Die klassistische Lebensfreude an den Wetterkarten

oder Die Diktatur meteorologischer Strahlemänner.
Tolle Aussichten fürs Wochenende, haben sie uns vorm Wochenende versprochen. Sonne satt, sagten sie. »Herrliches Wetter. Genießen Sie die Sonnenstrahlen.« Laue Nächte, schob der Vogel vor der Wetterkarte nach. Ich habe bei 36 Grad gelitten und die lauen Nächte waren schlaflos. Diese stereotypen Sprüche aus der Wettervorhersage, von Metereologen und Moderatoren, kotzen mich nicht nur an. Sie sind das Abbild einer Massenmeinung, die mir in meinem Lebensumfeld kaum begegnet.
Die klassistische Lebensfreude an den WetterkartenIch kenne fast niemanden, der bei diesen Temperaturen glücklich wäre. Die Leute, die ich kenne, scheinen mit den Leuten, für die das Wetter angesagt wird, nicht klimatisch verwandt zu sein. Man erkennt am Gesichtsausdruck sofort, wer leidet und wer nicht. Und fast alle haben sie einen hochroten Kopf, ihr Schweiß glänzt wie Zuckerguss auf Stirn und Wangen. Glücklich kommen sie einem nicht vor. Wenn dann noch schlaflose Nächte dazukommen, sehen sie gerädert aus, völlig fertig und kraftlos. Aber verdammt, freuen Sie sich gefälligst auf die Sonne, herrliche laue Nächte, Sonne tanken, genießen sie die Wärme! Klar, niemand kann was für diese Temperaturen, niemand ist dafür verantwortlich. Aber für diese gute Laune in der Hölle, dafür sind Menschen verantwortlich. Und wenn ich mir dann die Hinweise so anhöre, wie man die Hitze gut managt, dann ist klar, welche Sorte Mensch da für die »Freude am kostenlosen und daher egalitären Gut der Sonne« verantwortlich sind.

Fröhliche Hitzeberichterstattung scheint ein Sport, gemacht von Leuten in gut klimatisierten Räumen für Leute in gut klimatisierten Räumen zu sein. Eine Ausgestaltung von alltagsesoterischer »Das-Leben-kann-so-schön-sein«-Ideologie, die sich jemand, der sich die Hitze durch seine Finanzkraft nicht vom Halse halten kann, gar nicht leisten darf. Was empfehlen sie denn einem, um die Hitze in den Griff zu bekommen? Mancher TV-Sender empfiehlt den Umzug in ein klimatisiertes Hotel. Andere testen Klimageräte. Und ein Radiomoderator sagte seinen Hörern kürzlich, sie sollten einfach einen Kurzurlaub in kühlere Gefilde wagen. »Fliegen sie doch spontan nach Brasilien zur Weltmeisterschaft.« Ja, was glauben denn diese berufsbedingt fröhlichen Arschlöcher eigentlich, wie flüssig die Menschen in diesem Lande sind? Das sind Abziehbildchen von einer Lebensqualität, die die wenigsten Menschen besitzen.
Beleg dafür war letztes Jahr dieser Wagner von der »Bildzeitung«. Dieses Jahr wird er es in etwa so ähnlich schreiben, wie ich diesen Text in etwa schon letztes Jahr geschrieben habe. Wiederholung ist halt schnell verdientes Geld. Aber das ist ein anderes Thema. Er schrieb damals, wir hätten »einen tollen Sommer«, man könnte »bis zwei Uhr morgens beim Italiener sitzen«. Mir kam fast das Kotzen. Kommt mir bei Wagner immer. Aber bei diesem speziellen Wagner ganz besonders. Klar, der Typ kann es sich leisten, bis zwei Uhr morgens zu zechen. Dann legt er sich bis mittags hin, steht auf, trinkt nochmal zwei kalte Bier, braucht sich nicht anzuziehen, steckt seinen Fußpilz in eine Wanne unterm Schreibtisch, bringt zehn bis fünfzehn Sätze aufs Papier, gibt sie telefonisch durch und kassiert sicherlich ein vierstelliges Honorar. Auf Typen wie ihn ist die Wetterberichterstattung zugeschnitten. Auf Typen wie ihn, die bis zwei Uhr nachts Servicepersonal durch die tropische Nacht hetzen können und das dann »Ankurbelung der Wirtschaft« nennen.
Etwas weniger Hitzeverklärung würde auch heißen, die Probleme der Mehrheit zu verstehen, die aus diversen Gründen an der Hitze leidet. Nicht zuletzt diejenigen, die körperlich schwer schuften müssen. Aber so weit gehen die warmen Gefühle dann ja nicht. Erst wenn der Blitz eines Hitzegewitters in einen Ast fährt und der dann einen Radfahrer erschlägt, dann geben sie sich betroffen. Aber nicht lange, denn die Sonne kommt schon wieder raus. Wer will sich so ein Wetter schon mit traurigen Nachrichten vermiesen? »Hey, Bedienung, ich krieg noch ein Kühles. Aber bitte schneller als vorhin.« Und dann sitzt man da, lässt sich von schwitzendem Personal aushalten und findet es eine Frechheit, dass der Typ von Hermes heute Mittag nicht in den siebten Stock stieg, nur weil der Lift defekt war.
Die große Gleichheit vor der Hitze gibt es so wenig wie eine vor dem Gesetz oder der Steuergerechtigkeit. Wer nichts hat, der leidet eben mehr, der kann sich Linderung nicht kaufen. Die Freude an »36 Grad und es wird noch heißer« ist weitestgehend klassistisch. Und dieses normale Geschwafel vom Wetter ist ja schon mies. Es zeigt nur, wie dumpf die Masse ist, dass man sie täglich mit diesem Thema unterhalten kann. Aber dass im Falle der Hitze die Berichterstattung fast nur noch dieses explizite Wetter kennt, dass sie einen ständig daran erinnern, dass der Sommer da ist, bleibt oder gleich wieder kommt, setzt der Lethargie nur die Krone auf. Das ist so eine Art schwungvolle Diktatur meteorologischer Strahlemänner.
Dass ich schwitze wie ein Mastbulle, während ich diesen Text tippe, ist die eine Sache. Die fröhlichen Stimmen, die mir meinen Schweißgeruch auch noch als eine ganz besonders tolle Geschichte verkaufen wollen, das ist etwas ganz anderes. So einfach wie beim Wetter erkennt man selten, wie eklatant daneben die Medien an den realen Lebensumständen der Menschen vorbeimoderieren. Wenn der Typ im Radio sagt, dass diese lauen Nächte einfach nur schön seien, dann soll er mal in mein schwüles Schlafzimmer gehen und versuchen dort zu pennen. Die Hitze macht mich aggressiv. Solche Typen noch aggressiver. Ich kann es nicht leiden, wenn die Sonne aus all diesen Arschlöchern herausscheint. Sie sollten ihre Arschbacken zusammenkneifen und die Sonne darin lassen.
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