Von Stefan Sasse
Als 2005 die ersehnte wie erwartete "bürgerliche Mehrheit" nicht zustandekam und die Union stattdessen mit der SPD koalieren musste, während die LINKE erstmals mit rund 8% in den Bundestag einzog, schien das Zeitalter der Bürgerlichen beendet und die besonders von Oskar Lafontaine viel bemühte "strukturelle linke Mehrheit" Realität zu sein. Nur die geradezu frappante Schwäche der SPD 2009 war es, die das anachronistisch wirkende Bündnis von CDU und FDP erlaubten, und der rapide Verfall der Freidemokraten seither, der Aufstieg der Grünen und die leichte Morgenluft, die die Gabriel-SPD zu schnuppern glaubt scheinen die "bürgerliche Koalition" endgültig zu einem Betriebsunfall der Geschichte zu machen. Die Zukunft gehört offensichtlich anderen Konstellationen. Trotzdem wurden alle, die auf eine Änderung der Politik gehofft hatten, bislang bitter enttäuscht. Eine viel bemühte Erklärung dafür ist der Doppelverrat von SPD und Grünen, die sich von ihren Wählern abwandten und ihnen quasi den Agenda-Dolch in den Rücken stießen. Genau diese Interpretation aber geht an einigen Tatsachen vorbei. Es gibt keine strukturelle linke Mehrheit. Es gibt eine strukturelle bürgerliche Mehrheit. Die einzige derzeit dezidiert nicht bürgerliche Partei, die im Bundestag sitzt, ist die LINKE, und sofern bis 2013 nicht noch ein Wunder passiert wird sie gegenüber ihrem Wahlergebnis von 2009 deutlich verlieren. Die verzweifelte Inanspruchnahme des Etiketts "bürgerlich" durch die Union und besonders die FDP verdecken, welche Erklärungskraft das Wort tatsächlich besitzt.
Bevor wir uns aber mit dem Etikett der Bürgerlichkeit beschäftigen, müssen wir kurz über das Etikett "links" nachdenken. Was ist überhaupt links? Philippe von Parijs argumentiert durchaus überzeugend, dass "links" und "sozialistisch" nicht zwingend identisch sind. Von der Partei, die die Zuschreibung in ihrem Titel trägt, gibt es ebenfalls keine klare Definition. Hier sind genauso Sozialisten und Kommunisten wie klassische Sozialdemokraten und Gewerkschaftler wie auch einige Anarchisten zu finden. Der Begriff bleibt undefiniert, von beiden Seiten. Das hat einen relativ einfachen Grund: "links" ist effektiv die Antipode zu "bürgerlich". Alles, was CDU und FDP missfällt, wird mit dem Etikett "links" versehen und damit diffamiert, eine Technik, die um 180 Grad gewendet bei der LINKEn angewandt wird, wo man das Etikett entsprechend allem anpappt, was man für gut hält, um so einer möglichst breiten Schicht Identifikationspotential zu geben, die sich durch die Ideen von Bürgerlichkeit nicht vertreten fühlt. Bevor Missverständnisse aufkommen: ich zweifle überhaupt nicht daran, dass jeder meiner Leser, jedes Mitglied und jeder Wähler der LINKEn eine recht genaue Vorstellung von links hat. Was ich bezweifle ist, dass sie sich signifikant decken. Im öffentlichen Diskurs ist "links" hauptsächlich Gegenbild und Projektionsfläche der Bürgerlichen, die - let's face it - länger und ausdauernder an der Macht sind.
Was aber ist "bürgerlich"? Die Vorstellung, dass die Klientelpolitik für die Reichen, wie die FDP sie betreibt, in irgendeiner Art und Weise als Erklärung ausreichend sein könnte ist geradezu lächerlich. Auch der Sozialkonservativmus weiter Teile der Union entfaltet längst nicht mehr das Anziehungspotential von einst. Tatsächlich hat in den letzten Jahren eine Art Umschichtung stattgefunden, die das bürgerliche Lager eher erweitert statt verkleinert hat. Die oft zitierte Wandlung der Grünen zu einer bürgerlichen Partei und die Spekulationen über schwarz-grüne Bündnisse kommen ja nicht von ungefähr. Auch die reibungslose Zusammenarbeit von SPD und CDU während der Großen Koalition beruht nicht ausschließlich auf der Unterdrückung alternativer Ideen durch Müntefering und Steinmeier. Tatsächlich sind breite Teile der Wähler - immer noch - bürgerlich geprägt. Obwohl der Diskurs über Hartz-IV und Niedriglöhne, der die öffentliche Debatte von etwa 2004 bis 2009 bestimmte, einen anderen Eindruck vermittelt hat: für die meisten Menschen in Deutschland ist der Bezugsrahmen ihres Denkens und Erlebens immer noch die Mittelschicht, und die ist bürgerlich. Was sich verändert hat, sind Positionen, die sie früher ausgemacht haben. Diese Veränderung der Positionen ist es, die Leitartikler und bürgerliche Politiker nachhaltig verwirrt.
