Die Konsequenzen aus den syrischen Erfahrungen für die iranische Entwicklungsperspektive

Dawud Gholamasad

Dawud Gholamasad

von Dawud Gholamasad

Selbst die bis­he­ri­gen sys­tem­im­ma­nen­ten Versuche der poli­ti­schen Reformen der „Islamischen Reformisten“, die auf die Belebung der repu­bli­ka­ni­schen Komponenten der Verfassung gerich­tet waren, haben keine große Chance gehabt. Die letzte blu­tige Unterdrückung der Protestaktionen gegen die Fälschung der Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in 2009 mani­fes­tiert die Unbeugsamkeit die­ses Regimes. Selbst eine kri­ti­sche Äuße­rung ist als „Propaganda gegen das Regimes“ straf­bar. Damit demons­triert die Obrigkeit, wie exis­ten­ti­ell und Unverhandelbar die „abso­lute Schriftgelehrten Herrschaft“ für sie ist und wie sie gegen eine mög­li­che Gefährdung die­ser Herrschaftsform rea­gie­ren würde. Für sie hat die Erhaltung die­ses Systems, mit der “abso­lu­ten Herrschaft des Theologen“ als seine „Hauptsäule“ die abso­lute Priorität; selbst vor den pri­mä­ren Geboten des Islams („odjebe- e wad­je­bat“, so Khomeini), die zeit­weise sogar sus­pen­diert wer­den dür­fen.

Die blu­tige Erfahrung der „Grünen Bewegung“ hat sogar Teile der „isla­mi­schen Reformisten“ davon über­zeugt, dass im Rahmen die­ser Staatsform sogar poli­ti­sche Reformen lebens­ge­fähr­lich sein kön­nen. Jedoch gibt es Teile der Reformisten, für die anschei­nend die Aufrechterhaltung des „Systems“ quasi eine reli­giöse Pflicht ist, aber eine sys­tem­im­ma­nente Verbesserung des Regierungsstils und die Abschaffung poli­zei­staat­li­cher Atmosphäre anstre­ben. Deswegen haben sie zur akti­ven Wahlbeteiligung zur 11. Präsidentschaftswahl auf­ge­ru­fen und diese in einer Koalition mit den „Moderaten“ Konservativen und Technokraten für Hassan Rohani ent­schie­den. Dies war aber nur mög­lich, weil die Obrigkeit die Existenz des Regimes ohne mas­sen­hafte Legitimation der Herrschaft ange­sichts der inter­na­tio­na­len Sanktionen gefähr­det sah. Deswegen fei­erte das Regime die rela­tiv hohe Wahlbeteiligung als „Bestätigung des Systems“. Wobei mit den unzäh­li­gen Hinrichtungen unmit­tel­bar nach der Wahl und der Verschärfung der öffent­li­chen Belästigung der Frauen durch die „Sittenwächter“ wegen ihrer „unis­la­mi­schen“ Bekleidung das Regime jedem unmiss­ver­ständ­lich bei­brin­gen wollte, dass es sich ja nichts ver­än­dert hätte. Denn selbst nach dem Wahlsieg der „Moderaten“ befin­den sich die Judikative, „Legislative“ sowie Militär und „Sicherheitsorgane“ wei­ter­hin in der Hand der Konservativen, an deren Spitze der Führer steht. Zudem ver­fügt der „Führer“ über die ver­fas­sungs­mä­ßig garan­tierte „Imperative Befehlsgewalt“ in jeder Beziehung. Und über­all und in jeder Institution sind seine Vertreter die maß­geb­li­chen Befehlshaber. Hinzu kommt die Allgegenwart der Sicherheitsorgane und die nach Scharia rich­tende Justiz, des­sen Oberste Richter nur durch den „Führer“ ein­ge­setzt wer­den darf. Für ihn ist nur der Wille des Führers Recht und Gesetz. Daher würde selbst die totale Verschiebung der Machtbalance zuguns­ten der „Islamischen Reformisten“ die insti­tu­tio­na­li­sier­ten Menschenrechtsverletzungen im Namen der Scharia nicht auf­heb­bar sein, solange die Theokratie besteht. Sogar der neu gewählte Präsident fühlt sich ver­pflich­tet, dem Islam zu die­nen, indem er dem Volk dient. Sein Justizminister schwört sogar die Scharia zu beschüt­zen satt wie sonst üblich die Verfassung zu schüt­zen.

