Die Kleine und ihre Malheure

Die Kleine ist ein sehr wacher, umtriebiger und wissbegieriger Geist, ein Kind, das viel ausprobiert, alles selber machen will, nicht viel nachdenkt, bevor sie handelt, entdeckungsfreudig ist und sehr viel Initiative zeigt. Grundsätzlich finde ich diese Eigenschaften sehr positiv und habe es sehr genossen, nach dem eher vorsichtigen, zurückhaltenden Großen, der noch nie ein Ausprobierer und Entdecker war und dies bis heute nicht ist, solch ein aktives und neugieriges Kind zu haben. Allerdings bringt ihr draufgängerischer, unvorsichtiger und ausprobierender Charakter so einiges mit sich, das ich vom Großen überhaupt nicht kenne und auf das ich lieber verzichten würde. Sie fegt oft mit einer sagenhaften Unbedarftheit über wertvolle Gegenstände hinweg, hat überall ihre Finger, verlegt und verstellt Dinge und ist ziemlich unberechenbar in ihren Handlungen.
Ich bin oft richtig sauer auf sie, wenn ihr wieder einmal ein Malheur passiert ist oder sie gedankenlos oder absichtlich Sachen beschädigt, besonders wenn es um Dinge geht, die mir etwas bedeuten, Geld kosten oder Mühe gemacht haben. Oder wenn ich durch Unachtsamkeit körperlich geschädigt werde. Ebenso, wenn ihr Missgeschicke wiederholt passieren, vor denen man schon hundertmal gewarnt hat. Sowas kenne ich vom Großen gar nicht. Er ist da vom Typ her wesentlich bedächtiger, überlegter und dadurch auch vorsichtiger. Missgeschicke passieren ihm selten, so typische Kindersachen hat er nie gemacht und wir hatten deutlich weniger Ärgernisse mit ihm, was das angeht. Ich muss auch sagen, dass es im Laufe der letzten Jahre immer mehr geworden ist, was sie auf dem Kerbholz hat. Über manches kann man schmunzeln und sich freuen, auf was für Ideen sie kommt, über anderes ärgert man sich kurz, ohne dass man es als dauerhaft dramatisch empfindet, und einiges macht so wütend, dass man sich lange nicht beruhigen kann.
Die Kleine und ihre Malheure
Ich will mal einige ganz normale Beispiele beschreiben. Es sind Beispiele von Ungeschicktheit, von gedankenlosen Handlungen und von absichtlichem Beschädigen dabei. Ich muss dazu sagen, dass es keine seltenen Vorkommnisse sind, sondern täglich mindestens eines dieser Art unsere Nerven strapaziert. Dass mich das so sehr stresst, liegt einerseits in dem gehäuften Auftreten dieser "Missgeschicke", andererseits aber auch daran, dass ich grundsätzlich ein sehr gewissenhafter, ordnungsliebender und mit- bzw. vorausschauend denkender Mensch bin, für den z.B. Gegenstände einen materiellen UND ideellen Wert haben, der nicht gedankenlos handelt und nicht wie ein Orkan durch seine Umgebung fegt.
Nun aber einige Beispiele, mehr oder weniger dramatisch, mehr oder weniger ärgerlich, und gleichzeitig Geschichten aus unserem Alltag:
1. Der verstellte Wecker
In der Nacht von Sonntag zu Montag klingelte mein Wecker mitten in der Nacht (um 5 Uhr morgens). Unsere normale Weckzeit ist um 6:30 Uhr. Es musste ihn also jemand verstellt haben. Ich wusste auch gleich, wer das gewesen war. In dem Fall war es besonders ärgerlich, weil ich am Vorabend erst um 0:30 Uhr ins Bett gegangen war, weil die Kleine erst gegen 22 Uhr eingeschlafen war und mich vorher nicht aus dem Zimmer ließ, ich aber noch zu tun hatte. Ich hatte also gerade mal 4 Stunden geschlafen und, wenn ich einmal wach bin, dann schlafe ich nicht mehr ein. Sie weiß übrigens, was der Wecker macht und dass man da nichts verstellen soll. Sie hatte auch schon einmal mitbekommen, dass ich fast verschlafen hätte, weil die Batterie leer war und der Wecker nachging. Also es ist nicht so, dass sie die Konsequenzen ihres Tuns noch nicht einschätzen kann. Es war einfach Gedankenlosigkeit und Herumprobieren mit dem Ergebnis der Beeinträchtigung anderer.