So waren die Ablehnung von Mindestlöhnen, das Bejahen von Law&Order, das Ja zur Atomkraft und eine traditionelle Familienpolitik früher unverzichtbare Bestandteile einer "bürgerlichen" Politik. Heute sind sie das nicht mehr. Dies hat viele Beobachter dazu verleitet anzunehmen, dass ein "Linksruck" stattgefunden habe, nicht nur in der CDU selbst, sondern auch in der Bevölkerung. Das aber ist eine Täuschung. Die gleichen Leute, die sich als bürgerliche Mittelschicht begreifend diese Positionen früher vertreten haben, verließen ihren Bezugsrahmen der bürgerlichen Mittelschicht nicht - sie haben ihre Meinungen zu einigen Positionen geändert, das ist alles. Eine Änderung einiger Inhalte aber mit einer Konversion ins linke Lager zu verwechseln war der Fehler, der die CDU die Macht in Baden-Württemberg gekostet hat, und der die FDP von 16% auf unter 3% hat abstürzen lassen. Sich als bürgerliche Mittelschicht zu fühlen ist nicht davon abhängig, ob man den Ruf nach Steuersenkungen bejaht.
Die Profiteure dieser Entwicklung sind Grüne und Piratenpartei. Beide sind nicht links, das haben ihre Kritiker von der Linken durchaus richtig analysiert. Sie sind letztlich Parteien der Mittelschicht, einer anderen als sie CDU und FDP sich ausmalen, aber einer Mittelschicht nichtsdestotrotz. Ihre Themen sind keine Themen von Menschen, die darum kämpfen, Miete und Essen zu bezahlen. Es sind aber, man muss es so hart sagen, Mehrheitsthemen. Die Mehrheit der Deutschen fühlt sich der Mittelschicht zugehörig oder geht davon aus, auf absehbare Zeit dazuzugehören. Es ist die deutsche Version des American Dream, von dem Martin Sheen in der Rolle Präsident Bartlets bereits richtig bemerkte dass er das fundamentale Problem enthält, dass jeder glaubt irgendwann reich zu sein und politisch schon für diesen Tag plant und denkt. Der Begriff des Bürgerlichen umfasst eine wesentlich breitere und heterogenere Schicht, als es Linke wie selbst erklärte "Bürgerliche" gerne wahrhaben und in ihre engen Programmatiken pressen wollen. Und selbst grüne und orangene Bürgerliche sind bei aller Andersartigkeit ihrer Forderungen vom konservativ-bürgerlichen Kernbestand eines mit Sicherheit nicht: revolutionär und übermäßig links gestimmt.
Als 2005 die ersehnte wie erwartete "bürgerliche Mehrheit" nicht zustandekam und die Union stattdessen mit der SPD koalieren musste, während die LINKE erstmals mit rund 8% in den Bundestag einzog, schien das Zeitalter der Bürgerlichen beendet und die besonders von Oskar Lafontaine viel bemühte "strukturelle linke Mehrheit" Realität zu sein. Nur die geradezu frappante Schwäche der SPD 2009 war es, die das anachronistisch wirkende Bündnis von CDU und FDP erlaubten, und der rapide Verfall der Freidemokraten seither, der Aufstieg der Grünen und die leichte Morgenluft, die die Gabriel-SPD zu schnuppern glaubt scheinen die "bürgerliche Koalition" endgültig zu einem Betriebsunfall der Geschichte zu machen. Die Zukunft gehört offensichtlich anderen Konstellationen. Trotzdem wurden alle, die auf eine Änderung der Politik gehofft hatten, bislang bitter enttäuscht. Eine viel bemühte Erklärung dafür ist der Doppelverrat von SPD und Grünen, die sich von ihren Wählern abwandten und ihnen quasi den Agenda-Dolch in den Rücken stießen. Genau diese Interpretation aber geht an einigen Tatsachen vorbei. Es gibt keine strukturelle linke Mehrheit. Es gibt eine strukturelle bürgerliche Mehrheit. Die einzige derzeit dezidiert nicht bürgerliche Partei, die im Bundestag sitzt, ist die LINKE, und sofern bis 2013 nicht noch ein Wunder passiert wird sie gegenüber ihrem Wahlergebnis von 2009 deutlich verlieren. Die verzweifelte Inanspruchnahme des Etiketts "bürgerlich" durch die Union und besonders die FDP verdecken, welche Erklärungskraft das Wort tatsächlich besitzt.
