Die Renaissance, die das Hörspiel zu Beginn des 21. Jahrhunderts erlebte, ist inzwischen seit einigen Jahren wieder Geschichte und deshalb treibt die Branche und die Fans die Frage um, wie man an diese „goldenen Zeiten“ wieder anknüpfen könnte. Nachdem ich mir die Diskussion um mögliche Wege zur Gewinnung neuer Kunden eine Zeit lange angeschaut habe, halte ich nun den Zeitpunkt für gekommen, selbst einige Gedanken zu diesem Thema beizutragen.
Ich habe sicherlich nicht den Masterplan zur Rettung des Hörspiels. Hätte ich ihn, dann würde ich jetzt nicht diese Zeilen schreiben, sondern als Multimillionär vom weißen Sandstrand einer idyllischen Südseeinsel aus mein Hörspielimperium verwalten. Was ich lediglich bieten kann, sind Überlegungen, Anregungen und vielleicht auch nur Denkanstöße. Wenn ich im Folgenden von "den Labeln" spreche, denn rede ich nicht von den Big Guns im Hörspielbetrieb. Diese sind zumeist Bestandteile international aufgestellter Konzerne und operieren darum und komplett anderen Voraussetzungen als die Vielzahl der kleinen und mittleren Hörspielschmieden. Ausgerechnet diese aber sind es, die unter enormen Druck stehen und teilweise in ihrer Existenz bedroht sind. Dabei verdankt das Publikum ihnen die Vielfalt im Hörspielbereich. Was ich hier vorstellen möchte, sind Ideen/Anregungen/Gedanken, mit denen diese Vielfalt möglichst für die Zukunft gesichert werden kann.
Vor einigen Monaten hatte ich die Gelegenheit, mich ausführlich mir einem Hörspielmacher zu unterhalten. Dabei ergab sich ein interessanter Dialog, den ich als Einstieg für eine Betrachtungen wiedergeben möchte:
Ich: "Du bist doch schon ein paar Jahre Hörspielmacher" Er: "Ja." Ich: Dann weißt Du bestimmt inzwischen ganz gut, was die Leute wollen, die Deine Hörspiele kaufen, oder?" Er: "Ja, das weiß ich schon recht genau, glaube ich." Ich: "Weißt Du auch, was diejenigen wollen, die Deine Produktionen nicht kaufen?" Er: "Nun ja, äh.... (sucht verlegen lächelnd nach der richtigen Formulierung)...offenbar was anderes."
Es tat mir im Nachhinein leid, dass ich ungewollt einen wirklich feinen Kerl, den persönlich sehr schätze, offenbar in eine etwas peinliche Situation gebracht hatte. Tatsache ist jedoch auch, dass ihm seine zwischenzeitliche Sprachlosigkeit gar nicht peinlich sein musste, denn nur wenige Betreiber anderer kleiner Label waren in der Lage, auf diese Frage spontan zu antworten. Unterm Strich ist dies auch nicht verwunderlich, denn das Gros dieser Hörspielmacher produziert nicht für ein breites Publikum, sondern genau genommen nur für sich selbst.
Diese Produzenten, überwiegend aus der Generation der Kassettenkinder stammend, legen in leicht modernisierter Form jene Hörspiele neu auf, die sie als Kinder oder Jugendliche geprägt haben und jener überschaubare Kreis von Personen, der regelmäßig Verkäufe von gerade einmal 800, 1500 oder vielleicht sogar mal 3000 CDs generiert, der also die Retrophilie der Macher teilt, wird von diesen kurzerhand zum Kundenkreis für Hörspiele erklärt. Folgerichtig lautet das gebetsmühlenartig vorgetragene Mantra der kleinen Label dann auch: "Der Hörspielmarkt ist klein, er ist ausgeschöpft und neue Kunden lassen sich nicht gewinnen." Begründet wird dieses Dogma mir der angeblichen Dominanz der Bilder, gegen die das rein akustische Erlebnis eben nicht bestehen könne. Die Kunden würden eben lieber Computerspiele zocken oder TV-Serien konsumieren. Wirklich? Wenn dem so ist, warum ist hier bei uns der Comic, der ja abgesehen von einer gewissen Menge an Text sonst nur aus Bildern besteht, eine absolute Randerscheinung? Warum sinken die Quoten der TV-Sender Jahr für Jahr? Und wieso hat die deutsche Facebook-Seite von Amazons Hörbuch-Ableger Audible dann fast 100.000 Likes? Was machen die Hörbuchverlage richtig, was die Hörspiellabel falsch machen? Nun? Genau: Sie haben ein weibliches Publikum!
