(ITh):André Charlier, der ehemalige Leiter des Gymnasiums „Roches de Maslacq“ in den Pyrenäen, schrieb am 22. Oktober 1954 an die Eltern seiner Schüler einen Brief, der heute einen leider noch aktuelleren Stellenwert hat als damals. Er wurde veröffentlicht in „Itinéraire“ Nr. 205, Juli/August 1976, S. 31-35:
Was mich am meisten verblüfft, ist, daß diese Jugend wenig mannhaft ist. Und warum ist das so? Ganz einfach deshalb, weil Ihr als Eltern nichts von ihr gefordert habt. Ihr wart nur darauf bedacht, Eure Söhne glücklich zu sehen und seid allen ihren Wünschen zuvorgekommen. Von klein auf habt Ihr sie in jeder Weise verwöhnt. Wie also sollen sie von sich aus darauf kommen, daß einerseits das Leben mühsam und nur das Mühsame reizvoll ist, daß andererseits alle Freuden ihren Preis haben und daß sie um so teurer erkauft werden müssen, je größer sie sind.
Den Kindern wurde immer alles geschenkt, und so glauben sie gar, daß sie Anspruch darauf haben. Sie empfinden es als ungerecht, daß Bildung und Wissenschaft nicht umsonst zu haben sind. Sie sind nicht weit davon entfernt, sich als Opfer zu fühlen, weil Latein und Mathematik ihnen nicht umsonst ihre Geheimnisse enthüllen. Das kommt daher, daß sie bei der Erziehung, die Ihr ihnen habt angedeihen lassen, immer alles umsonst bekamen.
Ihr wart Opfer der weltweiten Demagogie und des modernen Liberalismus, die Autorität als ein Überbleibsel barbarischer Zeiten betrachten. Ihr habt die Autorität abgelehnt; Ihr wolltet Euren Söhnen gefallen, damit sie Euch lieben. Ihr werdet aber von ihnen nicht mehr geliebt werden als unsere Väter von uns, und Ihr werdet vielleicht von Euren eignen Kindern weniger geachtet werden, wenn sie alt genug sind, um urteilen zu können, denn Ihr habt sie nicht gelehrt, daß alles seinen Preis hat und daß Wertvolles teuer erkauft werden muß. Sie mußten sich keines der Vergnügen, die Ihr ihnen bereitet habt, je verdienen und sie haben nie gelernt, etwas zu tun, wozu sie keine Lust hatten.
Ich habe als Kind gelernt, Dinge, die mir aufgetragen wurden, ohne Widerspruch zu erledigen; man hat mir damit einen unermeßlichen Dienst erwiesen. Aber Eure Kinder widersprechen endlos. Nichts findet Gnade vor ihren Augen. Sie beurteilen alles danach, ob es ihnen unmittelbar Freude macht. Seid daher nicht erstaunt, wenn sie weder Gehorsam noch Disziplin kennen, wenn sie weder Respekt noch Pflichtgefühl haben.
Ich habe nie etwas Traurigeres gesehen als junge Menschen ohne Ehrgeiz. Was für ein sonderbares Glück ist doch das Fehlen von Ehrgeiz.
Ihr macht Euch nicht klar, welche außerordentliche Mühe Ihr Euch gebt, wenn es um Gesundheit, Ernährung, Sport, Bequemlichkeit und Ferien geht – nicht zu vergessen die Schulbildung, denn an deren Ende steht ja die sakrosankte Matura – aber denkt Ihr denn auch an die Seelen Eurer Kinder? Ihr werdet Euch einmal für sie vor Gott verantworten müssen!
Glaubt Ihr denn, daß eine seelenlose Generation unsere Gesellschaft von seinen Übeln heilen wird? Wir sind dabei, die mittelmäßigste Generation hervorzubringen, weil Eure Kinder nie gelernt haben, etwas auf sich zu nehmen, das mit Mühe verbunden ist.
Ich weiß sehr wohl, daß die Aufgabe der Eltern, wenn sie sie gewissenhaft erfüllen wollen, angesichts des sittlichen Zustands der modernen Welt eine fast heldenmütige Aufgabe ist. Trotzdem muß man sie beherzt angehen und ihr nicht ausweichen. Niemand kann Euch ersetzen, und Ihr müßt nun einmal für Eure Kinder die Verantwortung übernehmen.
Wir üben hier als einige wenige noch einen Beruf aus, den niemand mehr ausüben will und in dem uns niemand auch nur in irgendeiner Weise unterstützt. Verleidet uns also unsere Arbeit nicht völlig, indem Ihr uns das Gefühl gebt, daß das, was wir auf der einen Seite aufbauen, auf der anderen Seite wieder völlig niedergerissen wird. …
Ich versuche, die Jungen wie Männer zu behandeln; bitte glaubt mir, daß das nicht einfach ist. Ein Mann zu sein bedeutet nicht, zu widersprechen und immer alles in Frage zu stellen. Es bedeutet, mutig und hochherzig Verantwortung in einer höheren Ordnung zu übernehmen. Macht es daher wie ich. Ihr findet das heldenmütig? Dann seid Helden! Anders geht es nicht.“