Die Machtelite zum Teufel gejagt

An irgend einem Tag vor 9200 Jahren geschah auf dem Gebiet des heutigen Anatoliens etwas Außergewöhnliches. Eine ganze Stadt wandte sich gegen die herrschende Oberschicht und jagte diese zum Teufel. Es folgten 1 200 Jahre Frieden, Gleichberechtigung und Gewaltlosigkeit

French-Revolution

Jeanne D’Arc – Sturm auf die Bastille

James Mellaart war verblüfft. Auf einer seiner Touren durch das heutige Ostanatolien war der britische Archäologe auf die Überreste einer antiken Stadt aus der Jungsteinzeit gestoßen und hatte sogleich mit den Ausgrabungen begonnen. Damals, im Jahre 1958, war es noch ein leichtes für ihn gewesen, eine Grabungslizens zu bekommen. Zunächst war er auf einige, für damalige Verhältnisse äußerst luxuriöse Bauwerke gestoßen und war sich sofort sicher, das es sich nur um das Reichenviertel handeln konnte. Er grub weiter und legte nach und nach weite Teile der gesamten Stadt frei, in der einst an die 10 000 Einwohnern gelebt hatten. Je weiter er kam, desto weniger traute er seinen Augen. Wo immer er auch grub, überall der gleiche Reichtum. Es gab weder Tempelbezirke, noch Slums oder armseelige Hüttenbauwerke. Alle Bewohner dieser Stadt waren sozial gleichgestellt. Es gab weder eine Ober- noch eine Unterschicht.

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Catal Hüyük – Ostanatolien

Diese Stadt mit dem Namen Çatal Hüyük bestand, wie sich im nachhinein herausstellte, tatsächlich aus zwölf Städten, die Schicht für Schicht übereinander gebaut worden waren. In jeder dieser Schichten bot sich dem verwunderten Forscher dasselbe Bild. Keine Paläste, keine Tempel, keine Prunkbauten. Dafür jedoch solider und bodenständiger Wohlstand, gerecht verteilt auf alle Bewohner der Stadt. Ein für Mellaart geradezu unfassbares Rätsel. Die Lösung befand sich gut 600 Kilometer weiter nördlich in einer weiteren antiken Stadt mit dem Namen Cayönü. Auch diese Stadt bestand aus mehreren übereinander gebauten Schichten. Jedesmal, wenn eines der lehmgeflochtenen Häuser nach etwa 120 Jahren seinem Ende entgegen ging, wurde es abgerissen und auf seinen Grundfesten ein neues Bauwerk errichtet. Die untersten Schichten brachten schließlich die Lösung.

Cayönü hatte sich seinen Fortschritt über hunderte von Jahren mühsam erkämpft. In einer der unteren Schichten tauchte erstmals Saatgut aus anderen Regionen auf, weitere Funde belegen die Ankunft der ersten Schafe in der Stadt und auch die Kunst des Feuersteinschlagens erlebte dort eine regelrechte Rennaisance. Dieser Fortschritt vollzog sich jedoch unter den Augen eines destruktiven, patriarchalen und äußerst grausamen, hierarchischen Regimes. Dieses hatte sich im Ostteil der Stadt angesiedelt. Dort gab es in jeder der unteren Schichten neben Wohn- und Vorratsgebäuden zudem ein Sonderbauwerk. Ein rechteckiger Klotz von 8 mal 12 Metern, fensterlos und eingegraben in eine Bergflanke. Eindeutig ein Tempel, wie sich herausstellte. Vor diesem Tempel lag ein großer, rechteckiger Platz von 30 mal 50 Metern. Der goldene Schnitt phi (φ) war damals offenbar bereits bekannt. Gesäumt wurde der Tempelplatz von bis zu zwei Meter hohen Monoliten aus Stein, die der Anlage eine furchteinflößende Monumentalität verliehen.