Was ist nun zu tun ange­sichts die­ser Sachlage und die damit ver­bun­de­nen insti­tu­tio­na­li­sier­ten Menschenrechtsverletzungen außer als auf eine präventiv-gewaltlose huma­ni­täre Intervention auf der Grundlage des Prinzips der „Schutzverantwortung“ der UNO zu hof­fen. Zumal die bis­he­ri­gen Erfahrungen mit den tota­li­tä­ren Staaten gezeigt haben, dass der Totalitarismus von innen her­aus  ohne inter­na­tio­nale Unterstützung nicht zu über­win­den ist.

Die Möglichkeit einer gewalt­lo­sen prä­ven­ti­ven huma­ni­tä­ren Intervention auf der Grundlage der „Schutzverantwortung“ [1]

Die „Schutzverantwortung“ ist ein neues Konzept der inter­na­tio­na­len Politik und des Völkerrechts zum Schutze der Menschen als Einzelne und Gruppen vor schwe­ren Menschenrechtsverletzungen und Brüchen des huma­ni­tä­ren Völkerrechts. Sie wurde maß­geb­lich von der „International Commission on Intervention and State Sovereignty“ (ICISS) in den Jahren 2000/2001 ent­wi­ckelt und inter­na­tio­nal ver­brei­tet und nach der Zustimmung der Generalversammlung der UNO (2009) sogar in der Resolution 1674 des Sicherheitsrats erst­mals in einem völ­ker­recht­lich ver­bind­li­chen Dokument erwähnt. UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon ver­öf­fent­lichte 2009 einen Bericht zur Umsetzung der Schutzverantwortung, die auf drei Säulen basiert und ins­be­son­dere die Bedeutung einer recht­zei­ti­gen Erkennung und Einleitung von prä­ven­ti­ven Maßnahmen bei der­ar­ti­gen Verbrechen hervorhebt[2].

Die „Schutzverantwortung“ trifft zunächst den Einzelstaat und beschreibt seine Pflicht, das Wohlergehen der ihm kraft sei­ner Personal- oder Gebietshoheit unter­stell­ten Bürger zu gewähr­leis­ten. Bei der Wahrnehmung die­ser Verantwortung wird er von der inter­na­tio­na­len Staatengemeinschaft unter­stützt, der eine sub­si­diäre Schutzverantwortung zukommt. Ist jedoch die poli­ti­sche Führung des jewei­li­gen Staates nicht fähig oder wil­lens wie im Falle Iran, die Bürger vor schwe­ren Menschenrechtsverletzungen zu schüt­zen, darf die inter­na­tio­nale Staatengemeinschaft, vor­nehm­lich die Vereinten Nationen, zum Schutz der bedroh­ten Menschen ein­grei­fen. Dazu ste­hen ihr nach Maßgabe der Charta der Vereinten Nationen zivile und mili­tä­ri­sche Mittel zur Verfügung, über deren Einsatz der Sicherheitsrat ent­schei­det.

Die Theoretische Grundlage der „Schutzverantwortung“ ist die Definition von Souveränität als Verantwortung (“sover­eignty as responsi­bi­lity”), wonach ein Staat Verantwortung für den Schutz sei­ner Bevölkerung über­neh­men muss, um als sou­ve­rän zu gel­ten. Die „Schutzverantwortung“ hilft damit, uni­ver­sale Moralvorstellungen zum Schutz der Menschen als Einzelne und Gruppen inter­na­tio­nal zu ver­wirk­li­chen. Als zu ver­hin­dernde Menschenrechtsverletzungen wer­den Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und eth­ni­sche Säuberungen iden­ti­fi­ziert. Von daher sollte das kana­di­sche Beispiel der par­la­men­ta­ri­schen Verurteilung der Massenhinrichtungen der ira­ni­schen Gefangenen in den acht­zi­ger Jahren als „ Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ auch in Europa und USA Schule machen.

Nach der vor­lie­gen­den Fassung glie­dert sich die „Schutzverantwortung“ in drei Teilverantwortlichkeiten: Die Pflicht zur Prävention, die Pflicht zur Reaktion  und die Pflicht zur Wiederaufbau, wovon vor allem die Pflicht zur Prävention hier für mich zur Debatte steht.

Die Pflicht zur Prävention zielt auf die Vermeidung von Situationen, in denen es zu schwe­ren Menschenrechtsverletzungen kommt, ins­be­son­dere durch den Aufbau einer guten Verwaltung (good gover­nance) und die Bekämpfung tief­ver­wur­zel­ter Ursachen für Konflikte (root cau­ses), die im Iran durch die insti­tu­tio­na­li­sierte Verletzung der Menschenrechte unaus­weich­lich sind. Auch eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof ist inso­weit denk­bar, die im Falle Iran einer Zustimmung des Sicherheitsrates der UNO bedarf, weil Iran das Abkommen zur Errichtung des „Internationalen Strafgerichtshof“ zwar unter­schrie­ben aber noch nicht rati­fi­ziert hat.

