Ein verdeckt arbeitender Ermittler türkischer Herkunft – ein Solist, der unter falscher Identität seine Fälle löst: Mit diesem Erzählkonzept wollte der Norddeutsche Rundfunk (NDR) seinen vorher arg dahindümpelnden Elb-Tatort vor drei Jahren in eine aufregende Zukunft führen. Und tatsächlich: Der von Mehmet Kurtulus gespielte Undercover-Cop Cenk Batu entwickelte sich zu einer spannenden Figur der ARD-Krimireihe: Schnell, komplex und hochmodern waren die Fälle, in denen der extrem wandlungsfähige Schauspieler zu sehen war.
Kurtulus spielte die Rolle des grüblerischen Einzelgängers mit Bravour, jenseits aller Klischees, jenseits gesellschaftspolitischer Zuordnungen, und heimste dafür meist überschwängliches Lob der Medien ein. Denn die Variante eines verdeckten Ermittlers hebt sich wohltuend vom sonstigen Tatort-Einerlei ab, wie auch die gestrige Folge Der Weg ins Paradies zeigte. Darin wurde Batu in ein islamistisches Terrornetzwerk eingeschleust, das einen Bombenanschlag auf Hamburg plante.
Warum musste Kurtulus gehen?
Im nächsten Jahr verabschiedet sich der verdeckte Ermittler: Kurtulus hatte bereits im März angekündigt, er wolle den Dienst quittieren, um mehr Zeit für internationale Filmprojekte zu haben. Kaum zu glauben, dass dies der wahre Grund ist. Denn der Schauspieler und der NDR hatten lediglich einen Tatort pro Jahr vereinbart, was Kurtulus jeweils zwei Monate Drehzeit kostet. Da bleibt reichlich Zeit für seine internationale Karriere.
Stecken vielleicht die Einschaltquoten hinter Kurtulus’ Rückzug? Gut möglich, denn im Durchschnitt sahen 6,84 Millionen Menschen zu, wenn der 39-jährige Schauspieler türkischer Abstammung als Kommissar ermittelte. Gestern waren es sogar nur 6,76 Millionen. Für Tatort-Verhältnisse sind solche Zahlen ein Desaster. Ebenso wenige Zuschauer hatte in diesem Jahr nur noch der Tatort Das Dorf des Hessischen Rundfunks mit Ulrich Tukur, der Anfang Dezember nur 6,8 Millionen Menschen vor die Bildschirme lockte; 1,2 Millionen schalteten gar entnervt um oder aus, weil ihnen dieser Tatort zu abgefahren war.
Auch die Batu-Fälle haben es dem Zuschauer nie angetan, die große Mehrheit des Tatort-Klientels wurde mit dem einsamen Undercover-Cop und der unkonventionellen Erzählweise einfach nicht warm. Lars Becker, der bei Der Weg ins Paradies Regie führte, hält Batu hingegen «für eine total unterschätzte Figur, weil sie einfach nicht zur Erwartungshaltung des üblichen Tatort-Zusehers passt». Frei nach dem Motto: «Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht.»
Doch NDR-Fernsehspielchef Christian Granderath wischt das Quotengerede um den Hamburg-Tatort im Interview mit spiegel-online vom Tisch: Mit den Quoten habe Kurtulus’ Abgang nichts zu tun. Der NDR hätte mit ihm weitergemacht, wenn der Schauspieler nicht von sich aus Schluss gemacht hätte.
Til Schweiger steht schon in den Startlöchern
Derzeit dreht Kurtulus seinen letzten Tatort in Hamburg, der im März 2012 unter dem Titel Die Ballade von Cenk und Valerie gesendet wird. Kai Wiesinger spielt darin den Bundeskanzler Grasshoff, der den kriminellen Machenschaften der Banken endlich das Handwerk legen will. Für dieses Vorhaben wird Batu als verdeckter Ermittler eingesetzt, wobei er von seinem Chef Uwe Kohnau (Peter Jordan) tatkräftig unterstützt wird. Nun müssen dringend Beweise gegen das undurchsichtige System illegaler Geschäfte gefunden werden.
Batu wird diesen Tatort nicht überleben. Die Bild-Zeitung hat bereits Bilder des toten Ermittlers gezeigt, wie er brutal erschossen am Boden liegt. «Hier stirbt ein Tatort-Kommissar für Til Schweiger», titelte das Boulevardblatt.
Anfang Dezember war bekannt geworden, was einige Spatzen in der Produktionsbranche schon von den Dächern pfiffen: Schweiger wird der neue Kommissar im Hamburger Tatort. Im Fernsehen hat man den Schauspieler und Produzent seit Urzeiten nicht gesehen. Seine letzte TV-Rolle spielte er vor 15 Jahren an der Seite von Hannelore Elsner in der Serie Die Kommissarin.
Das Fernsehen hatte Schweiger bekannt gemacht, mit der Rolle des Joshua Zenker in der Lindenstraße, danach gab es nur kleine Auftritte, darunter einen misslungenen in der eher unterirdischen RTL-Show Mission Hollywood. Im Kino hat der 47-Jährige mehr Erfolg – zumindest beim Publikum: Mit seinen Komödien, zuletzt Kokowääh, lockt er Millionen ins Kino.
Wie der Keinohrhase die Täter verwirrt
Die Filmkritiker konnte der Schauspieler und Produzent derweil nie überzeugen. Dementsprechend groß war die Häme, als Schweigers Tatort-Engagement bekannt wurde. So beschrieb das Satire-Magazin Titanic bereits einige Szenen aus den künftigen Schweiger-Tatorten, unter anderem die, «in der Schweiger kurzzeitig einen zweiten Gesichtsausdruck entdeckt und dadurch den Täter so verwirrt, dass der sich aus purer Verblüffung ergibt». Auch die ersten Episodentitel stünden schon fest: «Keinalibimörder», «Zweifrauenmörder» und «Messerimrückentutwääh».
Schweiger wird es vermutlich gelingen, mehr Zuschauer an seine Tatorte zu binden. Doch schauspielerisch wird er Kurtulus kaum übertrumpfen können. Dazu liegt die Messlatte einfach zu hoch für ihn. Denn mit Kurtulus geht schauspielerische Extraklasse und mit Schweiger hält flacher Mainstream Einzug im Hamburg-Tatort.
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Hamburger «Tatort» – Die Messlatte liegt hoch für Schweiger