Die Kunst beim Zuhören

Von Olaf.karwisch

Was können wir beim Zuhören über uns lernen? Kennen Sie den Unterschied zwischen einem ganz “normalen” Gespräch und der Situation, wenn Ihnen jemand wirklich zuhört? Wann haben Sie das letzte Mal ein richtig gutes Gespräch geführt? Wann haben Sie sich das letzte Mal wirklich verstanden gefühlt? Und wann haben Sie das letzte Mal einem anderen Menschen wirklich zugehört?

“Echtes” Zuhören unterscheidet sich grundsätzlich von einem in unserem Alltag als “normal” erlebtem Gespräch.

Wie führen wir Gespräche?

Ich möchte Sie heute dazu motivieren, sich Ihrer ganz individuellen Art und Weise bewusst zu werden, wie Sie Gespräche mit anderen Personen oder in Gruppen führen. Wenn Sie an ein Gespräch zurückdenken, betrachten Sie doch einmal die folgenden Aspekte:

  1. Wie schnell erinnern Sie sich passend zu dem, was sie gerade hören, an eigene Erlebnisse und Erfahrungen?
  2. Wie schnell schweifen Sie in Tagträume und eigene Probleme ab?
  3. Wie lange können Sie einer anderen Person zuhören, ohne selbst etwas von sich einbringen zu wollen?
  4. Wann fangen Sie an, die Worte, den Inhalt oder Ihr Gegenüber zu bewerten?
  5. Wie oft geben Sie dem Gesprächspartner Ratschläge oder äußern Ihre Meinung?
  6. Wie oft gehen Sie zum nächsten Thema über, ohne das gerade Besprochene wirklich verstanden zu haben?
  7. Welche nonverbalen Botschaften können Sie aufnehmen?
  8. Wie oft verwenden Sie im Gespräch die Worte “ich/mir/wir”?

Was fällt Ihnen sonst noch zu den Gesprächen ein, die Sie führen? Möglicherweise habe Sie auch Lust, diese Beobachtung über die nächsten Tage fortzuführen.

Der Alltag

In Alltagsgesprächen sind die meisten von uns einen Dialog gewohnt, in dem wir ständig unsere Geschichten austauschen. Wenn wir ein Anliegen erzählen, wird das Gesagte häufig um eine Geschichte des Zuhörers ergänzt, der seine eigenen Erfahrungen mitteilen möchte. Schon recht schnell versucht jeder – in der Regel ohne bewusste Absicht – den Fokus des Gesprächs auf seine Erfahrung umzulenken. Wir bekommen sehr schnell Ratschläge, selbst wenn wir keine wollen. Wir haben nicht das Gefühl, der Andere hat uns wirklich verstanden und trotzdem bekommen wir sehr schnell Meinungen und Interpretationen über das, was wir “falsch” gemacht haben und was wir “besser” machen könnten.

Zugegeben, meine Darstellung ist etwas überspitzt, aber wenn Sie lernen, genau hinzusehen – oder besser hinzuhören, dann werden sie feststellen, dass die Beschreibung oft nicht sehr weit von der Realität entfernt ist.

Was wäre dann eine andere Art, in ein Gespräch zu gehen? Wie können wir eine Unterhaltung führen, aus der beide Seiten zufrieden herausgehen? Wie können wir unserem Gegenüber die Chance geben, sich wirklich verstanden zu fühlen? Wie können wir eine respektvolle Diskussion führen, selbst wenn wir möglicherweise inhaltlich keine Übereinstimmung finden?

Aus meiner Sicht ist der wichtigste Punkt dabei “das Zuhören”.

Zuhören – einmal anders

Wenn Sie Lust haben, eine Bereicherung für Ihren Alltag zu finden und die Chance erkennen, Gespräche mit Freunden, in der Familie oder im Beruf zu intensivieren, dann ermutige ich Sie dazu, die folgenden Gedanken für sich in den nächsten Tagen auszuprobieren. Sie können insbesondere hilfreich sein, wenn jemand mit einem Anliegen auf Sie zukommt. Versuchen Sie, diese Perspektiven in Gesprächen zu verwenden und beobachten Sie die Veränderung. Was ist anders? Können Sie das beschreiben? Wie geht es Ihnen in oder nach den Gesprächen?