Auch die Pflicht zur Reaktion ver­pflich­tet zu einer Beseitigung bzw. Unterbindung von Menschenrechtsverletzungen. Mittel hierzu sind fried­li­che Zwangsmaßnahmen der Staatengemeinschaft wie Waffenembargos und das Einfrieren von Bankkonten. Als ultima ratio kom­men auch mili­tä­ri­sche Interventionen in Betracht, wenn­gleich diese nur in zwei eng umris­se­nen Situationen gerecht­fer­tigt sein sol­len: im Falle eines Massensterbens und im Falle einer eth­ni­schen Säuberung. Die Befugnis, eine sol­che mili­tä­ri­sche Intervention zu auto­ri­sie­ren, geht gemäß der „Schutzverantwortung“ jedoch nicht auf ein­zelne Staaten über, son­dern ver­bleibt beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die gegen­wär­tig para­ly­siert ist.

Von der „huma­ni­tä­ren Intervention“ unter­schei­det sich die „Schutzverantwortung“ in drei­fa­cher Weise:

  1. Der dem Konzept der huma­ni­tä­ren Intervention imma­nente Rechtfertigungszwang bedingt eine starke Zurückhaltung der Staaten, in inner­staat­li­che Konflikte aktiv ein­zu­grei­fen. Diese Zurückhaltung zeigte sich ins­be­son­dere wäh­rend des Völkermords in Ruanda – mit ver­hee­ren­den Folgen. Allerdings wer­den zur­zeit die Verantwortlichen vor dem „Internationalen Strafgerichtshof“ in Genf zur Rechenschaft gezo­gen. Die Schutzverantwortung ver­la­gert den völ­ker­recht­li­chen Rechtfertigungsdruck für ein Handeln der Staaten bei Menschenrechtsverletzungen, indem sie ent­spre­chende Pflichten for­mu­liert.
  2. Die Souveränität eines Staates und das dar­aus her­vor­ge­hende abso­lute Interventionsverbot, wie es Art. 2 Ziff. 7 der Charta der Vereinten Nationen gewähr­leis­tet, wer­den durch die Schutzverantwortung neu defi­niert. Als Folge eines Verstoßes gegen seine Schutzverantwortung ver­wirkt ein Einzelstaat sein Recht auf Nichteinmischung in seine inter­nen Angelegenheiten.
  3. Die „huma­ni­täre Intervention“ betrifft allein die Rechtfertigung mili­tä­ri­scher Maßnahmen und damit nur einen Teilaspekt der „Schutzverantwortung“. Mit ihren Präventions-, Reaktions- und Wiederaufbauelementen ver­folgt letz­tere einen weit umfas­sen­de­ren Ansatz.[3]

Mit die­ser völ­ker­recht­li­chen Grundlage präventiv-gewaltloser huma­ni­tä­rer Intervention ist völ­ker­recht­lich die Möglichkeit gege­ben im Falle insti­tu­tio­na­li­sier­ter Menschenrechtsverletzungen jen­seits der Einzelfallbeispiele der Menschenrechtsverletzungen wie bei „Amnestie International“ Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte als ein unver­zicht­ba­rer Aspekt der insti­tu­tio­nel­len Demokratisierung Irans zu initi­ie­ren.

Mit der „Schutzverantwortung“ for­mu­lierte Pflicht zur akti­ven Verteidigung der Menschenrechte, kön­nen die demo­kra­ti­schen Staaten nicht mehr wie bis jetzt bei Lippenbekenntnisse zu Menschenrechte belas­sen. Sie daran zu erin­nern ist die Hauptaufgabe der Menschenrechtaktivisten.

Denn wer  eine „huma­ni­täre Intervention“ als einen bewaff­ne­ten Eingriff in das Hoheitsgebiet eines ande­ren Staates zum Schutz von Menschen in einer huma­ni­tä­ren Notlage ablehnt, hat keine andere Alternative als diese Notlagen prä­ven­tiv vor­zu­beu­gen. Und zwar gewalt­los.  Die insti­tu­tio­na­li­sierte Menschenrechtverletzungen und die insti­tu­tio­nell vor­pro­gram­mierte blu­tige Eskalation jedes poli­ti­schen Konfliktes um insti­tu­tio­nelle Demokratisierung, wie wir nicht nur in Ägyp­ten und Syrien erle­ben, son­dern auch bei der blu­ti­gen Unterdrückung der „Grünen Bewegung“ im Iran gese­hen haben, machen die präventiv-gewaltlosen Interventionen unab­ding­bar.

