Die Mitte ist schlecht, weil sie nicht so ist wie wir (1)

Von Thomasbaader

Die Mitte ist schlecht, weil sie nicht so ist wie wir
Kritische Betrachtung der Studie "Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2012" der Friedrich-Ebert-Stiftung
von Thomas Baader

TEIL 1

Die Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland wird seit 2002 alle zwei Jahre durchgeführt. Grundgedanke der "Mitte"-Studien ist hierbei, dass rechtsextreme Einstellungen nicht nur am Rand der Gesellschaft exisitieren, sondern bis weit in die Mitte hineinreichen. Die Mitte der Gesellschaft ist also, so könnte man die Poisition der Verfasser paraphrasieren, rechtsextremistisch kontaminiert. Diese Position rief durchaus auch Kritik hervor: In einem Gastkommentar im "Tagesspiegel" im Oktober 2010 warf der Politikwissenschaftler Klaus Schroeder der Friedrich-Ebert-Stiftung vor, die Mitte als rechtsextrem zu diffamieren und eine "offen ausgesprochene linke Kampfschrift gegen liberale und konservative Auffassungen und die hiesige Gesellschaftsordnung" produziert zu haben. Daneben gab es aber auch eine Vielzahl von positiven Reaktionen.

Die Veröffentlichung der neuesten Studie hat in den Medien ein großes Echo gefunden. Die Stuttgarter Zeitung titelte gar "Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung - Die Juden von heute sind die Muslime" und weist damit, ohne es zu wollen, auf einen Teilaspekt dessen hin, was an der Studie, zumindest aber an ihrer Interpretation, problematisch ist. Dass die Studie abgesehen von den hier diskutierten Fragwürdigkeiten dort, wo sie sich nicht in Widersprüche verstrickt, einen wertvollen Beitrag zur Erforschung fremdenfeindlicher und antidemokratischer Einstellungen leistet, sei nicht angezweifelt. Diese Verdienste können die Verfasser allerdings nicht davor schützen, das auch die Defizite der Studie kritisch beleuchtet werden müssen.

Der Darstellung der Friedrich-Ebert-Stiftung sind vor allem die folgenden Mängel vorzuwerfen: 1. Begriffliche und inhaltliche Unstimmigkeiten bei der Differenzierung zwischen Islamfeindlichkeit und Islamkritik; 2. Relativierung des Linksextremismus; 3. ungeeignete Fragestellungen, um Rechtsextremismus unter Migranten angemessen untersuchen zu können.

Weniger ins Gewicht fallen hingegen kleinere Unstimmigkeiten, die allerdings dennoch nicht unbeachtet bleiben sollten. So wird als antisemitische Aussage im Sinne eines "sekundären Antisemitismus" gewertet: "Wir sollten uns lieber gegenwärtigen Problemen widmen als Ereignissen, die mehr als 60 Jahre vergangen sind." (S. 78)
Wer also der Ansicht ist, dass die Bekämpfung von gegenwärtigen Problemen wie etwa des heutigen Antisemitismus (innerhalb der deutschen Gesellschaft, aber beispielsweise auch seitens des iranischen Präsidenten) Vorrang haben sollte vor dem Gedenken an die Opfer des Antisemitismus vor 60 Jahren, der ist nach Ansicht der Autoren Träger eines "sekundären Antisemitismus". Dies verblüfft, denn eine solche Fokussierung auf antisemitische Probleme der Gegenwart wird von jüdischen Akteuren immer wieder gefordert (vgl. hierzu Henryk Broder, "Vergesst Auschwitz!").

In ähnlicher Weise verwundert es, dass eine Definition des Rechtsextremismus zwar gegeben wird, im Verlaufe des Textes aber unscharf die Begriffe "rechtsextrem", "rechtspopulistisch" und "rechts" nahezu synonym verwendet werden. Dennoch aber soll diese Betrachtung von nun an auf die drei bereits genannten Schwerpunkte verengt werden:

1. Begriffliche und inhaltliche Unstimmigkeiten bei der Differenzierung zwischen Islamfeindlichkeit und Islamkritik

Die Studie unterscheidet zwischen (rassistischer) Islamfeindlichkeit und (aufklärerischer) Islamkritik (Seite 86). Zwar ist der Wille zur Differenzierung grundsätzlich positiv hervorzuheben, jedoch wird abermals mit unscharfen Begrifflichkeiten gearbeitet: Das Ressentiment gilt schließlich den Menschen (also Muslimen), nicht einer religiösen Lehre mit konkreten Inhalten. Es wäre als korrekt, von "Antimuslimismus" oder "Muslimfeindlichkeit" zu sprechen. Durch die Verwendung des Begriffes "Islamfeindlichkeit" vermischen die Verfasser selbst in unzulässiger Weise das Phänomen der Feindlichkeit gegenüber einer bestimmten Menschengruppe mit dem der ablehnenden Haltung gegenüber den Regeln und Vorstellungen einer Lehre. Auch wenn diese Erkenntnis manchem schwerfallen mag: Man darf jeder Religion, also etwa dem Katholizismus ebenso wie dem Islam, "feindlich" gegenüberstehen, da von einem Menschen schlechterdings nicht erwartet werden kann, ein freundliches oder auch nur neutrales Verhältnis aufzubauen gegenüber einem religiösen Regelwerk, das nicht seinen Grundüberzeugungen entspricht. In diesem Sinne sind vermutlich auch die Worte von Bundespräsident Joachim Gauck zu verstehen, wonach die Muslime und nicht der Islam Teil Deutschlands seien. Kritisch ist zudem auch anzumerken, dass die Verfasser nicht auf die Tatsache eingehen, dass es in der Forschung heftig umstritten ist, ob Ressentiments gegen Muslime tatsächlich als Teil des Phänomens "Rassismus" zu begreifen sind. Wo es um Relgionszugehörigkeit, nicht aber um Ethnie, Nationalität oder Hautfarbe geht, liegt also in jedem Fall ein (mölgicherweise unzulässig) erweiterter Rassismusbegriff vor.