Alle Studien zeigen, dass Frauen aus anderen Gründen lesen als Männer. Männer lesen zu Informationszwecken, weshalb die Mehrheit der Zeitungsleser männlich ist und Männer die Hauptklientel für Sachbücher darstellen. Frauen kaufen nicht nur mehr Bücher als Männer, sie lesen primär zur Unterhaltung, weshalb sie sich hauptsächlich Romane zulegen. Die Konsequenz ist, dass Hörbücher – gewissermaßen ja Derivate von Romanen und Sachthemen sind im Bereich der Lesungen eher unterrepräsentiert – ebenfalls mehrheitlich von Frauen gekauft werden. Romanen, Lesungen und Hörspielen ist gemein, dass beim Lesen bzw. Hören im Kopf des Konsumenten ein Film abläuft. Kopfkino nennen das die Hörspielfans und die Klarheit und der Detailreichtum der Bilder im Bewusstsein sind ein guter Gradmesser dafür, ob ein Werk gelungen ist oder nicht. Wenn Frauen also offensichtlich Romane und Hörbücher nicht zuletzt deshalb so schätzen, weil Bilder nicht vordefiniert geliefert werden (wie im Fernsehen oder Film), sondern die eigene Phantasie angeregt wird, müssten sie auch eine Affinität für Hörspiele haben. Haben sie auch – zumindest dann, wenn man ihnen attraktive Inhalte anbietet. Audible wählte letztes Jahr ganz bewusst als Grundlage für das Projekt eines "ungekürzten Hörspiels" den Roman Das Kind von Sebastian Fitzek, wohl wissend, dass dadurch die Adaption des Romans eines Autors mit einer großen weiblichen Fangemeinde auf die überwiegend weibliche Kundschaft des Hörbuch-Händlers Audible treffen würde. Mit Erfolg. 2013 schob man deshalb ein weiteres Fitzek-Hörspiel nach. Trotz dieses eindeutigen Ausrufezeichens in Sachen Kundengewinnung fürs Hörspiel, pikanterweise gesetzt von einem Unternehmen, das eigentlich auf die Vermarktung von Lesungen spezialisiert ist, sind die Hörspiellabel weiterhin blind, wenn es darum geht, weibliche Hörer zu gewinnen. Es fehlt an Stoffen, die für Frauen attraktiv sind und nicht zuletzt an zugkräftigen Protagonistinnen. Die Krimi-Oma Lady Bedford oder Alina Fox, Epigonin des feuchten Männertraums Lara Croft, über wohl kaum Anziehungskraft auf die holde Weiblichkeit aus und Grusel der Marke 1980, basierend auf Groschenheften (Verzeihung: Es heißt ja inzwischen Heftromane) ist bekanntlich selbst dem männlichen Massenpublikum inzwischen zu dumm.
Es wird jedoch wohl nicht reichen, das Produktspektrum um ein paar frauenaffinine Hörspiele zu erweitern, um weibliche Kunden zu gewinnen. Vielmehr gehören einige Dinge endlich mal auf den Prüfstand. Da wäre bespielsweise das 1 CD/60 Minuten-Format. Frauen konsumieren sehr ausdauernd – dicke Bücher schrecken sie ebenso wenig ab wie Lesungen mit 6, 8 oder 10 Stunden Laufzeit. Das Hörspiel im klassischen Format wirkt dagegen im Vergleich eher wie ein schmalbrüstiger Quickie. Wahrscheinlich wird es notwendig sein, dass sich das Hörspiel vom Umfang her mehr in Richtung der Lesungen bewegen muss, um als attraktive Alternative aufgefasst zu werden. Dies setzt natürlich voraus, dass die Hörspielmacher lernen, wie man spannend über zwei, drei oder mehr Stunden am Stück erzählt. Bislang mussten sie in dieser Disziplin ja selten antreten. Ob auch ein (wohl überwiegend) männliches Publikum auf ein Hörspiel mit recht langer Spielzeit ebenfalls positiv reagiert, testet Audible gerade mit dem 8-Stünder Ender's Game, einer Adaption des gleichnamigen SF-Romans von Orson Scott Card. Man wird sehen.
