Die Mittelschicht leidet

„Linke wüten wegen Aussage von Jens Spahn zu Hartz IV“, lautet eine Überschrift auf Focus online. Dabei hatte Spahn lediglich festgestellt, dass jeder in Deutschland mit Hartz IV das habe, „was er zum Leben braucht.“ Nun will vermutlich kein vernünftiger Mensch mit einem Hartz IV-Empfänger tauschen, es sei denn, er ist beispielsweise Rentner. Denn der hat, obwohl er sein ganzes Leben lang gearbeitet und eingezahlt hat, wenn’s dumm läuft, weniger als der Hartz IV-Empfänger. So lag der durchschnittliche Zahlbetrag der Versichertenrenten am 1. Juli 2014 bei 1.061 Euro (Männer) bzw. 770 Euro (Frauen) in den alten Bundesländern und bei 993 Euro (Männer) bzw. 532 Euro (Frauen) in den neuen Bundesländern. Dagegen beträgt der aktuelle Regelsatz von Hartz IV 416 Euro, der von Partnern bei 374 Euro. Zudem sind Hartz-IV-Empfänger automatisch krankversichert und müssen diese Kosten nicht selbst tragen. Hinzu kommt, dass der Staat jedem Hartz-IV-Empfänger zusätzlich eine angemessene Wohnung bezahlt – inklusive der Kosten für Heizung und Warmwasser. Die Höhe setzt jede Kommune fest. Deutschlands teuerste Großstadt München beispielsweise hat festgelegt, dass die Wohnung für eine alleinstehende Person maximal 657 Euro kosten darf. Damit liegen in diesem Fall Regelsatz und Miete mit 1.073 Euro über allen durchschnittlichen Zahlbeträgen, von denen auch noch Beiträge für die Krankenversicherung abgehen. Die Rechnung zu Ungunsten der Rentner ließe sich fortsetzen. Nun will ich hier keinen Sozialneid schüren. Aber, was nicht sein kann, ist, dass der, der ein Leben lang gearbeitet und eingezahlt hat, am Ende weniger bekommt, als derjenige, der dies nicht getan hat, aus welchen Gründen auch immer. Was soll ich sagen? Über den Hinweis von Jens Spahn, dass das Geld für Hartz IV von den Steuerzahlern aufgebracht werden muss, sollte man vielleicht noch einmal etwas intensiver nachdenken. Denn denjenigen, die die Leistungen unseres Sozialstaates, an denen niemand rütteln will, finanzieren müssen, könnte alsbald selbst die Luft ausgehen. Deutsche Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen überdurchschnittlich hohe Steuern und Abgaben zahlen. Einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge musste ein lediger Angestellter ohne Kind im vergangenen Jahr im Schnitt fast die Hälfte seines Einkommens an den Staat abgeben. Dieser Wert ist unter den anderen 34 OECD-Ländern nur in Belgien höher. Eine Studie des Rheinisch-Westfälisches Instituts zeigt zudem deutlich, dass in Deutschland insbesondere Haushalte aus dem mittleren Einkommensbereich mit einem Bruttoeinkommen zwischen 20.000 und 70.000 € einen hohen Finanzierungsanteil an den Kosten des Gemeinwesens aufweisen. Und den größten Beitrag leisten die Haushalte mit einem Bruttoeinkommen zwischen 30.000 und 40.000 Euro. Dabei ist es vor allem die Mittelschicht, die unter dem bisherigen Steuersystem leidet. Schon ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 54.950 Euro greift der Spitzensteuersatz – und trifft auch Normalverdiener. Denn das entspricht einem monatlichen Gehalt von rund 4.663 Euro Brutto. Damit sind auch ganz normale Ingenieure oder Lehrer betroffen. Die zwar immer wieder versprochene, aber nie eingelöste Abschaffung bzw. Abschwächung der kalten Progression könnte da helfen. Denn wenn die Grenze für den Spitzensteuersatz auf ein zu versteuerndes Jahreseinkommen von 60.000 Euro angehoben würde, profitieren nach Berechnungen des Ifo-Instituts alle Steuerzahler mit einem zu versteuernden Einkommen ab 13.769 Euro im Jahr. Statt das Versprechen endlich einzulösen, belässt die Große Koalition alles beim Alten und riskiert damit, dass der Mittelstand sich irgendwann von der Finanzierung unseres Sozialstaates abmeldet. Damit ist dann aber niemandem mehr geholfen.


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