenfalls am verstaubten Image des Südwestens kratzen. Und zwar in des Wortes buchstäblicher Bedeutung.
Nach den beiden Alben „Fluidum“ und „Fun“ haben sie gerade ihr drittes Werk veröffentlicht und „Out“ tut gut daran, Stil und Sound nicht maßgeblich zu verändern – noch immer scheppern und kreischen die Gitarren, wirken die Songs roh und energiegeladen. Frust und Misstrauen scheinen den dreien nicht weniger geworden zu sein – Verwahrlosung (vor allem die seelische), Abschottungsmentalität, Paranoia, der Mensch als „dissonanter Ton“. Es geht um jene, die stets wegblicken, wenn es unangenehm wird, und um die, welche sich überall nervös umschauen, weil sie sich gejagt fühlen, von den Erwartungen, vom schlechten Gewissen, von allem und jedem um sie herum. Wut und Enttäuschung ziehen sich ein weiteres Mal wie ein grauer Faden durch Stücke des Albums, nichts davon läßt sich speziell an der Heimat des Trios festmachen, ein universelles Unbehagen, dem sie laut und kämpferisch entgegenbrüllen – keine Kapitulation, noch nicht. Gerade dafür sind Die Nerven kürzlich auf dem Hamburger Reeperbahnfestival mit dem Kritikerpreis des Verbandes unabhängiger Musikunternehmen als „Bester Act“ ausgezeichnet worden, das klingt ein wenig nach Alternativ-Echo, hat aber angesichts der Teilnehmerliste deutlich mehr Relevanz. Stand jetzt: Genau die richtige Wahl. http://dienerven.tumblr.com/
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