Die beschriebene Wende ist jedoch auch eine große Chance für die Inhaber kleiner Label, denn es bietet sich ihnen die Chance, sich aus dem Würgegriff ihrer momentanen Stammkundschaft zu befreien. Während Frauen vorbehaltlos ein Hörbuch nach dem nächsten legal aus dem Netz herunterladen, hecheln die Hörspielmacher immer noch ihrer derzeitigen Klientel hinterher, die partout auf ihrer heiß geliebten CD besteht – geflissentlich die Tatsache ignorierend, dass durch diese Forderung der Fortbestand so mancher Serie gefährdet wird. Im Klartext: Pressungen von CDs in Kleinauflagen (2000 oder 3000 Stück sind nicht sonderlich viel) sind verhältnismäßig teuer und die vorhandene Kundschaft, so will sie es den Labeln durch Postings in den einschlägigen Hölrspielforen jedenfalls weiß machen, ist nicht bereit, diese Kosten in Form höherer Verkaufspreise mitzutragen. In diesem Zusammenhang sei nur an die unsagbar dumme Diskussion um die angebliche 10-Euro-Schallgrenze erinnert. Die Konsequenz: Wenn Preissteigerungen sich nicht durchsetzen lassen, ist angesichts steigender Produktionskosten bei gleichzeitig bestenfalls stagnierenden Abverkäufen irgendwann der Punkt erreicht (und er ist nicht mehr fern), ab dem es keinen Sinn mehr macht, eine Serie weiterzuführen. Solange die Label weiterhin den Fehler machen, nicht konsequent zwischen Sammlern und Hörern zu unterscheiden, werden sie in einer Abwärtsspirale ihrem Aus entgegentaumeln. Damit es nicht dazu kommt, muss endlich aus den Köpfen der Hörspielmacher das Märchen verbannt werden, die Mehrheit der Hörer wolle unbedingt CDs. Stimmt nicht! Wäre dem so, dann fände das freie Hörspiel, das es ja ausschließlich zum Download gibt, nur ein unbedeutendes Publikum. Stattdessen erreicht es inzwischen mehrere Tausend Menschen. Es sind vorwiegend die Sammler, die unbedingt eine CD haben wollen. Die Mehrheit der Hörer hingegen akzeptiert den digitalen Weg schon längst und die zu erschließende weibliche Kundschaft, der Erfolg der Hörbuch-Downloads bei Frauen zeigt es, ohnehin. Es wird also endlich Zeit, dass die Label den Download zum primären Vertriebsweg erklären und diesen auch entsprechend promoten. Die Sammler wollen CDs und sie sollen sie auch ruhig bekommen – wenn sie entsprechend dafür bezahlen. Was man aus den Sammlern zusätzlich herausholt (und sie werden bezahlen, weil sie eben Sammler sind und Sammler geben ihr Hobby nicht auf) kann man dazu verwenden, den Download für die reinen Hörer preislich interessanter zu gestalten. Damit wären Sammler wie Hörer in einer Win-win-Situation, ein Umstand, mit dem man als Labelchef prima gegenüber den Sammlern argumentieren kann.
An dieser Stelle möchte ich einen Einschnitt machen, wenngleich es noch mehr Dinge zu sagen gäbe. Ich habe bislang über darüber gesprochen, einen Kundenkreis anzusprechen, der meiner Meinung nach bislang nicht auf dem Radar der Hörspielmacher ist. Es ging darum, dass die Macher das Format ihrer Produktionen überdenken und den Download als primären Vertriebsweg begreifen sollten. Zudem habe ich über die Unterscheidung zwischen Sammlern und Hörern nachgedacht. Dies alles würde meiner Meinung nach das Hörspiel wieder wettbewerbsfähiger machen. Schlussendlich wird die Branche aber nicht umhinkommen, über eine einschneidende organisatorische Reform nachzudenken, um in Zukunft die Kosten senken (oder zumindest stabil zu halten), die Werbung schlagkräftiger zumachen und sich gegenüber dem Handel in eine bessere Position zu bringen. Vielleicht schreibe ich zu gegebener Zeit mal darüber.
Fürs Erste würde ich mich über Reaktionen von Eurer Seite freuen. Was haltet ihr von meinem Ansatz? Brauchbar oder kompletter Unsinn?