2. Die vermisste Hose
Ich suchte zwei Tage lang eine ihrer gefütterten Winterhosen, die zu diesem Zeitpunkt ihre Lieblingshose war. Ich fragte sie, ob sie eine Idee habe, wo diese sein könnte, ich schaute die Fotos durch, wo sie sie zuletzt getragen hatte, ich suchte in der Kita und wollte schon fast den Kita-Mailverteiler bemühen. Ich recherchierte, ob man sie noch bestellen könne (nein) und schaute hinter und unter Sofas, Betten, Heizungen, in den Kleiderschrank des Großen und überall, wo ich sie eben vermutet hätte. Der Mann fand sie dann letzten Endes in der Verkleidungskiste! Ich war froh, dass sie wieder da war, ärgerte mich aber sehr über den Aufwand und vermutete, dass die Kleine das gewusst, aber nicht gesagt hatte.
3. Der verschüttete Kakao
Beim Essen passieren ihr immer irgendwelche Malheure. Sie ist 4 1/2 Jahre alt und sollte eigentlich schon halbwegs zivilisiert essen können. Konnte der Große in dem Alter auch. Sie ist oft so unbedacht und hört auch nicht auf unsere Warnungen. Letztens waren wir im Zoo. Ich sagte noch scherzhaft zum Mann, dass ich keine Wechselklamotten für die Kinder mitnehmen würde. Nach dem Mittagessen bestellten wir einen Kakao, den sich die Kinder teilten. Die Kleine war unruhig wie immer, ich warnte mehrfach vor dem Umfallen des Kakaos und hielt diesen zeitweise sogar fest. Doch dann: 3 Sekunden nicht hingeschaut und sie hatte ihn tatsächlich umgeschüttet. Über meine Hose, auf meinen Pullover. Zum Glück war er nicht mehr heiß, sonst hätte ich mich arg verbrannt. So durfte ich die zweite Hälfte unseres Zoobesuchs mit nassen, klebrigen, nach Kakao riechenden Klamotten absolvieren. Denn für mich hatte ich natürlich auch keine Wechselklamotten mit.
4. Die zerbrochene Spieldose
Weihnachten 2015 werde ich nie vergessen, denn da passierte ihr ein Missgeschick, was für mich wirklich schlimm war. Ich habe viele schöne erzgebirgische Weihnachtsgegenstände, die mir meine Eltern im Laufe der Jahre schenkten. Diese sind sehr teuer und haben neben dem materiellen auch einen ideellen Wert für mich. Am Heiligabend wusste sie nach der Bescherung trotz vieler Geschenke anscheinend nichts mit sich anzufangen und muss sich in einem kurzen unbeobachteten Moment meine erzgebirgische Spieldose gegriffen haben. Der Große hat das nie gemacht und beide Kinder wissen eigentlich, dass sie an die wertvollen Dinge (> 100 €) nicht rangehen sollen. Sie stand auch extra hinten auf dem Schrank. Ich sah noch aus den Augenwinkeln, wie die Spieldose aus der Hand der Kleinen fiel und dann auf dem Boden zerschellte. So sehr gebrüllt wie in diesem Moment habe ich, glaube ich, noch nie zuvor, und brauchte lange, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Die Spieldose wurde repariert und funktioniert noch, der alte Zustand konnte jedoch nicht wieder hergestellt werden. Die Kleine war damals erst 2 1 /2 Jahre alt gewesen, aber diese Tat passt zu ihrer Unbedachtheit und ihrem fehlenden Bewusstsein für Werte. Für mich war das wirklich ein dramatisches Vorkommnis.
5. Das im Klo versenkte Handy
Abends dürfen die Kinder eine halbe Stunde mit dem Kinderhandy bzw. -Tablet spielen. Das Kinderhandy funktionierte nicht und keiner wusste warum. Am Vorabend hatte es noch funktioniert. Der Mann öffnete es und stellte fest, dass es innen ganz nass sei. Ich konnte mir das nicht erklären, denn keiner hatte tagsüber damit etwas gemacht. Nach und nach erfuhren wir dann die Wahrheit. Am Vorabend war ich mit den Kindern allein gewesen und hatte sie im Bad bettfertig gemacht. Höchstens 2 Minuten suchte ich die Schlafklamotten der Kinder zusammen und sie waren allein im Bad. Als ich zurückkam, war nichts Verdächtiges zu merken, sie waren ruhig gewesen und mir fiel absolut nichts auf. Normalerweise habe ich eine feine Spürnase für so etwas. Ich brachte sie normal ins Bett und danach kontrollierte das Handy keiner mehr. Als es am nächsten Abend tot war, zogen wir ihnen nach und nach die Details aus der Nase. Die Kleine muss das Handy mit ins Bad genommen haben, wo es ihr ins Klo fiel (ich frage mich, wie). Dann hatte sie es schnell rausgeholt und abgetrocknet. Der Große war dabei gewesen, hatte aber nichts gesagt. Nun war es kaputt. Wir waren echt sauer und schärften ihnen ein, uns unbedingt Bescheid zu sagen, wenn so etwas passiert. Ich konnte es nicht glauben, dass das in der kurzen Zeit meiner Abwesenheit passiert war. Dass die Kleine so etwas "schaffte" und danach keinen Mucks von sich gab. Ob das Angst vor meiner Reaktion oder mangelndes Fehlerbewusstsein war, wird man nicht herausfinden.
