Die Krokodilstränen von Presse und Politik

Ich weiß gar nicht, was mir derzeit mehr Brechreiz verursacht: Die durch die hartherzige EU-Politik verursachte Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer an sich oder die heuchlerische Empörung der deutschen Medien bei der Berichterstattung über das Massensterben. Ich will ja Prantl und Konsorten gar nicht absprechen, dass sie sich wirklich über das aufregen, was sie da schreiben. Und um so schäbiger ist es, dass ein Günther Jauch nicht einmal eine Minute Gedenken in seiner ewig öden Labersendung am Sonntagabend zulassen kann. Und auch in der Politik macht sich Betroffenheit breit – selbstverständlich nicht ohne die bösen Schleuser als Verursacher des Problems darzustellen, dass eigentlich durch die Politik entstanden ist.

Wobei ich nicht unbedingt finde, dass der wackere Harald Höppner recht hat – ganz ehrlich: Was will der denn ausrichten mit seinem alten Fischerboot?! Ich kann ja verstehen, dass er nachts nicht schlafen kann angesichts des Elends in der Welt – das geht mir ja oft auch so. Und offenbar kann er sich sogar den Luxus leisten, etwas für sein Gewissen zu tun, nämlich einen alten Kahn zu kaufen, eine Mannschaft ausrüsten und loszufahren. Einerseits setzt er ein persönliches Zeichen gegen die unmenschliche Politik seiner Regierung und tut das, was er für richtig hält – okay, kann man machen.

Andererseits will ich mir gar nicht vorstellen, wie schrecklich es sein muss, wenn er dann im Mittelmeer tatsächlich vor Ort ist, wenn wieder ein Kahn mit Tausend Menschen an Bord gerade untergeht: Die kann er beim besten Willen nicht alle retten mit seinem kleinen Kutter! Aber wenigstens ein paar, und den anderen ein paar Rettungsinseln, Schwimmwesten und Wasserflaschen zuwerfen. Man kann natürlich auch sagen: Mit jedem Menschen, den er rettet, rettet er ein Stück Menschlichkeit. Geht in Ordnung, ich verstehe das durchaus. Ist ja irgendwie auch sympathisch, dass es immer noch Menschen gibt, die sich so engagieren.

Aber andererseits wird damit um so deutlicher: Empörung allein genügt nicht! Und es genügt auch nicht, wenn einzelne Menschen mit ihren privaten Mitteln ein Boot kaufen, um im Mittelmeer Menschen zu retten, so löblich diese Absicht auch ist. Denn wenn die Leute nicht ertrinken, so sind sie doch längst nicht gerettet: Sie werden von einem Land ins andere geschoben, wenn sie Glück haben, dürfen sie ihre Existenz in einem elenden Lager fristen, aber niemand will sie haben – in Deutschland gibt es Arschlöcher, die fertig renovierte Flüchtlingsunterkünfte lieber abfackeln, als zu dulden, das “noch mehr” Fremde in ihr ach so schönes Land kommen. Diesen Scheißnazis wäre auch mal zu gönnen, dass sie mittellos in die Fremde geschickt werden – wobei die Leute fast überall auf der Welt freundlicher zu Fremden sind als sie.

Die eigentliche Frage ist doch: Warum tun die Flüchtlinge das? Warum geben sie ihre bisherige Existenz in ihrer Heimat auf, warum riskieren sie ihr Leben? Ich kann mir im Zeitalter von Massenkommunikationsmitteln und Internet nicht vorstellen, dass die Leute, die ihre letzten Ersparnisse oder gar die ihrer Familie ausgeben, um an Bord einer dieser Seelenverkäufer zu kommen, nicht wüssten, was sie tun. Wie verzweifelt müssen sie also sein?! Warum riskieren sie, zu sterben, anstatt in ihrer Heimat zu bleiben?!

Weil die Zustände dort offenbar so schlimm sind, dass sie lieber sterben, als sie weiter zu ertragen. Und das genau ist der Punkt: Mit Unterstützung des Westens – und zwar nicht nur der USA, sondern ausdrücklich auch der EU-Staaten, wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Länder, aus denen die Leute nun fliehen, weitgehend unbewohnbar gemacht – Libyen, Syrien und so weiter. Im südlichen Afrika nehmen die Konzerne den Leuten das Land weg, von dem sie bisher gelebt haben und an den Küsten fischen sie ihre Fanggründe leer: “Ihr habt keine Chance also nutzt sie!”

Und genau das tun die Menschen, weil es nun mal unsere Art ist, die Hoffnung nicht aufzugeben, und sei sie noch so irrational. Aber besser als hoffen wäre handeln. Aber anstatt die Verzweifelten aus dem Meer zu fischen, um sie dann entweder nach Hause oder in eine Elendsexistenz auf heiligen EU-Land zu schicken, sollte das gesamte System geändert werden: Solange nicht das Wohlergehen der Menschen im Mittelpunkt steht – ganz gleich, in welchem Land der Welt sie wohnen – sondern das Funktionieren eines perversen Wirtschaftssystems, bleiben alle Rettungs- und Hilfsmaßnahmen vergeblich.



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