Die Lüge soll das Scheitern verdecken

Das griechische Parlament hat auch im dritten Wahlgang Stavros Dimas als neuen Staatspräsidenten abgelehnt. Das bedeutet Neuwahlen im Januar. Ein Aufschrei geht durch Europa, das offenbar nichts so sehr fürchtet wie die Demokratie.

Blickt man in die Kommentarspalten an diesem 30. Dezember 2014, werden düstere Bilder gemalt. Griechenland stehe vor einem unheilvollen Szenario. Davor, frage ich mich? Das Land steckt doch seit Jahren mittendrin, dank einer gescheiterten Krisenpolitik, die maßgeblich von Brüssel und Berlin aus betrieben wird!

Die meisten Kommentare beginnen deshalb mit einer handfesten Lüge. Sie behaupten, Griechenland ginge es besser, da die Wirtschaft wieder wachse. Das Land schien aus dem Gröbsten heraus zu sein, sei auf einem guten Weg, der nun verlassen werden könnte. Mit der Aussicht auf Neuwahlen, die nicht das erwünschte Ergebnis liefern werden, stünde alles Erreichte auf dem Spiel. Nur wurde in sechs Jahren nichts erreicht, was den griechischen Staat auch nur ansatzweise vorangebracht hätte.

Examinierte Arschlöcher wundern sich

Das Gegenteil zu behaupten, ist aber nötig, um das eigene Scheitern zu verdecken. Sechs Jahre Rezession und die bornierten Krisenmanager halten immer noch an ihrem Rezept der brutalen Kürzungen fest, ja feiern diesen Unfug sogar als Erfolg. Die unangenehmen Begleiterscheinungen wie Massenarbeitslosigkeit, Massenarmut und massenhaft radikalisierte Köpfe, sie interessieren nur am Rande oder werden als notwendige Bürde betrachtet, die das griechische Volk nun einmal zu tragen hätte.

Dabei ist die Blindheit wie der ökonomische Analphabetismus der deutschen Besserwisser kaum noch zu ertragen. Dort wo man Vernunft nicht einmal mehr vermuten will, herrscht uneingeschränkt die Kälte des bürgerlichen Subjekts. Mal wieder. Und diese, Verzeihung, examinierten Arschlöcher, wundern sich dann auch noch über Gruppierungen wie PEGIDA, auf deren "Sorgen" sie sich nun einlassen wollen.

Das soll irgendwie Weise wirken, ist an Blödheit aber kaum noch zu überbieten. Einige begeben sich bereits auf das PEGIDA Niveau und schlagen harte Töne an. Eine Drohkulisse gegenüber Griechenland müsse es geben, um die abtrünnige Republik auf Kurs zu halten. Bundesfinanzminister Schäuble spricht den Griechen sogar jegliche Souveränität ab, in dem er sagt: Vertrag ist Vertrag, egal wer regiert.

Verschreckte Leithammel suchen Schuldigen

Die deutschen Leithammel werfen dem möglichen Wahlsieger Alexis Tsipras nun Radikalität vor und vergessen dabei jene Brutalität, die unter den gewünschten Regierungen bereits zur Anwendung kam. Doch diese menschenverachtende Politik, die es in Griechenland seit sechs Jahren gibt, verniedlichen die deutschen Medien einfach. Sie sprechen verharmlosend von Reformen, manchmal mit dem Zusatz "schmerzhaft", ohne auch nur ansatzweise zu begreifen, wie schmerzhaft das ist.

Nun sehen sich die gescheiterten Krisenmanager mit dem Ergebnis ihrer Politik konfrontiert und schlagen wie kleine Kinder wild um sich. Sie wollen ihre Fehler nicht eingestehen, fordern wie immer eine Erhöhung der furchtbaren wie nutzlosen Dosis und suchen parallel Schuldige für die ausbleibende Wirkung. Ein vermeintlicher Populist wie Tsipras kommt da gerade Recht. Er müsse verantwortlich dafür sein, dass die segensreiche Reformpolitik auf so viel Unverständnis in der Bevölkerung stoße.

Er missbrauche die Demokratie ja nur, während die neoliberalen Dogmatiker im Norden Europas sie marktkonform erhalten wollen. Um das zu erreichen, wird gehetzt, gedroht, sich eingemischt, sich blamiert und letztlich Lügen als Wahrheit verkauft. Da Griechenland weiterhin am Hilfstropf hängt - wieso eigentlich, wenn alles so gut läuft - nutzen die Musterdemokraten ihre Macht vorsorglich aus, um die nächste Entscheidung des Volkes zu beeinflussen.

Angst vor der Notbremse

Die deutschen Schreiberlinge sorgen sich derweil um ein Ende der Privatisierungen in Griechenland. Sie stellen besorgt die Frage, ob ein Regierungschef Tsipras Investoren nun enteignen oder entschädigen will, statt zu fragen, welchen Gewinn die Geldgeber aus der bisherigen Enteignung des griechischen Volkes gezogen haben.

Rund 50 Milliarden Euro sollte durch die Privatisierung öffentlichen Eigentums in die griechische Staatskasse fließen. Im Jahr 2015 werden es nach Schätzungen des IWF aber nur etwas mehr als sechs Milliarden Euro sein. Haben die Griechen da schlecht verhandelt oder die Investoren eine günstige Gelegenheit bloß ausgenutzt? Eine Frage, deren Klärung sehr viel wichtiger für das Verständnis ist, als die panische Angst vor dem berechtigten Griff zur Notbremse.

Die selbst in die Radikalität abdriftenden deutschen Leitmedien beantworten diese Frage aber nicht. Sie fürchten sich lieber vor einem echten Regierungswechsel in Griechenland. Denn statt den Lokführer bloß auszutauschen, wie es bisher üblich war, wenn nichts mehr lief, wollen die Griechen mit Tsipras jemanden wählen, der den Zug offenbar anhalten und die Richtung überprüfen will. Das können deutsche Medien, die alle vier Jahre von Richtungswahlen schwadronieren, obwohl sie nur den Austausch eines Lokführers meinen, natürlich nicht verstehen.


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