Die Krise der Sozialgerontokratie

Die einzigen Menschen, die ich kenne, die ernsthaft in Erwägung ziehen würden rot zu wählen, haben entweder einen einschlägigen familiären Hintergrund oder wohnen im Gemeindebau. Das ist natürlich nicht repräsentativ, trifft aber einen Nerv. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, man könnte der SPÖ nur mehr aus historischen Gründen die Wählertreue halten – wegen Kreisky, den Pensionen, der Sozialpartnerschaft und ihrer Wohnbau gewordenen Segnungen oder aus einem gewissen Faible für die Geschichte der sozialistischen Idee heraus. Ja, das waren noch Zeiten! Davon könnte die Partei eigentlich gut leben in einer überalternden Gesellschaft – wenn sie akzeptiert, dass “gut” irgendwo zwischen 10 und 20 Prozentpunkten liegt und Wachstum so gut wie ausgeschlossen ist.

Denn das ist es: Unter den Jüngeren wählt kaum noch jemand sozialdemokratisch. Wozu auch? Niemand weiß, was die Partei will. Geleistet hat sie für diese Bevölkerungsgruppe, zumindest auf den ersten Blick, bisher nichts. Man kann sich als junger Mensch also weder erkenntlich zeigen, noch Hoffnungen projizieren. Die, die nicht recht wissen, irgendwie Angst haben oder ohnehin zufrieden sind entscheiden sich wie immer in der Weltgeschichte für die Konservativen, das Altbewährte. Die mit konkreteren Vorstellungen verteilen sich auf den Rest: Die Verzweifelten, die wirklich kämpfen müssen und viel Wut im Bauch haben, gehen zu den Sozialnationalisten – “Geschenke für die Unsrigen auf Kosten der Anderen” verfängt immer. Die Idealisten, die es sich nicht so einfach machen wollen, gehen zu den Grünen. Ein paar Verwirrte wählen orange.

Wie konnte es so weit kommen? Im Anfang war die Proporzdemokratie. Das Land war in zwei Reichshälften geteilt, die in einem unübersichtlichen Geflecht aus Verwaltung, Politik und Kammern (“Selbstverwaltungskörper”) die Ressourcen verteilten. Das nannte sich Sozialpartnerschaft und führte zu großem Wohlstand, weil die zwei in etwa gleich starken Blöcke in der Regel vernünftige Kompromisse zum Wohle aller schlossen. Repräsentative Demokratie, oder besser: indirekte Demokratie, mit Betonung auf “indirekt”. Das war allerdings nicht von Dauer: Der Einfluss der ArbeitnehmerInnenvertretungen und damit der roten Reichshälfte schwand, teils weil viele Kompetenzen auf die EU übergingen, teils aus eigener Unfähigkeit (ÖGB etc). Lautete bis dahin das Programm beider Parteien noch, Wohlstand im Sinne ihrer Klientel zu verwalten, wurde es plötzlich wieder ideologisch: Denn wer Macht hat, muss sich vor den WählerInnen nicht rechtfertigen – er kann ja einfach verteilen und wird dafür treu belohnt; Prinzipien spielen da eine sehr untergeordnete Rolle. Wer aber keine Macht hat, muss erklären, warum er sie bekommen sollte. Bloße Pragmatik reicht nicht mehr, weil man sich nicht durchsetzen kann. Es muss also vermittelt werden, was besser zu machen wäre – vor allem eine Frage der Ideologie. Ideologie besteht aber nicht nur aus Absichtserklärungen, sondern muss auch glaubwürdig vermittelt werden.

Damit ist die Sozialdemokratie heillos überfordert: Kein Wunder, die ganze aktuelle Politikergeneration wurde in einem System groß, in dem Prinzipien keine Rolle spielten, Politik darin bestand, die als selbstverständlich vorausgesetzten Pfründe im Sinne der eigenen Leute zu verwalten. Diese eigenen Leute sind mittlerweile PensionistInnen. Man ist mit der Stammwählerschaft gealtert – und hat dabei die Fähigkeit eingebüßt, junge WählerInnen aufs Neue zu überzeugen.

Da stellt sich die Frage: Warum aber geht es der schwarzen Reichshälfte trotzdem so gut? Man steht der SPÖ in Sachen farbloses Technokratentum ja eigentlich in nichts nach; man ist im Grunde genauso von Kopf bis Fuß auf Interessenverwaltung eingestellt. Müsste man nicht den selben Erklärungsbedarf gegenüber der junge Generation haben? Mitnichten, denn die ÖVP hat einen entscheidenden ideologischen Vorteil, mit dem sie massiv bei den JungwählerInnen punkten kann: Konservatismus muss man nicht erklären, Solidarität hingegen schon. Sicherheit, Familienzusammenhalt, Karriere etc muss man nicht erklären; auch das in Zeiten der Krise glaubwürdig zu verkörpern ist fast ein Selbstläufer. Auch Wirtschaftsliberalismus á la Chicago ist ein schlichtes und, gerade wenn man über wenig Lebenserfahrung verfügt und damit aufgewachsen ist, einleuchtendes Konzept. Keynisianismus muss man erst einmal jemandem verständlich erklären. Zusätzlich zur weiterhin ungebrochenen realen Macht hat man also ein unkompliziertes, auch jungen Menschen ohne weiteres einleuchtendes ideologisches Konzept. Die Sozialdemokratie hat nichts dergleichen – sie müsste aktiv und charismatisch erklären, überzeugen – und das hat sie verlernt.

Sie wird daher als Interessenvertretung der Alten in die Geschichte eingehen, oder umlernen. Dazu aber müsste sie sich fast komplett neu erfinden, und zwar vor allem strukturell. Die (ihrem Umfang nach völlig überschätzte) Ausländerproblematik wird da so gut wie keine Rolle spielen: Dieses Feld beackern schon andere höchst erfolgreich; und zwar um “Volksnähe” nur zu simulieren. Wirklich innovativ wäre es die Parteistrukturen zu öffnen und wieder zu einer echten BürgerInnenbewegung zu werden. Die Zeit ist reif: Die Grünen experimentieren schon (verhalten), die SPD überlegt schon, die Piraten machen schon. Die Zeiten der streng autoritär geführten Parteiapparate sind vorbei, basisdemokratische Bürgerrechtsbewegungen im Aufwind – sofern man überhaupt man den Anspruch hat, wirklich demokratisch und bürgernah zu agieren.

Auch so ein Problem, mit dem sich Schwarz und Blau nicht herumschlagen müssen.

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© farblos 2009 | Permalink | 3 Kommentare


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