Die müde Leitkuh

Auf einer schönen, grünen Wiese lebt eine kleine Kuhfamilie. Sie sind gern da draußen, fühlen sich wohl an der frischen Luft und genießen ihre gemeinsame Zeit. Doch auch Kühe stehen manchmal im Regen und können nichts dagegen tun, außer sich in ihrem Stall zu verkriechen und die Sache auszusitzen. 

Da gibt es zum Beispiel das kleine Kälbchen – ein fröhliches und ausgeglichenes Wesen. Doch diese kleine Kuh lernt gerade jede Menge über sich selbst, testet ihre Grenzen aus und will alles selbst machen, weil sie ja  fast schon groß ist. Aber vieles klappt eben noch nicht so, wie sie sich das vorstellt. Es ist eben gar nicht so einfach, auf seinen eigenen Hufen zu stehen. Und deswegen ist das Kälbchen oft unzufrieden, wenn nicht gar wütend und muht deswegen besonders häufig und laut.

Es gibt noch ein weiteres Kuhkind. Von einem Jungbullen kann man hier noch nicht sprechen. Er ist schon auch noch ein Kalb – aber eben ein etwas älteres. Dieses Kalb ist sehr sensibel und impulsiv zugleich. Obendrein ist es nicht selten von dem kleinen Kälbchen genervt und so kommt es vor, dass die beiden sich oft lauthals anmuhen und er ihr beweisen will, dass er der stärkere ist. Das gelingt jedoch meistens nicht, denn die Leitkuh geht ständig dazwischen, wenn der Nachwuchs seine Kräfte messen will. Dazu kommt, dass das Kalb oft nicht in den Kuh-Hort gehen will, um mit all den anderen Kälbern zu spielen, weil es viel lieber den ganzen Tag bei seiner Familie bleiben möchte. Es fühlt sich hin- und hergerissen.

Der Bulle – der Vater der beiden Kälber – ist gerade ziemlich gestresst. Er verkauft Melkmaschinen oder irgendwelche anderen technischen Geräte – ich weiß es nicht mehr ganz genau. Auf jeden Fall muss er gerade sehr viel reisen, um all den anderen Kühen da draußen zu erklären, wie diese Maschinen funktionieren. Allein im letzten Monat war er in Hamburg, im Schwarzwald, in Berlin und sogar in Finnland. Stellt Euch das mal vor! Eine Kuh im Flugzeug! Na ja, im neuen Monat geht es gleich so weiter. Der Bulle ist viel unterwegs. Die Kälber vermissen ihn und die Wochenenden sind daher wenig erholsam. Durchschnauben ist gerade fast unmöglich für diesen Bullen.

Und da gibt es natürlich noch die Mutter der beiden Kälber – die Leitkuh. Die müde Leitkuh. Sie ist rund um die Uhr für ihre Kälber da und das macht sie wirklich gerne, denn ihre Familie ist ihr Ein und Alles. Doch all die Wutausbrüche, das laute Gemuhe und die ständigen Rangeleien der Kälber, zerren der Leitkuh oft an den Nerven. Und da sie eh immer so müde ist, erschwert es die Sache umso mehr. Es bricht der Kuh das Herz, wenn sie Tag für Tag ein trauriges Kalb zum Kuh-Hort bringen muss. Sie würde sich wohler fühlen, wenn sie ein freudiges Kalb hinbringen könnte. Eben dieses Kalb wird auch jede Woche wütend, wenn die Leitkuh zur Rinderrückenmassage gehen muss und dann Oma Kuh für eine halbe Stunde bei ihm bleibt. Dabei kümmert Oma Kuh sich doch so liebevoll.

Die Leitkuh gibt sich viel Mühe, eine gute Kuhmutter für ihre Kälber zu sein. In brenzligen Situationen versucht sie tief Luft zu holen und gelassen ihr Gras wiederzukäuen. Doch manchmal blökt sie plötzlich herum, es platzt aus ihr heraus – ob sie will oder nicht. Und dann kommt sie sich vor, wie ein blödes Schaf. Und das alles nur, weil die Kuh so furchtbar müde, ratlos und gestresst ist. Und weil sie ihren Bullen vermisst, Der ihr sonst immer den Rücken stärkt.

Aber dann geht sie raus auf die Wiese, lässt sich das Fell von der Sonne wärmen und frisst ein paar saftige Wiesenblumen. Und sie holt tief Luft und denkt: Auch diese Phase geht vorbei. Ganz bald. Dann lächelt sie zuversichtlich.

Die müde Leitkuh – die bin ich.

Die müde LeitkuhDer Kuhstall – hier gehöre ich hin.

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