Die Linke scheitert an der Konkretion

Die jüngsten Landtagswahlen haben bewiesen, dass die Linke keine Protestpartei ist. Wollen die Wähler protestieren, wenden sie sich dem Teil des parteipolitisch organisierten Kleinbürgertums zu, der bis dato nur wenig in Regierungsverantwortung war. Selten zuvor war die Gelegenheit für die Linke so günstig, Wählerschaft zu gewinnen, wie in diesen Tagen. Wie die Grünen gibt man sich als Opponent in Angelegenheiten wie Stuttgart 21 oder Atomenergie zu erkennen. Dennoch scheiterte man an der Fünf-Prozent-Klausel, konnte nur unzureichenden Stimmenzuwachs verzeichnen. Und dies, obwohl die Linke im Gegensatz zu den Grünen, auch eine soziale Leitlinie in ihrem Parteiprogramm vorzuweisen hat.

Dieses Alleinstellungsmerkmal scheint kein Vorteil gewesen zu sein; die aktivierten Wähler, die ins Grüne hinein ankreuzelten, scheinen ein ausgesprochen abstraktes Verständnis von Demokratie zu haben. Sie fordern Partizipation und Bürgerrechte, wollen dass ihre Proteste erhört und direkte Demokratie mittels öffentlicher Unmutsbekundung betrieben wird. Daran ist nichts auszusetzen. Werden die demokratischen Motive aber konkreter, das heißt, erkühnt sich eine Partei tatsächlich, soziale Aspekte zum Wesensgehalt der Demokratie zu addieren, weil demokratische Teilhabe auch immer eine Frage darüber ist, ob es sich ein Mensch leisten kann, frei und demokratisch zu leben, so verschreckt das diejenigen, die meinen, einen alternativen Weg gewählt zu haben. Die Abstraktion der Demokratie trieb sie an, die Konkretion verängstigt sie - klar, die Abstraktion von Bürgerrechten ist kostenlos zu haben; die Konkretion, angefacht durch finanzielle Unterstützung beispielsweise, sie geht ans Säckel.

Die Linke hatte keine Lobby, weil es nicht die so genannte Unterschicht an die Urnen trieb, sondern die besorgte Mittelschicht - Klein- und Spießbürger, die viel Freude an demokratischen Abstrakta haben, die mit Begriffen wie "Freiheit" ganze Weltbilder erklären wollen und mit solchen Losungen auch Auslandseinsätze der Bundeswehr begründen. Freiheit - die Krönung des abstrakten Verständnisses! Was ist sie? Wann geschieht sie? Ist eine vollkommene Freiheit vom Staat auch dann lobenswert, wenn dies bedeutet, dass man in Notsituationen völlig frei von staatlicher Unterstützung ist? Demonstrieren kann man dann ja immer noch! Gegen Atomenergie sein auch! Miete zahlen? Essen? Kulturell teilhaben? Sicher, man kann an dieser ganz besonderen Kultur, der Tröten- und Pappschildchen-Kultur, der Protestkultur nämlich, teilhaben - auch als Unterschichtler. Das Kleinbürgertum, das sich da versammelt hat, um an der Wahlurne nicht für die soziale Alternative zu stimmen, es ist manchmal offen für alle Schichten. Wer gegen Stuttgart 21 und Biblis ist, der darf ruhig auch arm sein - er soll nur nicht annehmen dürfen, dass seine Armut auf ihre Kosten beendet wird.

Wahlsieger ist nicht Rot-Grün, auch die Grünen alleine nicht; die große Schwammigkeit, die große Elastizität, die man auch große Freiheit nennt, sie hat gesiegt. Ein Begriff, mit der schon Zigaretten schmackhaft gemacht wurden, obgleich niemand wusste, was die unbegrenzte Freiheit mit dem Dunst einer Zigarette zu tun haben sollte. Konkrete Ideen, Besserstellung von Arbeitslosen und Niedriglöhnern, von Senioren und Alleinerziehenden, Stärkung von Arbeitnehmer- und Erwerbslosenrechten, die Loslösung des Individuums von rein ökonomischen Idealen letztlich, dafür konnte man sich nicht erwärmen. Politische und kulturelle Teilhabe: ja natürlich! Schaffung der Voraussetzungen, damit auch alle teilhaben können: nicht unbedingt! Eine Renaissance des Sozialstaatsgedankens gar: Demokratie und dazugehörige Partizipation sollte bittesehr kein Geld kosten!

Natürlich unken sie nun, dass der linke Esprit die Wahlen gewonnen hätte. Sozialdemokratie und Grüne als Linke! Aber es war das empörte Kleinbürgertum, die hasenherzige Mittelschicht, die votierte. Für Grundrechte! Für Grundrechte, die nichts kosten - die, die etwas kosten würden, sei es nur Mitgefühl, die im Parteiprogramm der Linken nachlesbar sind, soziale Aspekte, die die Grundlage jedes demokratischen Prozesses sind, die eigentlich den sozialen Frieden installieren sollten, die spielten keine Rolle. Sie werden erst eine Rolle spielen, wenn große Stücke dieser Gesellschaftsschicht in den Genuss geraten, selbst sozial ausgeschlossen zu werden...


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