Zum Norden hin abgeschlossen wurde der Platz von drei großen Herrschaftsbauten. Diese standen auf massiven Sockelfundamenten aus großen, behauenen Steinen. Sie besaßen sorgfältig gemauerte Wände, eine Veranda und steinerne Treppen. In diesen drei Häusern konzentrierte sich der gesamte gesellschaftliche Reichtum dieser Stadt. Große Blöcke von Bergkristall, Feuerstein und Obsidian, steinerne Skulpturen, Muscheln nicht nur aus dem Mittelmeer, sondern auch vom Roten Meer sowie importierte Waffen von hoher Qualität. Der Rest der Stadt hingegen bestand aus ärmlichen Hütten. Dort fand man keinerlei Materiallager sondern lediglich eine große Vielzahl von Steinsplittern. Dort lebte die Arbeiterschaft und bearbeitete die Materialien nach Vorgabe der Machtelite. Die Tempel waren durch alle Schichten hindurch ein Zeugnis infernalischen Blutrausches. Dicke Krusten aus Blut bedeckten die Opfersteine- und Dolche. Es waren sogar eigens Abflusskanäle für die großen Blutströme angelegt worden, die die Macht der Eliten durch Furcht aufrecht erhielten. In den Kammern eines dieser Tempel stießen die Forscher zudem auf mehr als 70 Schädel und über 400 Skelette.

Die erste soziale Revolution

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Gemeinwesen im Neolithikum (Jungsteinzeit)

Letzte geben vielleicht Aufschluss darüber, was während dieser Nacht vor rund 9 200 Jahren geschah. Die herrschaftlichen Häuser wurden so schnell gestürmt und niedergebrannt, dass keiner der reichen Besitzer seine Schätze zu retten vermochte. Der Tempel wurde niedergerissen und verbrannt. Selbst der Boden wurde aufgerissen, wohl als Rache für dessen ständige und mühseelige Pflege zum Wohle einer kleinen, rücksichtlosen Elite. Die steinernen Monumente wurde umgeworfen und in Stücke gehackt und der Tempelplatz, mehr als 1000 Jahre peinlichst gereinigt und sauber gehalten, wurde umfunktioniert – zur städtischen Mülldeponie. Was folgte war eine 1 200 Jahre währende Zeit des Wohlstands, des Friedens und der Gemeinschaftlichkeit nicht nur in Cayönü, sondern in ganz Anatolien. Die Symbolik hinter den rund 70 Schädeln und den etwa 400 Skeletten erschließt sich auch dem Nichtarchäologen. Es werden die Schädel der einstmals herrschenden Elite sein und die Arme und Beine von deren Erfüllungsgehilfen, den damaligen ‘Ordnungskräften’ aus heutiger Sicht.

Auf der Asche der Paläste waren anschließend in einer weiteren Schicht eben jene Gebäude errichtet worden, die man zuvor auch in Catal Hüyük gefunden hatte. Das soziale Miteinander entwickelte sich prächtig. Die Steinschläger entwickelten eine bis dahin ungeahnte Kunstfertigkeit und Professionalität. Es gab Krankenhäuser und jeder Bewohner der Stadt hatte Anspruch auf 12 m² Wohnraum, Vorratsräume, einen kleinen Stall und einen kleinen Hof, in dem sich sich das Vieh aufhielt wenn es nicht weidete. Die religiösen Bereiche wurden von jedem Bewohner künftig selbst geregelt. Jeder Mensch dort war sein eigener Priester und hatte in seinem Haus einen sakralen Bereich, in dem die Toten beerdigt waren, sowie einen weltlichen Abschnitt mit Werkstatt und Wohnstatt. Die Menschen führten ein glückliches, selbstbestimmtes und gleichberechtigtes Leben. Die Bilder an den Wänden zeigen gleichermaßen Frauen beim Jagen wie auch Männer, die mit Kindern tanzen. Die gemeinschaftlichen Feste, die offenbar an nichts zu wünschen übrig ließen, wurden auf den Dächern veranstaltet. Das gemeinsame Glück zerbrach erst ungefähr 3000 v.Chr. als die ersten Kriegswaffen aus Bronze den postneolithischen Markt eroberten. Bis dahin, das ergaben sämtliche Funde, war nicht ein Mensch gewaltsam durch die Hand eines anderen ums Leben gekommen. Vielmehr gibt es Hinweise, dass die Menschen sich gegenseitig aufopferungsvoll gepflegt haben, wie beispielsweise den Jäger, der vom Horn eines Auerochsen durchbohrt worden war oder das Mädchen mit dem gebrochenen Oberschenkelhals, die sich anschließend nur noch hinkend fortbewegen konnte. Sie alle waren als fester Teil eingebunden in ein funktionierendes Gemeinwesen, von dem wir aus heutiger Sicht nur noch träumen können.

Quellennachweis und weiterführende Links:



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