Die nackte Wahrheit ist meist sehr lieblos!

Von Wernerbremen

Quelle: Helga und Gerd Steuer


Meine heutige Morgennotiz
Ihr Lieben,

heute möchte ich Euch ein jüdisches Volksmärchen erzählen:

„Die Wahrheit ging durch die Straßen ganz nackt, wie am Tag ihrer Geburt.
Kein Mensch wollte sie in sein Haus einlassen.
Jeder, der sie traf, flüchtete voller Angst vor ihr. 

Eines Tages ging die Wahrheit wieder in Gedanken versunken durch die Straßen.
Sie war sehr betrübt und verbittert.
Da begegnete sie dem Märchen. Das Märchen war geschmückt mit herrlichen, prächtigen und vielfarbigen Kleidern, die jedes Auge und jedes Herz entzückten. Da fragte das Märchen die Wahrheit: “Sage mir, geehrte Freundin, warum bist du so bedrückt und drehst Dich auf den Straßen so betrübt herum?” Da antwortete ihm die Wahrheit:
“Es geht mir sehr schlecht. Ich bin alt und betagt und kein Mensch will mich kennen.”
Hierauf erwiderte ihr das Märchen: “Nicht weil Du alt bist, lieben Dich die Menschen nicht. Auch ich bin sehr alt, und je älter ich werde, desto mehr lieben mich die Menschen.
Siehe, ich will Dir das Geheimnis enthüllen: Sie lieben es, dass jeder geschmückt ist und sich ein wenig verkleidet. Ich werde Dir solche Kleider borgen, mit denen ich angezogen bin, und Du wirst sehen, dass die Leute auch Dich lieben werden.”Die Wahrheit befolgte diesen Rat und schmückte sich mit den Kleidern des Märchens.
Seit damals gehen Wahrheit und Märchen zusammen und beide sind bei den Menschen beliebt.“


Ihr Lieben,

im Deutschen sprechen wir sprichwörtlich von der „nackten Wahrheit“ und wir meinen damit nichts besonders Gutes. Jemandem die nackte Wahrheit ins Gesicht zu schleudern, ist lieblos und unmenschlich.
Wir können aus diesem kleinen Märchen eine ganze Menge lernen:
Ich versuche zum Beispiel, jeden Tag auf diesem ESELSKIND-Blog Anregungen zum Leben zu geben, Menschen zu ermutigen, Hoffnung und Zuversicht zu wecken, dazu anzustiften, Liebe und Freude in diese Welt hineinzutragen. Und ich tue das auch in Form von Geschichten, von Märchen und Beispielen.

Wenn wir möchten, dass sich andere Menschen ändern, sind zwei Voraussetzungen dringend notwendig:

Die absolute Grundvoraussetzung ist, dass wir mit dem Verändern der Welt und des anderen Menschen bei uns selbst anfangen. Nur wer bereit ist, sich selbst zu verändern und das auch tut, ist glaubwürdig für andere Menschen. Und wir sollten niemals von anderen Menschen etwas verlangen, dass wir selbst nicht zu tun bereit sind.

Die zweite Voraussetzung ist, dass wir mit dem anderen Menschen liebevoll und verständnisvoll umgehen. Eine Aufforderung zur Veränderung, die auf einem „Du musst, Du musst, Du musst“ beruht, wird wenig Wirkung zeigen.

Es ist wie mit der Wahrheit in unserer Geschichte:
Wenn wir anderen Menschen Denkanstöße geben wollen, wenn wir wollen, dass sich z.B. unsere Kinder und Enkelkinder verändern, dann bringt es wenig , z.B. unsere Kinder und Enkelkinder mit der „nackten Wahrheit“ zu konfrontieren: „Du bist ein Versager!“, wenn es z.B. um schulische Dinge geht.
Es kann ja tatsächlich sein, dass unser Kind, unser Enkelkind in der Schule in dem einen oder anderen Fach keine guten Leistungen bringt und dann wäre die nackte, die lieblose Wahrheit tatsächlich: „Du bist ein Versager!“

Aber, das werdet Ihr sicher zugeben, dass wird unser Kind, unser Enkelkind kaum motivieren, mehr zu leisten, wird es kaum mit Freude erfüllen, in Zukunft seine Lernanstrengungen zu erhöhen.
Statt die nackte Wahrheit lieblos zu sagen, wäre es besser, sich mit dem Kind hinzusetzen und gemeinsam erst einmal nach den Ursachen des Versagens zu forschen und wenn wir dann den Kindern anhand von Beispielen verdeutlichen, dass sie es trotz ihrer jetzigen Schwäche schaffen können, auch in den Fächern, in denen sie jetzt nicht so gut sind, eines Tages gute Leistungen zu bringen, dann wird das unsere Kinder und Enkelkinder viel mehr zum Lernen motivieren.
Wenn meine beiden Söhne in der Schule schlechte Leistungen erbrachten und darüber selbst traurig waren, dann habe ich gerne meine alten Schulzeugnisse herausgekramt und ihnen gezeigt, dass ich in der Schule teilweise sehr schlechte Zeugnisse hatte und dass aus mir trotzdem ein Dozent an der Universität geworden ist. Dieses Beispiel hat tausend Mal mehr bewirkt als eine Standpauke und die „nackte Wahrheit („Du hast versagt“).
Ihr Lieben,
lasst uns weiter die Wahrheit sagen, aber lasst uns der Wahrheit schöne Kleider anziehen, lasst und Beispiele, Geschichten und Märchen wählen, um die Wahrheit als Denkanstoß weiterzugeben.
Ich wünsche Euch heute einen fröhlichen und zuversichtlichen Tag und grüße Euch herzlich aus Bremen

Euer heiterer Werner 

Quelle: Karin Heringshausen