Dies waren einige Beispiele für die Missgeschicke der Kleinen. Von den vielen Nasenstübern, die ich von ihr schon bekommen habe (ich war sogar mal beim HNO-Arzt, weil ich befürchtete, sie habe mir die Nase gebrochen), den absichtlich beschmierten Büchern (meinen!) und den vielen vielen in den Dreck gefallenen Dingen ganz zu schweigen. Sie ist einfach ziemlich chaotisch, quirlig und hibbelig. Sie fasst alles an, guckt überall rein, zieht alles raus und will alles allein machen. Dabei passieren dann eben des Öfteren kleine oder größere Malheure.
Die Kleine und ihre MalheureNun mag mancher sagen: es ist eben ein Kind und das ist doch normal für Kinder. Welches Kind hat schon Respekt vor den Wertsachen der Eltern oder macht sich Gedanken darüber, dass gewisse Aktionen jemanden anderen ärgerlich machen könnten? Welches Kind hat noch nie ein Getränk umgeschmissen, ein Buch bemalt oder etwas Wertvolles kaputtgemacht? Welches Kind hat noch nie den Eltern Kakao auf die Hose geschüttet, eine Kopfnuss verpasst oder Dinge absichtlich oder unabsichtlich beschädigt? Wohl keins. Aber es ist ein Unterschied, ob so etwas ein Mal pro Woche oder täglich mehrmals trotz Warnungen auftritt. Es ist auch ein Unterschied, ob man selbst eher gleichgültig oder sehr gewissenhaft ist. Und es macht auch was aus, ob man sieht, dass das Kind daraus lernt oder nicht. All das in der Summe trägt dazu bei, dass wir die Missgeschicke der Kleinen, die wir anfangs noch niedlich oder normal empfunden haben, mittlerweile echt fürchten. Nun ist es soweit gekommen, dass wir sie immer mehr einschränken und aufpassen, was sie in ihre Finger kriegt. Ich will das eigentlich nicht, denn sie soll sich ja frei entfalten. Und wie gesagt, generell finde ich ihren Entdeckerdrang ja positiv. Aber die Nebenwirkungen sind enorm und manchmal sehr schmerzhaft. Und wir haben das Gefühl, es nimmt immer mehr zu.
In der Kita als sie übrigens als sehr vor- und umsichtig bekannt. Auf die Schachtel eines neu gekauften Puzzles raufzutreten oder den Einband eines brandneu geschenkten Buches umzuknicken, würde ihr wohl dort nicht im Traum einfallen. Zuhause schon. Mir rollen sich da echt die Fußnägel hoch. Ich muss manchmal sehr an mich halten und oft genug gelingt mir das auch nicht. Ich ermahne sie öfter, als mir lieb ist, und sage Dinge, die ich nie sagen wollte und auch früher nicht musste, denn der Große war nie so. Dafür war er eben auch kein Ausprobierer und Entdecker und oft genug waren wir verzweifelt, weil er sich für nichts zu interessieren schien. Es hat eben alles zwei Seiten und nun lernen wir durch die Kleine geballt die andere Seite der Medaille kennen. Mit so einigen Kollateralschäden;-).
Im Endeffekt sollten wir vielleicht sogar froh sein, dass sie bisher nur ein Mal Wände bekritzelt hat, nie Gardinen zerschnitten und keine Geldscheine entsorgt hat. Wobei, Letzteres weiß man nicht so genau. Im Mülleimer haben wir jedenfalls schon öfter Dinge von uns oder ihr gefunden. Man muss also auf alles gefasst sein. Und das, nachdem wir vom vernünftigen, vorsichtigen Großen so verwöhnt waren! Er gibt uns seinen Müll vorher in die Hand und wir sollen ihn entsorgen. Auch nicht das Gelbe vom Ei. Das Gute dabei ist: hätten wir nur den Großen, würden wir sein Verhalten unserer "guten Erziehung", unserem Vorbild zuschreiben. Die Kleine lehrt uns, dass dem nicht so ist. Charaktere sind, wie sie sind. Das kann sie uns gern immer wieder zeigen, aber bitte ohne meine Erbstücke zu zerdeppern. Bitte!

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