Einst lebte ein Einsiedler lange Zeit in einer Höhle. Er bemühte sich, dort volle 50 Jahre zu meditieren, um Nirvana zu erlangen. Er hatte nur noch einen Tag, als zwei Räuber in die Höhle eindrangen.
Sie schleppten einen gestohlenen Büffel mit sich, den sie getötet hatten, indem sie ihm den Kopf abschnitten. Aber als sie den Einsiedler erblickten, beschlossen sie ihn zu töten, weil er sonst Zeuge ihres Verbrechens gewesen wäre. Sie hackten ihm den Kopf ab, obwohl er sie anflehte, es nicht zu tun. Aber der Einsiedler hatte bereits übernatürliche Kräfte erlangt. Er hob den Büffelkopf auf seine Schultern und verwandelte sich in die furchteinflößende Gottheit Yama. Yama tötete die beiden Räuber und trank ihr Blut. So verlor er jede Hoffnung, Nirvana zu erlangen. Voller Raserei versuchte er, alle Tibeter zu töten. Die Tibeter baten den Bodhisattva Manjushri ihnen zu helfen. Manjushri nahm die Schrecken erregende Gestalt des Yamantaka an und vertrieb Yama in die Bereiche der Unterwelt.
Geschichte(n) zu Yamantaka
Der von den Gelugpas und Sakyapas häufig praktizierte Yamantaka in Gestalt des Vajrabhairava (tib., rdo rje ‘jigs byed) ist der unzerstörbar Schreckliche – wie sein Name besagt. Yamantaka ist der Besieger des Todes und unterwirft Yama – den Herrn des Todes.
Yamantaka erscheint sowohl als Yidam-Gottheit wie auch als Beschützer (Dharmapala). Im Zyklus der Thröma Nagmo tritt er neben Rahula, Nagaraja, Tsen und Mamo auch als Beschützer des Dharma auf. Wesentliche Gottheitenpraktiken gehen auf Ra Lotsawa zurück, der Vajrabhairava als Meditationsgottheit verwendete, um Feinde zu vernichten.
In einem Text wird Yamantaka von Vajrapani gebeten, die bösartigen Geister zu unterwerfen und diese opferten ihm die Essenz ihrer Lebenskraft. Diese Geister wurden in den Zustand der meditativen Gelassenheit geführt. Aber dann begannen die arroganten Gespenster und ihr Gefolge wieder, blanken Schrecken zu verbreiten. Und Yamantaka sandte erleuchtete magische Waffen in Form von Eisenrädern, Schlingen, Haken, Ketten und Glocken aus und ließ Mantra-Silben ertönen, sodass diese Arroganten sofort unterworfen und gezähmt wurden.
Yamantaka offenbarte dann einige Tantras, die von Vajrapani gesammelt wurden. Diese wurden dann Garab Dorje anvertraut, der sie wiederum Manjushrimitra gab. Dieser gab einige dem Jnanagarbha und dem Shantigarbha. Der Meister Tsuglag Palge entnahm daraus dann einige sehr tiefgründige Anweisungen für das Schützen, Abwehren, Befreien und Unterwerfen.
Später wurden diese dem Padmasambhava gegeben und dann dem Vasudhara. Dessen jüngerer Bruder wurde dann als Nub Sangye Yeshe wiedergeboren. Dieser ging dann nach Kathmandu und bat Vasudhara sieben Mal um die Übertragung der Tantras und versiegelte dies, indem er einen Manjushri auf Nub Sangye Yeshes Kopf stellte. Die Anweisungen dieser Tantras durften zunächst nicht verbreitet werden, bis sie in ihm herangereift waren.
Obwohl alle anderen Tantras zu der Zeit in Tibet weithin blühten, konnte das Yamantaka-Tantra nicht verbreitet werden. Also sprach Nub Sangye Yeshe folgenden Wunsch aus: „Zur Zeit der fünf Arten des Niedergangs sollen diese mit den vom Glück gesegneten Ngakpas zusammentreffen und mögen so die Feindes des Dharma besiegt werden.“ Dann verbarg er diese Anweisungen in Lhodrag und in Phungpo Riwoche. Diese wurden dann später von Gyazhang Trom entdeckt und dann dem Lharje Nub Chung anvertraut. Später kamen diese Anweisungen zum Gyalwa Rinchen Phüntshog aus der Linie der Drikung Kagyü. Der Drikung Rigdzin Chökyi Dragpa verfasste dann einen berühmten Praxistext, der auch heute noch in der Drikung-Linie praktiziert wird.
Buddhisten und Shiva
In der Gelug-Tradition wird Lalitavajra als Enthüller der Vajrabhairava-Tantras angegeben. Lalitavajra war ein Gelehrte an der Kloster-Universität von Nalanda im 10. Jhdt., der als Haupt-Yidam Manjushri praktizierte. Eines Tages erhielt er in einer Vision den Auftrag, nach Oddiyana zu gehen und die Tantras des Yamantaka zu enthüllen. Dort traf er auf die Weisheits-Dakini in Gestalt der Vajra-Vetali und auch auf andere Dakinis. Doch diese lehnten es ab, ihm diese Texte auszuhändigen. Er durfte die Lehren nur auswendig lernen und sie nach seiner Rückkehr aufschreiben.
Manche Gelehrte sehen die Vajrabhairava-Tantras in Verbindung mit der Tradition des kaschmirischen und afghanischen Shivaismus. Der Name „Bhairava“ verweist auf eine der Haupterscheinungen von Shiva und auch viele seiner Attribute wie Dreizack, Tigerhaut, Asche, Damaru etc. finden sich in beiden Traditionen. Jedenfalls entstand der Shivaismus im 8./9. Jhdt. und wahrscheinlich werden sich einige Parallelen zum buddhistischen Tantra finden. Jedoch lassen äußere Attribute keine Herkunft ableiten. Vielmehr ist der Unterschied in der Sicht – dem spirituellen Ansatz – zu finden.