Bevor wir uns aber mit dem Etikett der Bürgerlichkeit beschäftigen, müssen wir kurz über das Etikett "links" nachdenken. Was ist überhaupt links? Philippe von Parijs argumentiert durchaus überzeugend, dass "links" und "sozialistisch" nicht zwingend identisch sind. Von der Partei, die die Zuschreibung in ihrem Titel trägt, gibt es ebenfalls keine klare Definition. Hier sind genauso Sozialisten und Kommunisten wie klassische Sozialdemokraten und Gewerkschaftler wie auch einige Anarchisten zu finden. Der Begriff bleibt undefiniert, von beiden Seiten. Das hat einen relativ einfachen Grund: "links" ist effektiv die Antipode zu "bürgerlich". Alles, was CDU und FDP missfällt, wird mit dem Etikett "links" versehen und damit diffamiert, eine Technik, die um 180 Grad gewendet bei der LINKEn angewandt wird, wo man das Etikett entsprechend allem anpappt, was man für gut hält, um so einer möglichst breiten Schicht Identifikationspotential zu geben, die sich durch die Ideen von Bürgerlichkeit nicht vertreten fühlt. Bevor Missverständnisse aufkommen: ich zweifle überhaupt nicht daran, dass jeder meiner Leser, jedes Mitglied und jeder Wähler der LINKEn eine recht genaue Vorstellung von links hat. Was ich bezweifle ist, dass sie sich signifikant decken. Im öffentlichen Diskurs ist "links" hauptsächlich Gegenbild und Projektionsfläche der Bürgerlichen, die - let's face it - länger und ausdauernder an der Macht sind.
Was aber ist "bürgerlich"? Die Vorstellung, dass die Klientelpolitik für die Reichen, wie die FDP sie betreibt, in irgendeiner Art und Weise als Erklärung ausreichend sein könnte ist geradezu lächerlich. Auch der Sozialkonservativmus weiter Teile der Union entfaltet längst nicht mehr das Anziehungspotential von einst. Tatsächlich hat in den letzten Jahren eine Art Umschichtung stattgefunden, die das bürgerliche Lager eher erweitert statt verkleinert hat. Die oft zitierte Wandlung der Grünen zu einer bürgerlichen Partei und die Spekulationen über schwarz-grüne Bündnisse kommen ja nicht von ungefähr. Auch die reibungslose Zusammenarbeit von SPD und CDU während der Großen Koalition beruht nicht ausschließlich auf der Unterdrückung alternativer Ideen durch Müntefering und Steinmeier. Tatsächlich sind breite Teile der Wähler - immer noch - bürgerlich geprägt. Obwohl der Diskurs über Hartz-IV und Niedriglöhne, der die öffentliche Debatte von etwa 2004 bis 2009 bestimmte, einen anderen Eindruck vermittelt hat: für die meisten Menschen in Deutschland ist der Bezugsrahmen ihres Denkens und Erlebens immer noch die Mittelschicht, und die ist bürgerlich. Was sich verändert hat, sind Positionen, die sie früher ausgemacht haben. Diese Veränderung der Positionen ist es, die Leitartikler und bürgerliche Politiker nachhaltig verwirrt.
So waren die Ablehnung von Mindestlöhnen, das Bejahen von Law&Order, das Ja zur Atomkraft und eine traditionelle Familienpolitik früher unverzichtbare Bestandteile einer "bürgerlichen" Politik. Heute sind sie das nicht mehr. Dies hat viele Beobachter dazu verleitet anzunehmen, dass ein "Linksruck" stattgefunden habe, nicht nur in der CDU selbst, sondern auch in der Bevölkerung. Das aber ist eine Täuschung. Die gleichen Leute, die sich als bürgerliche Mittelschicht begreifend diese Positionen früher vertreten haben, verließen ihren Bezugsrahmen der bürgerlichen Mittelschicht nicht - sie haben ihre Meinungen zu einigen Positionen geändert, das ist alles. Eine Änderung einiger Inhalte aber mit einer Konversion ins linke Lager zu verwechseln war der Fehler, der die CDU die Macht in Baden-Württemberg gekostet hat, und der die FDP von 16% auf unter 3% hat abstürzen lassen. Sich als bürgerliche Mittelschicht zu fühlen ist nicht davon abhängig, ob man den Ruf nach Steuersenkungen bejaht.
Die Profiteure dieser Entwicklung sind Grüne und Piratenpartei. Beide sind nicht links, das haben ihre Kritiker von der Linken durchaus richtig analysiert. Sie sind letztlich Parteien der Mittelschicht, einer anderen als sie CDU und FDP sich ausmalen, aber einer Mittelschicht nichtsdestotrotz. Ihre Themen sind keine Themen von Menschen, die darum kämpfen, Miete und Essen zu bezahlen. Es sind aber, man muss es so hart sagen, Mehrheitsthemen. Die Mehrheit der Deutschen fühlt sich der Mittelschicht zugehörig oder geht davon aus, auf absehbare Zeit dazuzugehören. Es ist die deutsche Version des American Dream, von dem Martin Sheen in der Rolle Präsident Bartlets bereits richtig bemerkte dass er das fundamentale Problem enthält, dass jeder glaubt irgendwann reich zu sein und politisch schon für diesen Tag plant und denkt. Der Begriff des Bürgerlichen umfasst eine wesentlich breitere und heterogenere Schicht, als es Linke wie selbst erklärte "Bürgerliche" gerne wahrhaben und in ihre engen Programmatiken pressen wollen. Und selbst grüne und orangene Bürgerliche sind bei aller Andersartigkeit ihrer Forderungen vom konservativ-bürgerlichen Kernbestand eines mit Sicherheit nicht: revolutionär und übermäßig links gestimmt.