Die letzten Tage von Amerika reloaded

Die letzten Tage von Amerika reloadedDer Kanadier Paul Erdman wollte nie mehr sein als ein Autor temposcharfer Finanz-Thriller. Dabei hätte es auch zum Wahrsager gereicht, wie sein 1982 veröffentlichter Roman "Die letzten Tage von Amerika" verrät. Erdman beschreibt hier eine Welt, wie sie sich aus seiner Sicht im weiteren Verlauf des Jahrzehnts entwickeln würde. Erdman, der 2007 starb, hat Recht behalten für die nächsten 30 Jahre.
Andererseits hatte sich die Welt während der ersten Hälfte der 80er Jahre erneut dramatisch verändert. Was früher ein völlig unannehmbares Risiko für eine Bank gewesen wäre, gehörte inzwischen zu den besseren verfügbaren Darlehen.
Es ging nämlich darum, die Petrodollars in Umlauf zu halten. Zu Beginn des Jahrzehnts, als das Öl 30 Dollar pro Barrel kostete und die Opec-Länder knapp unter 30 Millionen Barrel am Tag exportierten, hatten sie Jahr für Jahr ungefähr 300 Milliarden Dollar eingenommen. Davon hatten sie ungefähr 200 Milliarden ausgegeben, so dass 100 Milliarden übriggeblieben waren, die investiert werden wollten, egal wie.
Einen Teil davon steckten sie in Pfandbriefe und Obligationen der Regierungen von Amerika, England und der Bundesrepublik. Aber den größten Teil verliehen sie einfach an die größten Banken der Welt. Citibank, Chase Manhattan, Deutsche Bank, UBS und so weiter.
Diese Banken hatten ausnahmslos willige Abnehmer in der Dritten Welt: Brasilien, Chile, China, Indien - die Liste war endlos. Sie liehen ihnen praktisch jeden Cent, den sei von der Opec einnahmen, und trugen dabei das Risiko, das die Opec-Staaten selbst nicht tragen wollten.
Aber dann, 1982, geriet die Türkei an den Rand des Bankrotts, gefolgt von Bolivien und Zaire. 1983 waren Sambia und der Sudan an der reihe. 1984 gesellten sich Jamaika und Polen dazu.
Also begann sich der Fluss des Geldes in die Dritte Welt zu verlangsamen, weil das Risiko nicht mehr akzeptabel war.
Ganz anders sah es mit den Überschüssen der Opec-Staaten aus. Bis 1985 waren die Verkäufe der Opec auf 25 Millionen Barrel pro Tag zurückgegangen, der Preis hingegen war auf 60 Dollar pro Barrel gestiegen. Bei einem Einkommen, das inzwischen eine halbe Billion pro Jahr überschritt, war der jährliche Überschuss auf 140 Milliarden Dollar gestiegen, und die New Yorker Banken stürzten sich auf jedes, buchstäblich jedes Darlehen, das sie einem großen Industrieunternehmen der kapitalistischen Welt gewähren konnten, selbst wenn die Umstände zum Himmel stanken.
Denn, so wurde argumentiert, keine Regierung konnte es sich Mitte der 80er Jahre noch erlauben, eine große Firma Pleite gehen zu lassen. Wenn eine "strategische" Firma an den Rand des Abgrunds geriet, hatten Washington oder Bonn oder Tokio keine andere Möglichkeit, als die Bürgschaft für sie zu übernehmen, selbst wenn es gegen jegliche frühere wirtschaftliche Logik verstieß. Es ging nicht mehr um das Überleben der Starken, sondern um das schlichte Überleben an sich.
Denn was blieb anderes übrig? In vergangenen Zeiten, als Wachstum ein allgegenwärtiges Phänomen war, konnte man die Untauglichen sterben lassen, weil neue, innovative, lebensfähige Unternehmer ihren Platz übernehmen würden. Die Welt wurde ständig größer und besser.
Aber das war einmal. In den 80ern hatte es im wesentlichen nicht nur kein Wirtschaftswachstum mehr gegeben, 1985 war auch der Lebensstandard des Durchschnittsamerikaners nicht höher als zehn Jahre zuvor.


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