Die Nachteile der Ganztagsschulpflicht

Gudrun Trausmuth im Standard, 21. Nov. 2013

Was die Ganztagsschule für die Kinder bedeuten würde. Aus der Sicht einer Mutter und Journalistin

Unter einer Mogelpackung versteht man landläufig eine Art der 
Präsentation eines Produkts oder Angebots, die über die wirkliche 
Qualität oder Quantität des Inhalts hinwegtäuscht. So eine 
Mogelpackung droht uns nun in den Wochen vor Weihnachten 
mit der möglichen verpflichtenden Ganztagsschule hereinzuschneien. 
Eine schöne Bescherung für unsere Kinder

40 Stunden

Packen wir das Paket einfach mal im Vorhinein aus, und schauen wir, was sich uns präsentiert. Auf den ersten Blick gar nicht so schlecht: Ein aufgelockerter Stundenplan von morgens bis in den späteren Nachmittag hinein – also sagen wir von 8 bis 16 Uhr? Schauen wir genauer hin: Von Montag bis Freitag also acht Stunden täglich im Wechsel Pflichtfächer, Sport, Musisches, Pausen. Das bedeutet circa 40 Stunden in der Woche in der Schule. 40 Stunden, das ist die Zeit eines vollen Jobs im Berufsleben.

Einen durchschnittlichen – nicht zu großzügig bemessenen – Schulweg eingerechnet, kommen die Kinder um 16.30 Uhr nach Hause. Täglich. Na ja, das mit dem Judo, den Pfadfindern, dem Ballet oder der Jungschar wird sich dann halt wochentags nicht mehr ausgehen – oder möchte jemand um 17 Uhr noch eine freiwillige Einheit mit Wegzeit dranhängen? Auch außerschulische Freunde zu treffen, wird ein seltenes Highlights werden.

Entlastung für die Eltern?

Oh, wie nett, auf dem Paket steht, dass zu Schulende ja alle Hausaufgaben schon gemacht sind! – Und dass die Eltern nicht etwa noch mit dem Sprössling zu Hause was nachfüttern müssen; im Originalton Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl, auf die Frage, was sie sich von der Ganztagsschule erwarte: “Zum einen eine Entlastung: Die Eltern sollen weder Hausübung machen noch Nachhilfe geben.”

Das klingt verlockend, lässt aber Zweifel hochsteigen, vor allem, weil ich dummerweise erst kürzlich eine der anerkannt seriösen Bildungsstudien eines umtriebigen deutschen Kinderversands in der Hand hielt, die mich in Bezug auf das Eltern-Entlastungs-Versprechen durch Gesamtschule reichlich stutzig machte: “Überraschend ist allerdings, dass die Ganztagsschul-Eltern sich genauso intensiv wie die Halbtagsschul-Eltern um Hausaufgabenkontrollen, Lernstoff-Erarbeitungen und vorbereitende Hilfen für Klassenarbeiten kümmern.” Hm, also zumindest in Deutschland scheint alles beim Alten geblieben zu sein, wahrscheinlich mit einer gewissen zeitlichen Verschiebung in den Abend hinein beziehungsweise einer intensiveren Lernbetreuung durch die Eltern am Wochenende.

Reality Check

Begierig, das Paket weiter aufzuschnüren, unterbreche ich kurz, um schnell nach meinen Kindern zu sehen: Ich finde meinen von fünf Schulstunden erschöpften Sechsjährigen ganz ruhig am im Wohnzimmer am Boden liegend und intensiv einer Hör-CD lauschend, während mein neunjähriger Sohn sich in die hinterste Ecke des Kinderzimmers zurückgezogen hat, wo er still und hingegeben liest. Das wird in der Ganztagsschule um 14.20 Uhr wohl nicht möglich sein, bei bis zu 25 Kindern pro Klasse, ungenügenden räumlichen Möglichkeiten, permanentem Lärmpegel und nicht vorhandenen Rückzugsmöglichkeiten. Individuelle Entfaltung ist da nicht möglich, dafür natürlich das Funktionieren im Kollektiv: Freiheitsraum und Stille verschwinden, Programmerfüllungkompetenz und Lärmresistenz steigen (bis vielleicht auf die eine oder den anderen Hypersensible/n, die dann nach 16 Uhr individuelle psychologische Betreuung brauchen werden).

Schicht für Schicht lege ich vom Ganztagsschulpaket frei, und irgendwann kommt mir seltsamerweise ein Satz von Astrid Lindgren in den Kopf: “Zweierlei hatten wir, das unsere Kindheit zu dem gemacht hat, was sie gewesen ist – Geborgenheit und Freiheit”. Ja, Geborgenheit und Freiheit, das möchte ich meinen Kindern mitgeben, und es ist kein einfacher Anspruch. Damit meine Kinder das am Nachmittag leben können, mache ich meine Arbeit zum Teil zu Hause und habe sie zum Teil in die Abend- und Nachtstunden hineinverlegt. Mir ist bewusst, dass mein Mann und ich uns damit für ein Minderheitenprogramm entschieden haben, aber im Sinne der individuellen Entfaltung unserer Kinder und vor allem auch in der Überzeugung, dass Bildung und Bindung (nicht nur dem Wort nach) eng zusammenhängen, stehe ich voll und ganz dahinter.

Entsetzen

So, nun noch die letzte Verpackungsschicht runter vom Ganztagsschulpaket. Entsetzen! Ich dachte immer, das (mir zwar nicht einleuchtende), aber anderen offenbar klare “Wohl der Kinder” sei das große Motiv im Umbau des Bildungssystems, nun starre ich der Wahrheit ins Gesicht, die da lautet: Damit möglichst alle Frauen möglichst full-time in die Erwerbstätigkeit gehen – was vor allem auch zur immerhin noch kurzfristigen Aufrechterhaltung des Pensionssystems notwendig ist – müssen die eventuell vorhandenen Kinder verpflichtend ganztägig beschult werden.

Das verfrühte Weihnachtsgeschenk hat sich als Mogelpackung erwiesen – höchste Zeit, es postwendend zurückzuschicken, mit der deutlichen Aufschrift: Die Ganztagsschule muss freiwillig bleiben. (Leserkommentar, Gudrun Trausmuth, derStandard.at, 21.11.2013)

Mag. Dr. Gudrun Trausmuth ist Mutter von zwei Kindern und arbeitet als Literaturwissenschaftlerin und Journalistin.

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Hinweise

Gesamtschule zum Scheitern verurteilt

Von den Kindern und ihren Feinden aus „Die Weiße Rose – Zeitschrift gegen den Zeitgeist“

Kinder im Zangenangriff von Linken und Industrie
Die Industrie kann mit der Unterstützung der linken Idee der Verstaatlichung der Kinder indirekte staatliche Förderung erhalten:
Die Fremdbetreuung der Kinder übernimmt der Staat, bezahlt somit der Steuerzahler;
die Mütter dagegen “müssen” dann arbeiten gehen bzw. werden mittels finanzieller Druckmittel und massiver propagandistischer Beeinflussung dazu genötigt.
Sie stehen damit der Industrie als meist billige Arbeitskräfte zur Verfügung.
Warum merken das die Vertreter der Arbeiterklasse nicht?

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