Dennoch kann es als Fortschritt gesehen werden, dass sich im Umfeld der Friedrich-Ebert-Stiftung zumindest die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Religionskritik "nicht nur mit Blick auf die christlichen Religionen ihre Berechtigung [hat], sondern [...] sich auch mit islamischen Religionen beschäftigen können [muss]" (S. 87). Für die Verfasser wirft diese Feststellung jedoch auch die Frage nach der Grenzziehung zwischen Islamkritik und "Islamfeindlichkeit" auf.

Als Kriterium für "Islamfeindlichkeit" sehen es die Verfasser an, die Muslime als "einheitlichen Block, innerhalb dessen keine Abweichung möglich sei", zu sehen (ebd.). Konkretisiert bedeutet dies, dass "der Islam als die primäre und tendenziell einzige Identitätsquelle für alle Muslime gesehen wird" und alle "anderen identitätsbildenden Momente - Nationalität, sozialer Stand, Beruf, Geschlecht etc." ausgeblendet würden (S. 87f). In der Tat beschreiben die Verfasser hier ein hochproblematisches Phänomen, vergessen aber dabei anzumerken, dass diese Betrachtungsweise nicht nur typisch ist für das rechtsextreme/rechtspopulistische Spektrum, sondern auch für eine paternalistisch-kulturrelativistische Linke, die ebenfalls dazu neigt, allen Menschen einer bestimmten Herkunft pauschalisierend das Label "Muslim" aufzudrücken. Dass "der Muslim" (oder mehr noch: der streng gläubige Muslim) als dominante Kategorie im Diskurs des rechtsextremen wie des linksgerichteten multikulturalistischen Spektrum zu gelten hat, sollte eigentlich zu denken geben.

Die Verfassser gestehen der Islamkritik zwar eine Berechtigung zu, stellen sie aber gleichzeitig unter eine strenge Beobachtung - sie muss bestimmte Kriterien der Seriosität erfüllen, um ernst genommen zu werden:
"Islamkritik muss - nicht nur in Abgrenzung zur Islamfeindlichkeit - immer in den Kontext einer Selbstreflexion über die eigene Gesellschaft eingebettet sein, die die eigenen Fehlentwicklungen und Schwachstellen im Hinblick auf eine universalistisch-individualistische Entwicklung der Menschheit ebenso im Blick behält und kritisiert wie die anderer Gesellschaften. Dies bedeutet, dass die Islamkritik auch immer über sich selber kritisch reflektieren sollte." (S. 91)

In der Tat ist eine selbstkritische Position, solange sie vernunft- und nicht ressentimentgeleitet ist, grundsätzlich begrüßenswert. Die Verfasser allerdings sprechen in dieser Hinsicht unmissverständlich von einem "muss". An ihren Ausführungen sind drei Dinge zu bemängeln:

(I) Insgesamt sind die Ausführungen zu wenig differenzierend. Zwar stimmt: Wer Homosexuellenfeindlichkeit im Islam kritisiert, aber Homosexuellenfeindlichkeit im nicht-islamischen Kontext herunterspielt (wie es auf "Politically Incorrect" und anderswo beinahe täglich passiert), hat tatsächlich ein Glaubwürdigkeitsproblem. Wer aber das Thema Kopftuchzwang im Zuge einer kritischen Betrachtung behandelt, muss nicht zwangsläufig vergleichsweise weitaus harmloseren frauenfeindlichen Phänomenen, die in keinem Zusammenhang mit dem Islam stehen, die gleiche Aufmerksamkeit schenken. Schwerpunktsetzung stellt innerhalb der Forschung eine normale Vorgehensweise dar. Die Forderung, "immer [!] über sich selbst zu reflektieren", ist für eine humanistisch motivierte Islamkritik eine unnötige Forderung, da der Humanismus von vorneherein bereits geeignete Maßstäbe für eine entsprechende Kritik liefert und menschenrechtliche Probleme nun einmal nicht überall in derselben Quantität und Qualtität auftauchen.