Jede präventiv-gewaltlose huma­ni­täre Intervention muss daher auf eine Institualisierung der Rahmenbedingungen gewalt­lo­ser Austragung der Konflikte hin zie­len, bevor sie aus schie­rer Verzweiflung in blu­tige bür­ger­kriegs­ar­tige Auseinandersetzungen aus­ufern wie in Syrien. Denn diese Konflikte sind Manifestationen der nie enden­den Macht- und Statuskämpfe und als sol­che die Struktureigentümlichkeit jeder mensch­li­chen Beziehung, die mit zuneh­men­der funk­tio­nel­len Demokratisierung der Gesellschaften sich ver­viel­fäl­ti­gen und ver­schär­fen.

Es geht dabei um eine nie enden wol­lende Auseinandersetzung um die Verschiebung der Machtbalance und der Selbstwertbeziehungen der inter­de­pen­den­ten Menschen als Einzelne und Gruppen zur eige­nen Gunsten. Es geht also um die Steigerung der eige­nen Machtchancen und Selbstwertgefühl auf Kosten der Anderen. Es geht immer dabei um die Erweiterung der eige­nen Chancen, das Verhalten der ande­ren Menschen als Einzelne und Gruppen  zu steu­ern. Und da zuwei­len mehr Macht gleich gesetzt wird mit mehr Selbstwert, ent­steht eine eigene „Logik der Emotionen“, die zu einem Teufelskreis der Eskalation der Konflikte bei­trägt. Um die Eigendynamik die­ser Eskalation hin zur gewalt­sa­men Austragung zu unter­bin­den, ist eine  prä­ven­tive gewalt­lose huma­ni­tä­rere Intervention unab­ding­bar. Sie soll zur Förderung gewalt­lo­ser Konfliktaustragung dadurch bei­tra­gen, indem sie ihre insti­tu­tio­nel­len Rahmenbedingungen durch Sanktionierung fol­gen­der Forderungen erleich­tert:

  1. Die Respektierung der Menschenrechte, zu dem die „Islamische Republik“ durch die Ratifizierung von inter­na­tio­na­len Menschenrechtsabkommen ver­pflich­tet ist, obwohl sie unzu­läs­si­ger Weise durch ihre „Islamisierung“ prak­tisch aus­ge­höhlt wer­den.
  2. Die Respektierung der recht­staat­li­chen Grundsätze. Damit soll die Ausübung staat­li­cher Macht nur auf der Grundlage der  Verfassung und von for­mell und mate­ri­ell ver­fas­sungs­mä­ßig erlas­se­nen Gesetzen mit dem Ziel der Gewährleistung von MenschenwürdeFreiheit, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit zuläs­sig sein. So soll die Respektierung der in der Verfassung ver­an­ker­ten Grundrechte der Bürger bedin­gungs­los garan­tiert wer­den.
  3. Die Respektierung der Minderheitenrechte und des Diskriminierungsverbots als unab­ding­bare Komponente der Demokratie; sonst wäre das „Dritte Reich“ der demo­kra­tischste Staat in der Geschichte, denn zuwei­len wird die „Diktatur der Mehrheit“ (siehe Ägyp­ten) als „Demokratie“ defi­niert. In die­sem Sinne behaup­tet auch Khamenei, dass Iran das demo­kra­tischste Land der Welt sei.
  4.  Die Abschaffung der insti­tu­tio­na­li­sier­ten Frauen-, eth­ni­schen, und kon­fes­sio­nel­len Diskriminierung sowie der Diskriminierung der Andersdenkende und Anderslebende.
  5. Die Freilassung der, rechts­wid­rig und auf­grund erpress­ter Geständnisse ver­ur­teil­ten, poli­ti­schen sowie anders­den­ken­den und anders­gläu­bi­gen Gefangenen wie Bahais, Sufis, Christen u.a.
  6. Die inter­na­tio­nal garan­tierte freie Wahlen, da selbst nach Khomeini „die Wahlstimme der Maßstab ist“.
  7. Ein Verfassungsreferendum, weil sogar nach Khomeini, der als Begründung der Notwendigkeit der Neugründung des nach­re­vo­lu­tio­nä­ren Staates durch ein Referendum aus­drück­lich her­vor­hob:  „ Es ist das Recht der neue­ren Generationen ihre eigene Staatsform zu bestim­men“.

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