  1. Konzentrieren Sie sich voll und ganz auf Ihren Gesprächspartner und schweigen Sie – wenn Sie diese volle Konzentration entwickeln, werden Sie die gehörten Worte weniger mit den eigenen Erfahrungen abgleichen. Dennoch werden eigene Gedanken aufkommen und vielleicht auch der Drang, diese dem Anderen zu erzählen. Erkennen Sie den Wunsch rechtzeitig und bleiben Sie still. Lassen Sie Ihr Gegenüber einfach erzählen, ohne ihn zu unterbrechen und etwas zu ergänzen. Konzentrieren Sie Ihre Aufmerksamkeit darauf, was Sie bei Ihrem Gesprächspartner wahrnehmen und weniger, was bei Ihnen geschieht. Haben Sie schon einmal versucht, Ihr Gegenüber für 5 Minuten einfach nur reden zu lassen und voll und ganz bei dem Erzählten zu bleiben?
  2. Stellen Sie Fragen – Das sind zu Beginn die einzigen Beiträge, die Sie nutzen sollten, um das Gespräch zu vertiefen. Begeben Sie sich doch einfach einmal auf die Position,  wirklich nichts zu verstehen. Es gibt viele Worte mit sehr unterschiedlicher Bedeutung. Sind Sie sicher, immer die richtige Bedeutung zu erfassen? Fragen Sie nach, bis Sie wirklich verstehen, was der Gesprächspartner vermitteln möchte.
  3. Reflektieren Sie das Gehörte – Sie können das Gesagte in Ihren Worten wiederholen oder einfach nur nonverbal bestätigen. Die Körpersprache sagt viel über die Qualität des Gespräches aus. Halten Sie mit Ihrem Gesprächspartner Augenkontakt, so dass er Ihre ganze Zuwendung hat?
  4. Verzichten Sie auf eine Bewertung – Sie müssen das Gesagte weder bewerten noch zensieren. Sollten dennoch Bewertungen in Ihnen aufkommen, dann schauen Sie mehr auf sich. Denn diese Bewertungen sagen sehr viel über Sie, den Zuhörer, aus. Unter Umständen benötigen Sie gerade etwas,  um das Gespräch weiterführen zu können.
  5. Verzichten Sie auf Ratschläge - Sie haben eine gute Idee, die dem Gesprächspartner ganz sicher helfen könnte? Zu Beginn der Übung schlage ich vor, diese nicht zu äußern.
  6. Versuchen Sie einmal in einem Gespräch, für eine gewisse Zeit auf die Worte „ich/mir/wir“ zu verzichten.

Insbesondere das Schweigen war für die meisten Personen, die ich kenne – und auch für mich – am Anfang eine Herausforderung. Sie werden feststellen, dass es viel Übung bedarf, wirklich einmal 5 Minuten zu schweigen. Ich meine dabei nicht, für einige Minuten nichts zu sagen, sondern in dieser Zeit vollständig auf sein Gegenüber konzentriert zu sein und nicht in eigene Gedanken abzudriften. Die eigenen Gedanken sind schnell und wollen nur zu gerne etwas Wichtiges zum Gesprächsinhalt beitragen. Im Sinne der Achtsamkeit erkennen Sie diese Gedanken und Bilder und kehren ohne innere Bewertung wieder zum Gespräch zurück, ganz nach dem Motto – “ach, da bin ich doch einmal wieder bei mir gelandet …danke, dass ich es bemerkt habe“. Nun konzentriere ich mich wieder auf meinen Gesprächspartner”.

Zuhören – eine Kunst?

Wenn Sie gutes Zuhören lernen wollen, dann üben Sie. Ohne ein bewusstes Üben gelingt es den wenigsten von uns – ich bin sogar der Meinung, niemandem. Wenn Sie die Qualität Ihrer Gespräche steigern wollen, dann holen Sie sich ein Feedback. Denn niemand kann Ihre Qualitäten als Zuhörer besser bewerten als derjenige, der das Gespräch gesucht hat.

Es braucht keine Schicksalsschläge oder irgendwelche großen Ereignisse für ein “gutes” Zuhören. Nutzen Sie die Möglichkeiten im Alltag, in ganz normalen Gesprächen: wenn der/die Mitarbeiter/in mit einem Problem ankommt, der/die Ehepartner/in von seinen Ereignissen berichtet, beim nächsten Telefonat mit einem Verwandten oder einem Gespräch mit den Kindern.

Zuhören – sind Ratschläge wirklich tabu?

Nun werden Sie sagen, ich muss doch eine Meinung äußern können. In meiner Rolle als Vorgesetzter, als Eltern, als Freund, usw. wird es doch von mir erwartet, dass ich Meinungen vertrete, Entscheidungen treffe und Hilfe leiste.

Sie werden feststellen, dass es viele Situationen gibt, in denen Sie aus Gewohnheit sehr schnell eine Meinung äußern oder eine Entscheidung für die andere Person treffen wollen. Versuchen Sie herauszufinden, wann das wirklich notwendig ist und wann die andere Person sehr wohl selbst in der Lage ist, für sich eine gute Lösung zu finden.

Noch eine letzte Anmerkung: In der Literatur wird häufig davon gesprochen, dass Ratschläge (Rat – Schläge), ein gutes Gespräch eher stören und nicht hilfreich sind. Dies stimmt nach meiner Erfahrung auch für die meisten Situationen. Es gibt aber sehr wohl Umstände,  bei denen es nötig ist, unsere Meinung und unseren Rat (im Sinne von Vorschlag und Idee) zu äußern. Dem Gesprächspartner steht es dann frei, die vorgebrachten Ideen und Vorschlägen anzunehmen oder es zu lassen. Bringen Sie jedoch solche Ratschläge nur  dann ein, wenn Sie sich vorher das Einverständnis geholt haben: “Interessieren Sie dazu meine Ideen und Gedanken?

Viel Spaß bei der Umsetzung. Wie immer, freue ich mich über Ihr Feedback.

Ich wünsche Ihnen weiterhin eine achtsame Zeit, Ihr Olaf Karwisch

Zitate

  • “Solange man selbst redet, erfährt man nichts.” (Marie von Ebner-Eschenbach)
  • Die höchste Stufe des Zuhörens ist es, dem Partner die Unterstützung zur Selbstklärung zu gewähren.
    (Christoph Thomann/Friedemann Schulz von Thun, Klärungshilfe)
  • Reden können ist nicht so viel wert wie zuhören können. (Chinesisches Sprichwort)