(II) Der Grundsatz, den die Verfasser aufstellen, müsste nicht nur für die Islamkritik gelten, sondern generell für alle Formen der kritisch-analytischen Auseinandersetzung. Es würde bedeuten, dass man seriöserweise nicht Kritik an einem bestimmten politischen Spektrum formulieren kann, ohne auch kritisch das Spektrum zu betrachten, dem man sich selbst zurechnet. An diese Leitlinie halten sich jedoch die (linken) Verfasser selbst nicht, wenn sie im Zusammenhang mit einer Studie über Rechtsextremismus erklären, dass Linksextremismus für sie kein relevantes Thema darstelle. Wo zeigen die Verfasser an dieser Stelle eigentlich die Fähigkeit, "immer über sich selbst zu reflektieren"?

(III) Die Verwendung der Formulierung "über die eigene Gesellschaft" impliziert, dass für die Verfasser selbst der Islam nicht Teil der eigenen Gesellschaft ist. Damit vertreten sie im Grunde die gleiche Position wie die von ihnen kritisierten "islamfeindlichen" Strömungen. Wenn wir aber im Gegensatz dazu annehmen würden, dass der Islam in Wahrheit längst Bestandteil unserer eigenen Gesellschaft ist, so wäre Islamkritik folgerichtig auch eine Kritik an den eigenen Zuständen - die Argumentation der Verfasser wäre dann hinfällig.

Mit Blick auf die Details werden die Mängel der Studie noch deutlicher: Das Item "Die islamische Welt ist rückständig und verweigert sich neuen Realitäten" (S. 92) wird unter "Islamfeindschaft", nicht unter "Islamkritik" aufgelistet. Wer also von einer Rückständigkeit der islamischen Staaten ausgeht, ist nach Ansicht der Verfasser "islamfeindlich". Die Frage würde hier aber lauten: rückständig in welcher Hinsicht? Es darf mit gutem Grund vermutet werden, dass die meisten Befragten von einer "gesellschaftlichen Rückständigkeit" ausgingen. Nun ist es allerdings so, dass islamische Länder in den entsprechenden Rankings üblicherweise schlecht abschneiden - die Aussage, dass die islamische Welt im Hinblick auf Menschenrechte und Demokratie vergleichsweise rückständig ist, stellt somit keineswegs, wie von den Autoren behauptet, eine "islamfeindliche" Aussage dar, sondern eine Tatsachenbehauptung. Den Begriff "Rückständigkeit" auf andere Bereiche zu beziehen, erscheint eher abwegig; hätte aber tatsächlich einer der Befragten das Adjektiv "rückständig" mit Infrastruktur, Wohnstandard etc. in Verbindung gebracht, so wäre auch hier ein klarer Rückstand gegenüber der westlichen Welt feststellbar. Übrigens: Nicht unter "Islamfeindschaft", sondern unter "Islamkritik" finden wir das Item "Die strikte Trennung von Staat und Kirche ist eine westliche Errungenschaft, die auch in vielen islamischen Ländern ein Fortschritt wäre." Abermals muss man sich wundern: Weshalb wird dieser Aussage zugestanden, Bestandteil von "Kritik" zu sein und nicht, wie obige Aussage, von "Feindlichkeit"? Schießlich handelt es sich bei Fortschrittlichkeit und Rückständigkeit um ein begriffliches Gegensatzpaar. Wenn die westliche Errungenschaft der Trennung von Staat und Kirche ein Fortschritt für islamische Länder wäre, aber eben nicht ist, weil sie dort nicht bis jetzt nicht existiert, dann muss man doch zwangsläufig zu der Aussage gelangen, dass die islamischen Staaten in diesem Bereich nicht forschrittlich, also eben rückständig sind. Damit sind wir aber bei genau jenem zuvor genannten Aussage angelangt, welche von den Verfassern als "islamfeindlich" eingestuft wird - obwohl sie nur eine logische Folge aus einer "islamkritischen" Aussage darstellt.

Eine bestimmte Tendenz in der Darstellung ist bereits an dieser Stelle unübersehbar: Während im Hinblick auf die Mehrheitsgesellschaft der Versuch unternommen wird, extremistische Tendenzen auch in der Mitte nachzuweisen, werden die extremistischen Tendenzen in der islamischen Community am Rand verortet. Mit einer Mischung aus (Schein-)Argumenten und (durch einerseits korrekte wie auch andererseits durch nicht plausible Fragestellungen zustandegekommene) Befunde wird also der Untersuchungsbereich eines potentiellen Extremismus im Hinblick auf die nicht-islamische Gesellschaft erweitert, im Hinblick auf die islamische Community hingegen begrenzt. Die Botschaft lautet: Problematische, antidemokratische und menschenrechtsfeindliche Einstellungen sind im Islam ein Randphänomen, und wer etwas anderes behauptet, ist ein rassistischer Islamfeind - problematische, antidemokratische und menschenrechtsfeindliche Einstellungen sind in der Mehrheitgesellschaft ein auf die Mitte übergreifendes Phänomen, und wer etwas anderes behauptet, ist ein Verharmloser. Dadurch sind die Autoren selbst jenem paternalistisch-kulturrelatvistischen Umfeld zuzuordnen, das sich selbst und ihren von ihnen intellektuell entmündigten Proteges, den Muslimen, der Kritik entzieht.

TEIL 2 FOLGT IN KÜRZE.

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