Die Currywurst ist in aller Munde - besonders in der Hauptstadt ist sie fester Bestandteil der Esskultur. Ob die Currywurst tatsächlich als Berliner Delikatesse durchgeht, ist zwar bis heute fraglich, aber immerhin gehört sie zur stilechten Selbstinszenierung als Hauptstädter. Der hat die proletarische Brühwurst mit Curryketchup längst zum Kultlebensmittel werden lassen. Während in anderen Hauptstädten der Haute Cuisine gefrönt wird, mag es der Berliner eher einfach und zeigt sich ziemlich resistent gegenüber allen Versuchen, das Essen zum feinen Distinktionsmerkmal zu machen.
Der Kulturwissenschaftler Markus Thierbach hat an der Universität Bonn in einer Mikrostudie die soziale Wertigkeit der Currywurst erforscht. Mittlerweile lebt der leidenschaftliche Currywurstesser in der bayerischen Landeshauptstadt und beschäftigt sich in seinem Blog www.besondersalltag.de immer wieder mit der gesellschaftlichen Aufladung von Ernährung. Johannes J. Arens, Autor des kürzlich im Vergangenheitsverlag erschienenen Buches "Nachschlag Berlin" hat den Currywurst-Liebhaber interviewt:
Herr Thierbach, 2009 wurde in Berlin 60 Jahre Currywurst gefeiert. Zu Recht?
In den Medien findet man leider immer die gleiche Geschichte: Herta Heuwer soll 1949 bei schlechtem Wetter angefangen haben, Currysoße zu mixen. Wenn man aber genauer hinguckt, dann stellt man fest, dass es dafür gar keine Quellenbelege gibt, die einer kritischen Würdigung standhielten.
Was wissen wir denn überhaupt?
Herta Heuwer gilt als Mutter der Currywurst, weil sie ein paar Jahre später ein Patent auf die Soße angemeldet hat. Man weiß aber sehr wenig über die tatsächlichen Umstände der Entstehung. In den frühen 1980er Jahren hat Heuwer dem ,Zitty-Magazin‘ ihre Geschichte erzählt, weicht in anderen Interviews aber von dieser Schilderung stark ab. Auch das, was sie wiederholt erzählt, kann nicht alles wahr sein. Sie besteht zum Beispiel darauf, dass an jenem Tag schlechtes Wetter war, als sie das Rezept erfand. Wenn man aber beim Deutschen Wetterdienst recherchiert, stellt man fest, dass die Sonne geschienen hat.
Ist das schlimm?
Wir geben uns mit sehr wenigen Fakten zufrieden, obwohl es um ein so beliebtes und als typisch deutsch empfundenes Kulturgut geht. So bleibt die Entstehung der Currywurst ein Mythos – und vielleicht soll es genau dabei bleiben. Ob die ,Bild‘ schreibt, dass Currywurst vor Krebs schütze oder Gerhard Schröder sich als Currywurstesser gereriert: Es werden immer die gleichen zwei, drei Sätze zur angeblichen Currywurst-Geschichte referiert.
Ist die Currywurst denn überhaupt eine Berliner Erfindung?
Wir haben es hier mit einem Phänomen zu tun, dass nur in der Nachkriegszeit und eigentlich auch nur in Berlin entstehen konnte. Davor war Ketchup eine Delikatesse, die kaum Verbreitung hatte, das Currygewürz gab es in Deutschland noch nicht und auch das Essen auf der Straße war noch unüblich. All das haben die britischen Soldaten und die amerikanischen GIs populär gemacht, die zusammen in Berlin stationiert waren und die Zutaten mitbrachten. Aber wie gesagt: Es gibt kaum vernünftige Quellen zu den Currywurst-Ursprüngen.
Gibt es denn ein Interesse, das über den bloßen Konsum hinausgeht?
Currywurst wird gerne ironisch betrachtet. Ich habe noch nicht ganz verstanden warum, aber ich vermute, dass es viel mit Unterschieden zwischen gesellschaftlichen Schichten zu tun haben muss. Denn auch der wohl situierte Bürger hat mal Heißhunger auf etwas Fettes, also Tabubehaftetes. Das holt er sich dann da, wo vor allem die Unterschicht zu Gast ist. In der Edel-Imbissbude überhöht er dieses Verhältnis wiederum ironisch.
Die Wurst als typisches Fastfood?
Currywurst ist Fastfood im wahrsten Sinne des Wortes. Es wird transitorisch verzehrt, also im Vorübergehen. Die Befriedigung des Hungergefühls ordnet sich dabei allen anderen Tätigkeiten unter, das Gefühl der Sättigung soll möglichst schnell erreicht werden. Das geht ganz gut mit Currywurst, Pommes, Mayo, was ja eine ordentliche Ladung Kalorien ist.
Currywurst gibt es mittlerweile überall in Deutschland.
Die Currywurst ist weit verbreitet, von Sylt bis Garmisch-Partenkirchen. Es gibt regionale Unterschiede, aber das schöne am Fast Food ist ja, dass es standardisiert ist: Standardisierung gibt uns immer Verhaltenssicherheit. Wir wissen, was uns bei Currywurst oder Döner erwartet – anders als etwa bei Gelbwurst oder Käsekrainer.
Was ist denn das Besondere an der Berliner Version der Currywurst?
Vor allem die darmlose Wurst. Übrigens eine Erfindung der Nachkriegszeit, in der Därme knapp waren. Deshalb haben die Metzger die Rezeptur angepasst, so dass die Inhaltsstoffe miteinander verkleben und die Wurst auch ohne Hülle schnittfest bleibt.
Sonst nichts?
Das ist ja gerade das Interessante am Phänomen Currywurst. Einerseits ist es total austauschbar, denn eine Currywurst fällt selten durch, eine Currywurst ist selten ungenießbar. Auf der anderen Seite gehen die Leute aber trotzdem immer in dieselben Buden und bauen ein Vertrauensverhältnis auf.
Sind Imbissbuden Orte, an denen gesellschaftliche Unterschiede aufgehoben werden?
In der Currywurst sind alle Menschen gleich.
Mehr zur Geschichte der Currywurst gibt's in:
Johannes J. Arens, Nachschlag Berlin. Zur Kultur des Essens und Trinkens in der Hauptstadt, Berlin 2010 (180 Seiten, Hardcover, bebildert, 24,90 Euro)