Die Liebe der Piraten - Der Hass der Linkspartei

Von Christian Sickendieck
Ich gebe zu, ich habe längere Zeit durchaus mit der Linkspartei sympathisiert - auch wenn ich sie in der ganzen Zeit nur einmal gewählt habe. Doch dafür möchte ich mich nicht rechtfertigen. Sie waren halt sympathisch, gegen die herrschende Meinung polemisierend, insbesondere gegen die SPD, die auch heute noch - bis auf wenige Ausnahmen an der Basis - eine Ansammlung von fremdgesteuerten Machtpolitikern ist, die ebenso in der Union oder FDP Karriere machen könnten.
Es ist Zeit für ein kleines Resümee und ein Ausblick.
Wenn man sich die Plakate der Linkspartei anschaut, sie plakatieren heute immer noch die gleichen Sätze wie vor fünf Jahren - keine Entwicklung, kein Fortschritt, kein Nichts. Es ist schlichte Langeweile. Wer in Deutschland kann, außer den bekannten Forderungen, Hartz IV muss weg! Raus aus Afghanistan! Inhalte der Linkspartei aufzählen? Ich behaupte: Niemand, der nicht der Linkspartei nahesteht.


Auf Twitter macht sich das besonders beim Thema Piratenpartei - die ich bekanntlich auch kritisch begleite - bemerkbar. Der ganze Hass, der dem System und der SPD entgegengebracht wird, schlägt dort in vielen Teilen auch den Piraten entgegen.
Warum? Weil diese Piraten mir nichts, dir nichts das Alleinstellungsmerkmal der Linkspartei aufgebrochen haben. Auf einmal ist da eine Partei, die auch unsere repräsentative Demokratie infrage stellt. Nur gibt es im Gegensatz zur Linkspartei einen entscheidenden Unterschied: Die Piraten entfachen eine Debatte über eine moderne Demokratie, über Bürgerbeteiligung und Transparenz - oder wie es Frank Schirrmacher ausgedrückt hat (http://lallus.net/8ut): Tyrannei der Masse war ein entlarvender Begriff, weil er zeigt, dass wir in Wahrheit in einer Demokratiedebatte sind und nicht in einer Programmdebatte.


Gut sechs Monate nach dem Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus haben die Piraten mehr erreicht, als die Linkspartei nach Jahren als Oppositionspartei im Deutschen Bundestag oder den Landtagen. Die Piraten wirken frisch, sie wirken jung, sie wirken modern. Die Linkspartei wirkt dagegen wie die UDSSR kurz vor ihrem Untergang.
Selbstverständlich gibt es in der Piratenpartei auch Wirrköpfe - doch kann man hier durchaus Nachsicht walten lassen, die Piraten sind noch jung, wichtig ist, wie sie daraus lernen. Im Gegensatz Linkspartei: Dort schreiben etablierte Parteivorsitzende Castro-Glückwünsche, Landtagsabgeordnete verharmlosen den Mauerbau und die Stasi, Bundestagsabgeordnete treten offen für den Kommunismus ein. Die Piraten lernen hoffentlich aus berechtigter und harscher Kritik. Bei der Linkspartei hat man den Eindruck, als würde man sich dort mit jeder Kritik ein wenig mehr einbetonieren.


Bei den Piraten ist kein Hass auf das System erkennbar. Die Piraten sind nicht politikverdrossen. Im Gegenteil. Sie wollen unser Land, unsere Demokratie verbessern, sie treten für Etwas ein, nicht gegen Etwas. Darum geht auch der Vorwurf der Protestpartei völlig ins Leere. Auch ich muss mich an diesem Punkt für vergangene Äußerungen am eigenen Schopf packen.
Bleibt nur die Aufforderung an die Piraten, keine Kopie der FDP zu werden. Die Äußerungen Lauers oder des Bundesvorsitzenden Nerz über die Zukunft der Schlecker-Mitarbeiter lassen da durchaus die Nackenhaare zu Berge stehen. Man kann nur hoffen und sich wünschen, dass die Basis diesen marktradikalen Wirrungen ein Riegel vorschiebt. Deutschland braucht eine moderne, sozialliberale Partei aber keine marktradikale Kopie der FDP, die im vermeintlich modernen, transparenten Gewand daherkommt.


Diese Vorschlusslorbeeren haben die Piraten durchaus verdient. Genauso wie sie die Linkspartei zu Beginn bekommen hat. Die Linke hat mittlerweile aber jegliche Sympathie verspielt, das beweisen auch die aktuellen Umfragen zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfallen: Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, fliegt die Linkpartei genauso wie die FDP mit Pauken und Trompeten aus dem Landtag, während die Piraten einen erneuten Wahlerfolg feiern könnten. Zu wünschen wäre es.
Warum soll ich heute noch die Linkspartei wählen? So sehr ich es mir wünschen würde, Hartz IV wird nicht angeschafft werden - man kann die gröbsten Fehler der Agenda 2010 nur korrigieren und das Leben für die Betroffenen ein stückweit erträglicher machen. Auch hier muss man die Piraten im Blick haben, spannend wäre an dieser Stelle beispielsweise, was die Piraten über den Datenschutz von Hartz-IV-Empfänger zu sagen haben, der praktisch nicht existiert, jeder Hartz-IV-Empfänger muss heute wie der größte Post-Privacy-Aktivist nackt vor dem Staat auf die Knie gehen. Während die Linkspartei immer noch Hartz IV muss weg plakatiert, diskutieren die Piraten seit langer Zeit über moderne Lösungen wie das BGE, welches ALG I und ALG II überflüssig machen würde.

Polemisch gesagt ohne politische Verordnung: Die Piraten überholen die Linkspartei mit links.
Die politische Kraft der Linkspartei nährt sich aus dem Hass gegen das System. Die politische Kraft der Piraten nährt sich aus der Liebe für eine moderne Demokratie. Die Linkspartei forciert Politikverdrossenheit. Die Piraten holen Nichtwähler zurück an die Wahlurnen. Während die Linkspartei im Gestern lebt, dieser Vorwurf der SPD ist durchaus zutreffend, leben die Piraten in einer Utopie. Doch sind die Piraten nicht so realitätsfern zu glauben, ihre Forderungen und Gedanken zu 100% umsetzen zu können. Gerade das macht sie noch sympathischer als sie es ohnehin schon sind. Jeder Schritt, den die etablierten Parteien den Piraten entgegenkommen, ist ein Schritt in Richtung moderne Gesellschaft.


Wenn ich mich zwischen Hass und Liebe entscheiden soll, wähle ich die Liebe. Darum sind für mich im Moment die Piraten bei aller Kritik und Anmerkungen die einzig wählbare Partei. Während bei der Linkspartei der Vorwurf der Protestpartei, keine eigenen Inhalte zu haben, ins Schwarze trifft, sie lebt von der Schwäche der etablierten Parteien, geht dieser Vorwurf bei den Piraten weit daneben. Selbstverständlich haben sie zu mehreren Themen noch keine Meinung. Doch das ist völlig unerheblich. Dank der Piratenpartei befinden wir ins mitten in einer Demokratiedebatte. Das das ist mehr als alle anderen Parteien zusammen in den letzten Jahren erreicht haben. Und jeder Mensch kann teilnehmen, ob Piratenmitglied oder nicht.
Aus Liebe zur Demokratie.
Christian Sickendieck schreibt normalerweise auf Google+, F1XMBR und Twitter. Er hat diesen Beitrag freundlicherweise zur Verfügung gestellt.


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