Die Monster sind immer die anderen

So endet der unbedingt zum Lesen empfohlene Artikel Ich und mein Täter über Thordis Elva, die  zusammen mit dem Mann, der sie vor 20 Jahren vergewaltigt hat, ein Buch geschrieben hat. Was die einen fasziniert, empört die anderen, die dadurch ein Monster vermenschlicht, das Opfer erniedrigt und die Tat verharmlost sehen.

Aber so einfach ist es nicht. Auch wenn viele es gerne so hätten, die Menschheit lässt sich nicht einfach in gut und böse aufteilen. Alle Menschen tragen nicht nur die Kapazität zu beidem in extremen Formen in sich. Die meisten von uns bewegen sich auch tagtäglich innerhalb dieses Spektrums. Nicht bis zu den Extremen, glücklicherweise. Aber in gewissem Rahmen ist es Alltag für jeden von uns. Angefangen von entferntem Leid, das wir ignorieren, wenn wir bei unserem Konsum all das ausblenden, was wir anderen damit antun, bis hin zu unserem direktem Umfeld, in dem wir Menschen mehr oder weniger stark ausnutzen und manipulieren um das zu bekommen, was wir gerne hätten. Verführung und Vergewaltigung sind eben nicht grundverschiedene Dinge und es braucht nicht grundverschiedene Menschen für das eine oder das andere. Vielmehr liegen beide auf derselben Skala. Nicht nur objektiv, vor allem subjektiv. Nicht wenige Täter verstehen nicht, worin ihre Tat überhaupt bestanden haben soll und sehen sich selber ohne jede Schuld. Nicht nur bei diesem, sondern bei jedem Thema. Dass derselbe Mensch, der tagsüber in seinem Dienst als KZ-Wächter zu Grausamkeit und Menschenverachtung fähig war, sich abends fürsorglich um seine Familie gekümmert und sich Sorgen um seine kranken Kinder gekümmert hat, mag uns als absurdes Paradoxon erscheinen. Aber wir alle sind zu solchen Widersprüchen fähig und leben mit ihnen – wenn eben auch glücklicherweise meist in einem wesentlich weniger dramatischen Ausmaß. Aber wir finden immer tausend Gründe, um unser Verhalten zu rechtfertigen oder zumindest die Konsequenzen auszublenden. In der Hinsicht unterscheiden wir uns nicht von Tom Stranger.

Was Stranger vom Rest abhebt, ist dass er sich seinem Handeln gestellt hat. Nicht aus freien Stücken, sondern nachdem sein Opfer ihn dazu gedrängt hat. Aber nichtsdestotrotz, er hat es getan. Genau deswegen sollte man hier nicht empört sein, sondern es zum Anlass nehmen, nachzudenken. Nicht nur über ihn und sein Opfer, sondern über uns selber und unser eigenes Handeln. Denn die Monster sind eben nicht immer die anderen.


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